Die große Freiheit – und ihre Grenzen

Die große Freiheit – und ihre Grenzen

Von der Gleichberechtigung der Nackheit

Für die einen ist Nacktheit die absolute Freiheit, andere fühlen sich von zu viel Nacktheit bedrängt - für viele ist sie mit Scham behaftet.

Die Debatte über die Zurschaustellung des nackten Körpers ist so aktuell wie schon lange nicht mehr. Denn Männer genießen mit ihrer Oberkörperfreiheit ein gesellschaftliches Privileg.

Egal wie gleichberechtigt Männer und Frauen heute sind, zwischen nackten Brüsten wird nach wie vor unterschieden. Und zwar stark.


Das Entfernen von Bildern nicht-männlicher Nippel in sozialen Netzwerken wie Instagram und sogar gesetzliche Regelungen gegen nackte Frauenbrüste zeugen davon, dass es gesellschaftlich nicht als normal angesehen wird, wenn sich Frauen mit nacktem Oberkörper zeigen. Das gilt übrigens auch für trans- und intersexuelle Menschen. Bewegungen wie #freethenipple oder "No Shirt - No Service" wollen das - mit zwei komplett gegensätzlichen Ansätzen - ändern.

No Shirt – No Service

Freiheit bedeutet für die meisten auch, völlig frei von Hemmungen und Zwängen zu sein. Auf Partys und Festivals gehört für manche eine gewisse Freizügigkeit und damit das Ausziehen des Oberteils auch dazu. Auf der engen Tanzfläche oder in einer schwitzenden Menge sind es dann meistens Männer, die ganz oben ohne zu sehen sind. Dabei kann man auf engem Raum diese Nacktheit durchaus als bedrängend empfinden. 

Die Fusion-Debatte

Ein Ort, an dem Freiheit und Ausgelassenheit zelebriert wird, ist auch das Techno-Festival Fusion. Aber sogar dort haben schon letztes Jahr viele oberkörperfreie Männer an der Bar anstelle eines Getränks einen Zettel mit "No Shirt – No Service" und einer kurzen Erklärung in die Hand mit gedrückt bekommen. Dahinter steckt die Aufforderung, dass männliche Besucher, die gerne mit freiem Oberkörper rumlaufen, ihr Shirt bitte wieder anziehen und sich so solidarisch mit den anderen Gästen zeigen sollten. Denn Frauen, trans- und intersexuelle Personen bleibt es meistens verboten oder zumindest wird es als anstößig betrachtet, komplett blank zu ziehen. Die Aktion wurde aber nicht nur positiv aufgenommen. Viele finden, dass eine solche Bevormundung rückschrittlich und keineswegs der richtige Weg in Richtung Gleichberechtigung sei.

Die Idee kam nicht vom Veranstalter selbst.

Dabei sollen die Festival-Organisatoren gar nichts mit der Sache zu tun gehabt haben. In einem Brief erklärt die Fusion-Crew, dass die Verbreitung der "No Shirt - No Service"-Regel nicht von ihnen ausgegeben wurde. Sie sei schon im letzten Jahr auf der Fusion an verschiedenen Stellen aufgetaucht und nicht mit den Veranstaltern abgestimmt worden:
"Wir unterstützen den Ansatz, männliche Privilegien zu thematisieren und dafür Sensibilität zu schaffen, wollen aber den zum Teil sehr restriktiven Charakter der Aktion kritisieren" - Veranstalter des Fusion-Festivals

Auch wenn die Fusionim Jahr 2019 wohl eher wegen der Frage eines Polizeiaufgebots auf dem Gelände im Vorfeld für Diskussionen gesorgt hat, wurde während des Festivals wieder über die "No Shirt - No Service"-Flyer diskutiert. Denn auch 2019 waren Männer ohne Shirt nicht ohne weiteres an den Bars bedient worden.



#freethenipple

Noch länger als "No Shirt - No Service" gibt es in den sozialen Netzwerken den Hashtag #freethenipple. Die nackte Brust von Frauen ist nämlich auch dort ein Tabuthema. Twitter und Instagram sperren ganze Accounts oder löschen Fotos von Frauen, weil sie Fotos von ihren nackten Brustwarzen gepostet haben - einzig Fotos von stillenden Müttern sind erlaubt. Die Nippel von Männern bleiben von dieser Zensur - natürlich - unberührt. 2012 gestartet von der Aktivistin und Filmemacherin Lina Esco, sollte der Hashtag schon damals auf diese ungleiche Behandlung von Brustwarzen aufmerksam machen. Unter #freethenipple werden alle Menschen zur Nacktheit aufgerufen. Die Bewegung lebt weiter - denn geändert hat sich bisher nichts, meinen diejenigen, die unter #freethenipple posten:
  

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male nipples all over everyone. for all you dinosaurs still reporting the nipple. FUCK YOU. unfollow us. thank u @spencertunick for this powerful installation!!! #Repost @spencertunick ・・・ The faces of #WeTheNipple 💪🏻💪🏽 Thank you to my crew, my Project Director Lauren @lollycrosshatcher; my Camera Techs Dan and Lexi @thedanperrone @Ch3m1st; My Production Assistants Luca @lucamercedes, Matt @matthewbernucca, Austin @huqleberry, Sam @samuel_casey__ , Natalie @nataliewhiteforequalrights; My documentary photographer Fay Fox @Faymousstudios; I hope I did not forget anyone?! Ah, The Bean! @thebeannyc For donating their space to gather to keep the shoot location secret. 💛 - - - Micol Hebron was the first to create the digital male nipple pasty in 2014 and encouraged fellow artists and the public to use it to cover female nipples on social media 🙏🏽

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Gleichberechtigung auch beim Baden?

Auch in der egoFM Stadt München ist letzten Sommer eine heftige Diskussion losgebrochen, als ein von der Stadt beauftragter Sicherheitsdienst Frauen, die sich am Isarstrand oben ohne sonnten, aufforderte, sich etwas anzuziehen. Zurecht?

Die sogenannte Badekleidungsverordnung schreibt vor, dass außerhalb ausgewiesener FKK-Flächen beim Schwimmen in der Isar Badekleidung getragen werden muss. Was Badebekleidung bedeutet, wurde jedoch offen gelassen. Durch diesen Vorfall kam es Mitte Juni 2019 zu einer Verhandlung, in der die Verordnung um den Zusatz ergänzt wurde, dass "die primären Geschlechtsteile bedeckt" sein müssen. Das heißt für uns: Solange Frauen und Männer gleichermaßen eine (Bade-)hose tragen, ist alles ok!

Eine Frage der Ästhetik

Abgesehen von geschlechtlichen Unterscheidungen sollte die "No Shirt - No Service"-Aktion auch auf andere Probleme in unserer Gesellschaft aufmerksam machen, denn nicht wenige vertreten offenbar die Meinung: Wer schön ist darf ruhig alles zeigen, Hässliche sollten das lassen. Mit der Ergänzung der Badekleidungsverordnung im Münchner Raum war nämlich auch nicht jede*r einverstanden:
"Man muss nicht unbedingt das Unästhetische in der Gänze sehen. Es ist ja nicht immer nur eine Frage von Prüderie, es ist sehr, sehr häufig - in vielen Fällen - eine Frage der Ästhetik" - Ursula Sabathil von den Freien Wählern

Toleranz und Gleichberechtigung klingt aber anders, oder?


Ob es Regeln zur Nacktheit geben muss und aus welchem Grund, das ist eine Frage, bei der es viele Argumente dafür und dagegen gibt. Ob nackt oder nicht, wir finden, dass das Ziel einer Gesellschaft sein sollte, dass Menschen aller Geschlechter, sexueller Orientierung und Ethnien das Recht haben sollten, Freiheit gleichberechtigt erleben zu dürfen.

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