Sobald es um Gerichtsprozesse geht, schauen viele von uns ganz gebannt zu. Jemand, der das seit über 30 Jahren beruflich macht, ist der Gerichtsreporter Stefan Wette.
Die Arbeit eines Gerichtsreporter
Stefan Wette wollte schon mit zwölf Jahren Journalist werden und hat bereits vor dem Abitur angefangen, bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) zu arbeiten.
"Mir fiel auf, dass viele Leute nicht informiert sind und ich dachte, man muss die Leute informieren - ausführlich - damit sie überhaupt eine eigene Meinung entwickeln können. Und das war so der Antrieb." - Stefan Wette
Heute arbeitet er als Gerichtsreporter bei der WAZ und hat im Interview erzählt, wie sein Alltag aussieht und welche Prozesse ihn bisher am meisten bewegt haben.
Stefan Wette über seine Arbeit als Gerichtsreporter
Das komplette Interview zum Anhören
Als Jungredakteur hat Stefan Wette in einer kleinen Redaktion in Dorsten gearbeitet und sich um die Polizeimeldungen gekümmert.
Mit der Zeit wurde er neugierig, wie es eigentlich mit den Polizeiermittlungen vor Gericht weitergeht und hat schnell gemerkt, dass das Berichten aus dem Gerichtssaal ein sehr lohnendes Arbeitsfeld ist, bei dem die Menschen und ihre Geschichten im Mittelpunkt stehen.
Und früher hatte zwar fast jede Zeitung einen Gerichtsreporter, in den 60ern und 70ern wurden viele dieser Stellen allerdings abgebaut. Bis seine Stelle 1990 dann tatsächlich für ihn geschaffen wurde, hat er dementsprechend etwas Aufwand betrieben und dem Chefredakteur der WAZ mehrere Jahre lang geschrieben, um ihn von der Wichtigkeit eines Gerichtsreporters zu überzeugen. Nun arbeitet er dort bereits seit über 30 Jahren.
"Ich gehe jeden Tag hin [in den Gerichtssaal] mit einer gewissen Freude, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Prozesse, die langweilig erscheinen, können plötzlich eine Wendung kriegen und sind dann ganz spannend. Und andere - da denkst du, heute wird es spannend und dann werden da nur Anträge gestellt und das Ganze wird langweilig. Weil so viele Menschen beteiligt sind, ist das eben unberechenbar." - Stefan Wette
Während der Verhandlungen sitzt Stefan Wette still da, hört zu und schreibt mit.
Vor und nach der Verhandlung und auch während den Pausen unterhält er sich dann mit den Jurist*innen und wer wie er schon länger dabei ist, spricht auch mit den Richter*innen, Staatsanwält*innen und Verteidiger*innen.
"Wir arbeiten eng mit den Mächtigen zusammen über die wir schreiben, aber wir müssen, wenn es nötig ist, auch kritisch über sie schreiben." - Stefan Wette
Als Reporter für eine Regionalzeitung, die meist beim Familienfrühstück gelesen wird, beschreibt er die verhandelten Grausamkeiten nicht allzu detailliert. Das ist für die Geschichte auch meist gar nicht nötig, erzählt er, die Storys sind auch ohne grausame Details spannend. Wer regelmäßig aus dem Gerichtssaal berichtet weiß außerdem, wie man berichten und einordnen kann, ohne, dass es zum Voyeurismus wird.
"Voyeurismus ist ja nicht unsere Aufgabe. Wir nutzen diese Fälle von fremden Leben von fremden Menschen, um zu vermitteln, wie die dritte Gewalt im Staat arbeitet, um zu vermitteln, wie verhalten sich Menschen in Extremsituationen, um zu beschreiben, warum werden sie Straftäter, wie ist das Empfinden der Opfer. So was wollen wir beschreiben und da wäre Voyeurismus sicherlich der falsche Weg." - Stefan Wette
In seiner Zeit als Gerichtsreporter haben ihn vor allem zwei Fälle ganz besonders bewegt.
Der erste ist der Brandanschlag 1993 in Solingen, bei dem vier junge Menschen mit rechtsextremen Hintergrund nachts das Haus einer türkischen Familie angezündet haben. Fünf Anwohner*innen des Zweifamilienhauses sind damals gestorben. Einer der 15-jährigen Täter war Sohn eines Arztehepaares, welches zu ihrer eigenen Studienzeit extrem links agierte und nicht wahrhaben wollte, dass ihr Sohn bei einer solchen Tat beteiligt war, erzählt Wette. Die Eltern hatten gute Kontakte in die Journalismus-Szene und haben immer wieder öffentlich beteuert, dass die Falschen auf der Anklagebank sitzen würden.
"Ich habe mir die Beweisaufnahme in Ruhe angehört - so wie es immer der Fall ist - und war dann irgendwann auch der Ansicht, da sitzen schon die Richtigen. Und ich fand das so entwürdigend, wie im Gerichtssaal dann weiter die Nummer lief 'hier sitzen die Falschen'. Und das angesichts der Überlebenden aus dieser Opfer-Familie." - Stefan Wetter
Der andere Prozess, der ihm sehr im Gedächtnis geblieben ist, ist der eines Arztes vom Essener Universitätsklinikum, der auch als "Leberpapst von Deutschland" bekannt ist. Gegen "Spenden" in Höhe von bis zu zehntausend Euro, die angeblich auf sein Forschungskonto gehen sollten, hat dieser Kassenpatient*innen operiert. Dafür hat er ihnen zum Teil vorgetäuscht, sie seien todkrank und würden ein paar Monate später an Krebs sterben, wenn er sie nicht operiert. In einigen Fällen stimmte das nicht.
"Das fand ich so menschenverachtend, dass jemand in dieser Position, der ja wohlhabend genug ist, so vorgeht gegen andere Menschen." - Stefan Wette
Über diesen und viele weitere bewegende Fällte spricht Stefan Wette gemeinsam mit Brinja Bormann im Podcast "Der Gerichtsreporter".
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