40 Jahre CSD in München

40 Jahre CSD in München

Was hat sich seitdem verändert und was muss sich erst noch ändern

Wir feiern in München 40 Jahre Christopher Street Day und haben mit Stephanie Gerlach, die schon bei der ersten Parade 1980 mit gelaufen ist, darüber gesprochen, was sich seitdem verändert hat.

Stephanie Gerlach ist Sozialpädagogin, Autorin, hat die Beratungsstelle Regenbogenfamilien Zentrum mit aufgebaut und gilt als die Vorkämpferin der LGBTIQ-Szene in München.
  • Stephanie Gerlach zu Gast bei egoFM
    Das Interview zum Nachhören

Angespannte Stille statt wummernden Bässen

Vor 40 Jahren war der CSD natürlich ganz anders, erzählt Stephanie. Sie waren damals 150 Personen und es herrschte eine gewisse Grundnervosität. Keine*r wusste genau, was eigentlich passiert, wenn man plötzlich auf die Straße geht und sich so öffentlich zeigt. Es gab keine laute Musik oder große Wägen, stattdessen herrschte eine angespannte Stille.

"Von diesem Stolz, wie wir ihn heute kennen, war das natürlich alles meilenweit entfernt." Stephanie Gerlach

Inzwischen ist der CSD zwar auch eine große Party - trotzdem steht die Demonstration und die politischen Forderungen im Mittelpunkt. Es ist dank des CSD bereits viel passiert, weil sich immer mehr Menschen aus der Szene für ihre Rechte einsetzen, aber am Ziel ist die Community noch lange nicht, sagt Stephanie.

Die größten Meilensteine der letzten Jahre


Den größten Erfolg sieht Stephanie darin, dass die Existenzen und Beziehungen von Personen aus der LGBTIQ-Szene rechtlich anerkannt wurden. Früher gab es weder die Ehe für alle noch die eingetragene Lebenspartnerschaft. Dabei ist es wichtig, dass homosexuelle Menschen ihre Familie genauso absichern können, wie es heterosexuelle Menschen eben auch können. Es geht einfach darum, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben.

Kinderwunsch in Regenbogenfamilien

Stephanie hat das "Handbuch für Regenbogenfamilien" geschrieben. In dem Buch geht es um die Frage, wie LGBTIQ-Menschen ihren Kinderwunsch am besten umsetzen können.

2005 erschien außerdem zusammen mit einer Kollegin ihr Buch "Und was sagen die Kinder dazu", von dem sie 10 Jahre später einen zweiten Teil veröffentlicht haben. In beiden Büchern sprechen dieselben Kinder über ihr Aufwachsen bei Eltern aus der LGBTIQ-Community.

Im Vergleich zu 1980, als das Thema Kinderwunsch in der Szene ein absolutes Tabuthema war, hat sich viel getan. Damals bedeutete eine gleichgeschlechtliche Beziehung automatisch Kinderlosigkeit. Das hat sich vor allem 2001 mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft geändert. Ein zweiter großer Schritt war die Stiefkind-Adoption 2005.

Aber auch heute gibt es noch Probleme, die gelöst werden müssen.

Zum Beispiel die Tatsache, dass ein Kind, das in eine lesbische Beziehung hineingeboren wird, nicht automatisch rechtlich das Kind von beiden Frauen ist. Die nicht-leibliche Mutter muss das Kind erst über ein aufwendiges Stiefkind-Adoptionsverfahren adoptieren.

"Das ist sehr sehr bitter, sehr bitter. Weil das wird als diskriminierend, umständlich und vor allen Dingen auch verunsichernd erlebt, […]." – Stephanie Gerlach

Stephanie sagt, dass Reformvorschläge zwar vorliegen und Veränderungen eigentlich möglich wären, wenn die Regierenden nur wollen würden - aber es ist schlicht kein großes Interesse vorhanden, Regebogenfamilien das Leben einfacher zu machen.

Heute sieht Stefanie sogar eine gewisse Rückentwicklung im Bezug auf Homophobie:

"Wir haben uns sehr sehr viel erkämpft, nichts ist uns geschenkt worden. Aber es kann uns ganz schnell wieder weggenommen werden." – Stephanie Gerlach

Die Entwicklung, in der sich stetig alles zum Besseren für die LGBTIQ-Community verändert, ist nicht mehr selbstverständlich. Mit dem Engagement und den Bemühungen darf deswegen auf jeden Fall nicht nachgelassen werden.

Sichtbarkeit ist enorm wichtig


"Zu sehen wie jemand lebt, ist keine Privatangelegenheit. Sexualität ist eine Privatangelegenheit, aber wenn ich sage, ich war mit meiner Frau beim Einkaufen, dann spreche ich nicht über meine Sexualität, sondern dann spreche ich über meinen Alltag." – Stephanie Gerlach

Stephanie Gerlach sagt, so lange dies aber etwas Anderes ist, als wenn sie sagen würde, sie war mit ihrem Mann einkaufen, gibt es noch viel zu tun. Und es ist wichtig, dass Diskussionen und Veränderungen öffentlich sind. Denn auch das totschweigen, der Versuch, die Szene nicht existent zu machen, ist eine große Form der Homophobie.

Auswirkungen der Coronakrise 

Ein großes Problem wäre es deswegen auch, wenn LGBTIQ-Treffpunkte die Coronakrise nicht überleben sollten. Denn diese Orte bieten sowohl Sichtbarkeit als auch Sicherheit. Und auch, dass der CSD dieses Jahr nicht wie geplant stattfinden kann, ist sehr schade, erzählt die Stephanie.

"Ich finde dieses Rausgehen und draußen auf der Straße zeigen: uns gibt’s, wir sind viele, schaut uns an, sprecht mit uns, feiert mit uns und unterstützt uns in unserem Kampf um gleiche Rechte – da gibt es für mich keine Alternative dazu." – Stephanie Gerlach



Natürlich sind die online Angebote wichtig und richtig, aber das Lebensgefühl das aufkommt, wenn man mit Tausenden gemeinsam auf der Straße ist, kann damit natürlich nicht verglichen werden - wir drücken deswegen alle die Daumen, dass der CSD nächstes Jahr wieder normal stattfinden kann. 

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