Alles Eigenverantwortung bei der Altersvorsorge?

Alles Eigenverantwortung bei der Altersvorsorge?

Meinung: Der Generationenvertrag ist am Ende

Von  Miriam Fischer
Ob ich Millennial bin oder schon zur Gen Z gehöre, wird wohl nie endgültig geklärt, fest steht aber: Um mal von der gesetzlichen Rente leben zu können, bin ich wohl zu spät dran.


Unser Rentensystem steht kurz vor dem Kollaps

Zu diesem Ergebnis kamen Forschende des wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums in einem Gutachten. Es heißt dort, dass es zu "schockartig steigenden Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025" kommen wird. Andere Quellen relativieren diese Aussagen etwas, weil der Bericht auf Spekulationen basieren soll - sicher ist aber, dass beim Thema Rente so gut wir gar nichts sicher ist. 

So funktioniert das aktuelle Rentensystem in Deutschland:

Die Altersvorsorge stützt sich in Deutschland auf drei Säulen: Die gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche Altersvorsorge und die private Altersvorsorge. Eigentlich sollte die gesetzliche Rentenversicherung im Alter die Existenz sichern und die betriebliche und die private eine Absicherung on top sein - dieser Plan geht nur leider mit dem aktuellen System für junge Menschen nicht mehr auf.

Stichwort Generationenvertrag 

Aktuell läufts so: Alle Arbeitnehmenden und Auszubildenden zahlen in die Rentenversicherung ein, dabei zahlt die eine Hälfte der Arbeitgeber*innen, die andere Hälfte der*die Arbeitnehmende. Aus diesen heute eingezahlten Einnahmen bekommen die aktuellen Rentner*innen ihre Bezüge - was ich jetzt einzahle hat also erst mal nichts mit meiner eigenen Rente zu tun. Aaber, wenn ich dann selbst in Rente gehe, müssen eben die nächsten Generationen für meine Rente einzahlen. Das Prinzip nennt man Umlagesystem beziehungsweise Generationenvertrag. In der Theorie und in der Vergangenheit mag das super funktioniert haben, inzwischen aber nicht mehr. 

Und deswegen funktioniert es eben eigentlich nicht mehr:

  1. Die Corona-Pandemie hat den Bundeshaushalt sowieso schon extrem strapaziert
  2. Die Lebenserwartung steigt und damit auch der Zeitraum, in dem Renten bezogen werden 
  3. In den kommenden Jahren gehen viele Menschen der Babyboomer-Generationen in den Ruhestand, gleichzeitig kommen aber weniger junge Menschen nach, die einzahlen können (demografischer Wandel). Anders ausgedrückt: Immer weniger junge Menschen müssen für immer mehr alte Menschen zahlen. 

Das kann nicht funktionieren. Die Folge: Jungen Menschen - und ganz besonders jungen Frauen - droht später die Altersarmut.


Wer in 45 Arbeitsjahren durchschnittlich einen Monatslohn von 2350 Euro brutto oder weniger bekommen hat, würde mit dem aktuellen System unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle landen - das betrifft aktuell ungefähr jede fünfte Person. Menschen aus dem Niedriglohnsektor, Minijobber*innen und Teilzeitarbeiter*innen haben oft überhaupt keine Chance, später mal eine Rente über der Grundsicherung zu bekommen. Bereits im Jahr 2019 gab es um die 6,3 Millionen Vollzeitarbeitnehmer*innen, die im Alter mit einer Rente unterhalb von 1200 Euro brutto rechnen müssen. Das teilte das Bundesarbeitsministerium auf Anfrage der Links-Fraktion dieses Jahr im März mit.

Um das aktuelle System aufrecht zu halten, müsste also entweder mehr eingezahlt oder das Renteneintrittsalter angehoben werden. Expert*innen sagen allerdings, selbst wenn wir bis 70 arbeiten würden, hätten wir im Endeffekt trotzdem noch weniger, als aktuelle Rentner*innen. Hieße also länger arbeiten und weniger Geld bekommen. Nice!

Die Lösung für alles: Eigenverantwortung

Im Moment heißt es also, wenn du weder mit über 70 noch arbeiten, noch in der Altersarmut landen willst, kümmer dich selbst um deine Altersvorsorge. Investier am Besten in irgendwelche ETFs, von denen du nicht so richtig Ahnung hast und die im besten Fall noch Konzerne wie Google, Facebook oder Coca Cola und im schlechtesten Fall Nuklearwaffen finanzieren. So mach ich das und damit gehör ich schon zur privilegierten Seite.

Es gibt natürlich auch grüne Banken und Geldanlagen - welche Vor- und Nachteile die mit sich bringen, erfährst du hier. 

Wenn du dir diese und ähnliche Investitionen aber nicht leisten kannst (weil du vielleicht sowieso schon jeden Monat nur gerade so zu Recht kommst), verdienst du hoffentlich so wenig, dass du später ein bisschen Grundrente bekommst - alles dazwischen soll dann irgendwie die betriebliche Altersvorsorge regeln, die es im Niedriglohnsektor oft gar nicht gibt. Drei Säulen-Modell sieht anders aus, oder soll sich einfach jede*r eine Säule aussuchen, um irgendwie zu überleben?


Wann sich die betriebliche Altersvorsorge lohnt und welche Vor- und Nachteile sie hat, erfährst du zum Beispiel hier. Der Finanzexperte Herman-Josef Tenhagen empfiehlt zum Beispiel mindestens 20 Prozent Zuschlag seitens des Arbeitgebers und einen Rentenfaktor von über 25. 


Die Verantwortung wird an die Bürger*innen abgegeben und das kann und darf nicht die Lösung sein.


Denn das hieße ja für mich: Ich finanzier aktuell die Rente der älteren Menschen, muss aber später selbst für meine Rente aufkommen. Ich zahl also quasi zweimal. Nicht so geil, ehrlich gesagt. Und ich kann mich nur wiederholen: Menschen aus dem Niedriglohnsektor bleiben dabei eh komplett auf der Strecke. 

Es braucht eine grundsätzliche Änderung des Systems! 

Denn die bisherigen Anpassungen, jioa - überzeugen nicht wirklich. Um das Rentensystem attraktiver zu machen, wurde zum Beispiel die Rente mit 63 und die Mütterrente eingeführt. Außerdem gibt seit dem 1. Juli 2021 die Grundrente, also ein Zuschuss für Rentner*innen, die nur eine geringe Rente beziehen. Is doch mega denkst du? Klar, das sind durchaus Veränderungen, die cool klingen und Wähler*innen anlocken, das Problem ist halt nur: Diese Veränderungen kosten leider jede Menge Geld und zeigen absolut keine dauerhafte Lösung. Im Gegenteil, sie wälzen - mal wieder - das Problem auf nachfolgende Generationen ab. Vielen Dank dafür, den Planeten vor dem Untergang zu retten ist eh noch nicht genug. 

Aaber, das Thema Rente war ja auch im Wahlkampf präsent, dann hat ja eine neue Regierung sicher umfassende Reformen für die nächsten Jahre geplant. Oder? Oder?


Die Lösungsvorschläge der Ampelkoalition:

  • Das Mindestrentenniveau von 48 Prozent soll gesichert werden
  • Das Renteneintrittsalter nicht angehoben werden
  • Es soll eine Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente geben, um die Rente trotz des demografischen Wandels zu stabilisieren
  • Es soll eine höhere Erwerbsbeteiligung geben, vor allem bei Frauen
  • Außerdem soll es eine Reform der privaten Altersvorsorge geben, Stichwort "Rentenfonds"

Welche Vor-und Nachteile diese kleinen Veränderungen jeweils mit sich bringen, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, klar ist aber:

Eine grundsätzliche Änderung sieht anders aus. Expert*innen sehen in diesen Vorschlägen keine langfristige Lösung, sondern lediglich eine Möglichkeit, das Rentensystem die nächsten vier Jahre zu sichern.

Also alles eher wieder nach dem Motto "Nach mir und meiner Kernwähler*innenschaft die Sintflut". Meiner Meinung nach könnten wir stattdessen endlich mal Geringverdiener*innen besser bezahlen (also ein Mindestlohn von 13 Euro, ohne Schlupflöcher), dann gäb's nämlich auch höhere Einnahmen für die Rente. Und so hätten die Arbeitnehmer*innen auch bei steigenden Rentenbeiträgen noch mehr Geld. Wir könnten auch die Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen, oder am liebsten einfach die unzähligen Beamt*innen. Damit würden wir auch diese Zweiklassengesellschaft beenden, gerne übrigens auch bei der Krankenversicherung. Ooder wir schaffen das Beamtentum einfach gleich ab!

Falls du bessere Ideen dafür hast, das Rentensystem endlich grundlegend zu erneuen, immer her damit, ich bin für Gegenvorschläge offen - Hauptsache, es wird ausnahmsweise mal von oben nach unten umverteilt. Denn irgendwo her muss das Geld kommen, wenn wir nicht ewig weiter die Beitragszahlungen und das Rentenalter erhöhen wollen, bis uns das Ganze um die Ohren fliegt.


Denn ja, ich bin nicht mal 30 und leg schon monatlich Geld in ETF-Fonds an damit ich irgendwie das Gefühl habe, im Alter nicht am Existenzminimum zu kratzen  – trotzdem würde ich mich freuen, wenn das nicht nur komplett meine Verantwortung wäre, sondern sich da dann doch mal langsam wieder der Staat mit richtigen Reformvorschlägen einschalten würde. Eigenverantwortung schön und gut, wer das kann - unbedingt. Aber die private Vorsorge darf nicht die gesetzliche Rente ersetzen. 

Design ❤ Agentur zwetschke