EU-Urheberrechtsreform

EU-Urheberrechtsreform

Was ist dieser Artikel 13 und könnte YouTube bald Geschichte sein?

Die EU will das Urheberrecht der digitalen Zeit anpassen. Die Umsetzung könnte das Internet aber vollständig verändern.

Demos in ganz Europa und eine Petition mit dem Titel #savetheInternet mit fast fünf Millionen Unterschriften: Viele Menschen fürchten, dass das Internet durch eine Reform des Urheberrechts extrem eingeschränkt werden könnte. Kritiker sprechen sogar von einer Zensur im Netz. Aber was ist dran? 

Bisheriges Urheberrecht soll an digitale Zeit angepasst werden 

Das bereits vorhandene Urheberrecht stammt noch aus der Zeit vor dem Internet. Es regelt, dass der/die Urheber*in eines Werkes entscheiden kann, wer und wie seine/ihre Arbeit genutzt werden darf. Meistens wird die Nutzung erlaubt, wenn dafür im Gegenzug auch Geld gezahlt wird. Online ist das nur in einem Bruchteil der Fälle so. Die Gegner*innen der geplanten EU-Reform fürchten, dass dadurch die Mitmach-Funktion des Internets verloren geht. 

Upload nur noch mit Filter?

Die EU-Reform sieht vor:

Große Plattformen sollen zukünftig für die Inhalte, die die User*innen hochladen verantwortlich sein.


Weil YouTuber nun mal Klamotten mit geschützten Markenlogos tragen, Musik in ihren Videos nutzen, oder weil Memes eigentlich immer aus urheberrechtlich geschütztem Material wie Fotos oder Videos bestehen, bedeutet das ein großes rechtliches Risiko für die Plattformen, auf denen diese Inhalte stattfinden.

Für Urheberrechtsverletzungen - zum Beispiel wenn ein Song oder ein Video ohne Erlaubnis hochgeladen wird - wären sie dann haftbar. Durch Klagen betroffener Künstler*innen könnten den Betreiber*innen hohe Kosten entstehen.

Um diese zu verhindern, könnten sie zwar automatische Filter einsetzen, die hochgeladenes Material automatisch scannen. Aber: Diese Technik gibt es momentan noch nicht, die bestehenden Filter funktionieren noch nicht gut genug für diese Aufgabe. 

Einziger möglicher Ausweg für die Plattformen? Den Upload komplett zu sperren - das ist zumindest die Vermutung von Kritikern der Reform. 

Im schlimmsten Fall würden also viele Eigenschaften des Internets verloren gehen. Wenn der Upload-Filter kommt, könnte es Memes nicht mehr geben.



Axel Voss: "Plattformen verdienen viel Geld mit fremden Inhalten"

Die Diskussion um eine Reform des Urheberrechts hat der deutsche CDU-Politiker Axel Voss angestoßen. Er betont, dass Plattformen wie YouTube viel Geld verdienen würden, obwohl sie selbst keine Inhalte produzieren, sondern die Inhalte von den Nutzer*innen bereitgestellt werden. In einem Interview ließ er durchblicken, dass darüber nachgedacht werden sollte, ob diese Art von Geschäft weiterhin existieren solle. In einigen Medien war sogar davon die Rede, dass Axel Voss damit YouTube in Frage stellen wollte.

Der Europaabgeordnete möchte, dass Künstler*innen für ihre Arbeit auch entlohnt werden sollten - Eigentlich ja ein guter Gedanke, denn Kreativschaffende haben es oft nicht leicht, gerecht bezahlt zu werden. Er ist sich sicher, dass es auch weiterhin Internetphänomene wie Memes geben könne und die geplante Reform nicht die Auswirkungen hätte, wie die Gegner*innen behaupten.

Die Situation ist ganz schön komplex und weil wir weder Experten für Urheberrecht sind, noch uns mit Netzpolitik zu 100% auskennen, haben wir zwei Menschen gefragt, die sich schon länger intensiv mit dem Thema Upload-Filter beschäftigen.



Simon Hurtz über komplexe Uploadfilter

Simon Hurtz arbeitet für die Süddeutsche Zeitung und ist Autor bei Bildblog, einem Watchblog für deutschsprachige Medien. Er sagt, dass es durchaus Situationen gibt, in denen das Verwenden von fremdem Material ohne Bezahlung und ohne Einwilligung des/der Urheber*in erlaubt ist.

Schließlich gebe es das sogenannte Zitatrecht. Wenn ein Radiosender in einem Video über das Musikvideo eines/r Künstler*in spricht, darf zum Beispiel ein kurzer Ausschnitt dieses Videos gezeigt oder abgespielt werden. Auch zum Zweck der Satire darf fremdes geistiges Eigentum verwendet werden.
"Es ist ziemlich schwierig zu bestimmen, ob etwas jetzt geschützt ist oder in diesem Kontext verwendet werden darf. Selbst Menschen, die sich damit auskennen, sind zum Teil überfordert. Diese Unterscheidung einer Maschine beizubringen ist - Stand jetzt - nahezu unmöglich." - Simon Hurtz
Selbst wenn es gelingen würde, dass die Entscheidung, welche Videos auf einer Plattform veröffentlicht werden können und welche nicht, automatisch ablaufen würde, wären dieser Filter sehr komplex gestrickt. Simon sieht darin kleinere Plattformen benachteiligt.

Letztendlich müssten sie sich die erforderliche Software bei einem großen Betreiber zukaufen. Damit würden die marktbeherrschenden US-amerikanischen Technologieunternehmen indirekt durch die Europäische Union weiter gestärkt. Diese Vorstellung findet der Journalist befremdlich.
 

Europäischer Gerichtshof: Vorab-Filter verstoßen gegen Grundrechte

Der europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits 2012 entschieden: Software, die vorab filtert, verstößt gegen Grundrechte. Ob das auch für die jetzt geplanten Uploadfilter gelte, sei noch nicht ganz klar. Der Grund? Noch wisse niemand genau, wie die Umsetzung ausfallen werde, berichtet Simon. Selbst wenn die Uploadfilter vom EuGH später für grundrechtsverletzend erklärt werden, würde die Software bis dahin eingesetzt.

Ein Uploadfilter wäre die Grundlage für eine Technik, die die Meinungsfreiheit von sehr vielen Menschen gefährden könnte.


Expert*innen gegen Urheberrechtsreform

Aus all diesen Gründen seien auch Expert*innen aus Recht und Politik gegen die geplante Umsetzung der Urheberrechtsreform.
"Fast alle Expert*innen, die ein technisches Grundverständnis vom Netz haben - inklusive der netzpolitischen Sprecher*innen ALLER Parteien in Deutschland - lehnen dieses Gesetz ab." - Simon Hurtz
Nur die Kultur- und Wirtschaftspolitiker*innen seien dafür. Es scheine aber, als seien ihnen die Auswirkungen des Gesetzes nicht bewusst, meint Simon. Der Journalist kritisiert aber auch die Gegner*innen der geplanten Reform. Sie würden nicht immer mit sauberen Mitteln für ihren Standpunkt werben: mit falschen Darstellungen zu argumentieren und Panik zu verbreiten findet Simon falsch - genauso gelte das aber auch für die Befürworter*innen der Reform.




Jonathan Babelotzky über die Auswirkungen

Jonathan Babelotzky ist bei der Piratenpartei und zuständig für die Themen Urheberrecht und Uploadfilter, außerdem ist er politischer Geschäftsführer der Piratenpartei in Bayern. Veranstaltungen wie den Christopher Street Day sowie Demonstrationen gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz (noPAG) oder gegen die Urheberrechtsreform (#SaveYourInternet) hat er mitorganisiert.

Anspruch auf Ausgleichszahlungen

Jonathan berichtet, dass nicht nur der am häufigsten genannte Artikel 13 der Reform problematisch sei:
"Artikel 12 ist eine Art Entrechtung aller Künstler*innen und Kreativen" - Jonathan Babelotzky 
Der Artikel besagt nämlich: Wenn ein Werk auf irgendeine Website oder einen Online-Dienst hochgeladen werde, hätten die Betreiber*innen ein Recht auf Ausgleichszahlungen auf alle Einnahmen, die der/die Künstler*in mit seiner Arbeit verdient.

Konkret würde das bedeuten: Wenn eine Band ein Konzert spielt, dann hätten alle Dienste, auf denen die Songs hochgeladen wurden, durch Art. 12 ein Recht auf einen Anteil an den Einnahmen der Band von dem Konzert. Die Argumentation der Befürworter*innen des Artikel 12? Die Plattformen bekämen eine Managementfunktion, vergleichbar mit einem Label.

Weil auch YouTube, Spotify und Co. für die Verbreitung der Musik und deren Reichweite sorgen, sollten sie an solchen Einnahmen beteiligt werden - so die Argumentation.

Verstöße werden wohl teuer

Aber das ist nicht das einzige Problem, das Jonathan Babelotzky in der geplanten Reform sieht. Von den geplanten Änderungen wären nicht nur die großen und bekannten Plattformen betroffen. Alle Internetseiten mit einer Upload-Möglichkeit müssten die Regelungen umsetzen, selbst wenn es nur eine Kommentarspalte gibt. 

Wenn du zum Beispiel ein Gedicht schreibst, ist es sofort urheberrechtlich geschützt. Wird dieses Gedicht auf einer Website als Kommentar gepostet, könnte der/die Betreiber*in deswegen verklagt werden.
"Die Abmahnindustrie ist gut vorbereitet und reibt sich bereits die Hände." - Jonathan Babelotzky 

Geoblocking für europäische Nutzer*innen

Aus Angst vor hohen Mahngebühren und gerichtlichen Auseinandersetzungen könnten jegliche Uploadfunktionen gesperrt werden und viele ausländische Internetangebote für europäische Nutzer*innen gar nicht mehr aufrufbar sein. Es wäre ein Schritt zurück in die Zeit, als auf YouTube viele Videos gesperrt waren - nur in viel krasserem Ausmaß.
"Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein amerikanischer, australischer oder sonstiger Dienst - irgendeine ausländische Zeitung - Lust hat, sich den EU-Gesetzen zu unterwerfen. Dann könnte es heißen: europäische IP-Adresse? Tut uns Leid, aber ihr könnt auf unser Angebot nicht zugreifen." - Jonathan Babelotzky 



Umsetzung ab Ende März - oder erstmal gar nicht?

Noch ist die Reform des Urheberrechts nur ein Vorschlag. Dass sich die Politiker*innen von ihrem Vorhaben in der dritten und letzten Lesung noch abbringen lassen, hält Jonathan aber für unwahrscheinlich. In zwei vorherigen Abstimmungen wurde den Plänen bereits zugestimmt. Außerdem läuft der ganze Prozess bereits seit 2016 - und alle wichtige Institutionen wie der Rechtsausschuss, die EU-Kommission und der Ministerrat haben schon grünes Licht für die aktuell vorliegende Reform gegeben.

Jonathan vermutet daher, dass der Entwurf bereits am 26. März oder am 28. März ratifiziert - also final unterzeichnet wird - und ab dann auch gilt. Die Reform müsste anschließend nur noch in nationales Recht umgesetzt werden, das würde vermutlich aber im Laufe des Jahres passieren.

Wenn die Politiker*innen von dem Protest beeindruckt sind und deshalb zunächst nicht zustimmen, wäre die Anpassung des Urheberrechts an die digitale Zeit vermutlich vorerst gescheitert - Glaubt der Journalist Simon Hurtz. Weil im Mai die Europawahlen anstehen und davor sicherlich kein neuer Anlauf gestartet würde. Der nächste Versuch für die Reform wäre dann wahrscheinlich erst in der nächsten Legislaturperiode - dann müssten neue Abgeordnete über die Sache diskutieren.



Die Interviews mit Simon Hurtz und Jonathan Babelotzky kannst du dir hier nochmal in voller Länge anhören:

  • Simon Hurtz (SZ) stellt klar, was bei der Reform geplant ist
    Das Interview zum Nachhören
  • Jonathan Babelotzky (Piratenpartei), was das Gesetz für Folgen hätte
    Das Interview zum Nachhören

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