Neulich haben sich ein paar Autor*innen kritisch gegenüber Büchereien und vor allem der Onleihe geäußert. Die Kritik findet unsere Autorin unberechtigt.
Die Idee der Bücherei ist ziemlich genial
Klar, ich als Kind einer Bibliothekarin, das zahlreiche Nachmittage zwischen Tausenden von Büchern verbracht hat, muss das ja sagen (Hallo Mama!). Weil das ganze Konzept gerade aber mal wieder unter der Kritik steht, sehe ich es irgendwie als meine Pflicht an, mal eben Werbung für diesen wunderbaren Ort zu machen und die vielen noblen Vorteile einer Bücherei zu erörtern, bevor wir zur Kritik kommen.Büchereien bieten einen Überblick und fördern die Leselust
Wer sich Bücher gerne abseits populärer Empfehlungen anschafft, weiß, dass es ein ziemlicher Kraftakt sein kann, im Blätterwald schöne neue Exemplare zu entdecken - letztlich weißt du nicht, ob sich das, was du gerade für Geld besorgt hast, deiner Zeit wirklich wirklich würdig ist. Büchereien nehmen zum einen etwas von der Sucharbeit auf sich, indem sie schon mal eine kuratierte Auswahl anbieten. Zudem hast du die Möglichkeit, vor dem Ausleihen persönlich einen Blick in das gute Stück zu werfen und bekommst so ein gutes Empfinden dafür, ob sich das Werk lohnt zu lesen oder es sich um einen reinen Zeitfresser handelt.Eine Sache der Barrierefreiheit
Zum einen aus sozialen Aspekten (nicht alle Menschen können sich einen hohen Buchkonsum finanziell leisten), zum anderen gerade in Betracht auf die Onleihe aus physischen Aspekten. Immerhin ermöglicht diese es auch Menschen, die aus körperlichen Gründen nicht mir nichts dir nichts die nächste Buchhandlung oder Bibliothek besuchen können, an Literatur ranzukommen.Eine Sache der Nachhaltigkeit
Für ein Kilogramm Papier werden 2,2 Kilogramm Holz benötigt. Nehmen wir an, die Seitenmenge eines Romans bringt 400 Gramm auf die Waage, dann wurden dafür 880 Gramm Holz benötigt. Eine durchschnittliche Fichte birgt 1475,8 Kilo Holz - also könnten wir rund 1.677 Exemplare des Beispielbuches daraus gewinnen. Die durchschnittliche Auflage eines Romans umfasst 4.000 Exemplare. Für einen einzigen Buchtitel werden also schon mal 2,4 Fichten benötigt. Jährlich erscheinen in Deutschland rund 70.000 Buchtitel, was in Kombination mit der durchschnittlichen Auflage also 116.666.667 Fichten pro Jahr entspricht. Das sind viele Fichten. Hinzu kommt dann natürlich noch der Energieaufwand, der für die Produktion der Bücher benötigt wird: Bei unserem Beispielbuch wären dies rund zwei Kilogramm pro Exemplar. eBook-Reader sind eine Alternative zum analogen Buchkonsum, allerdings nicht unbedingt nachhaltiger. Utopia.de hat sich mit der Ökobilanz von Büchern und Readern noch näher auseinandergesetzt. Das Ergebnis: Damit sich ein eBook-Reader gegenüber gedruckten Büchern lohnt, musst du 50 Exemplare lesen.Also, nachdem wir uns jetzt etwas in Zahlen verloren haben, zurück zum Thema: Durch die vielen Ressourcen, die für die Buchproduktion anfallen, ist eine Büchereimitgliedschaft definitiv eine Möglichkeit des nachhaltigen Bücherverschlingens.
Eine Sache der Ordnung
Natürlich kann man gekaufte Bücher in regelmäßigen Abständen auch einfach wieder über Internet oder auf Flohmärkten verticken oder in Bücherschränke stellen. Man kann auch mit Hunderten - TAUSENDEN - Büchern das eigene Heim wunderbar dekorieren, sei es als imposante Bücherwand oder fetziger Regenbogen im Regal - völlig legitim. Aber wer das ein oder andere Mal schon mal umgezogen ist und weiß, dass es ziemlich sicher nicht das letzte Mal sein wird, weiß, wie toll es ist, nicht allzu viele Bücherkisten schleppen zu müssen mit Objekten, die man zum größten Teil wahrscheinlich eh nie mehr öffnen wird. Und genau zu diesem Zweck bietet sich eine Mitgliedschaft in der Bücherei doch an.Eine Sache der Gemeinschaft
In einer Welt, in der Geld regiert, finde ich den Sharing-Gedanken einfach wunderschön. Warum müssen wir immer alles gleich besitzen und können nicht einfach teilen?Letztlich ist die Bücherei aber einfach ein Ort der sich dafür einsetzt, dass Kulturgut kein Luxus, sondern Ware für alle ist. Und damit ziemlich fair. Das ist zumindest meine Meinung - aber, da gibt es ja noch...
...Die andere Meinung
In einem offenen Brief empören sich zahlreiche Autor*innen und Verlage am Konzept, für einen jährlichen Mitgliedsbeitrag so viele Bücher auszuleihen, wie verfügbar sind. Besonders unfair empfinden die Kulturschaffenden dabei die Möglichkeit der Onleihe.Kritik an der Onleihe
Die Onleihe ist ein Online-Verleihsystem von digitalen Medien, also zum Beispiel eBooks, elektronische Magazine oder Hörbücher. Um an diese Medien ranzukommen, musst du allerdings Mitglied einer Bücherei sein, bei der du auch einen Beitrag zahlst.Das System ist ziemlich beliebt: 2020 machten von der Onleihe ausgeliehene eBooks 40 Prozent des gesamten eBook-Konsums in Deutschland aus. Die Kritik an der Onleihe kommt also gerade von Verlagen und Autor*innen und lautet: Wettbewerbsverzerrung, Eingriff in die Urheberrechte und "Flatrate-Denken" (ich finde den Ausdruck wirklich grauenhaft, immerhin impliziert es, es würde sich bei den Büchern um Ware handeln, die man gar nicht zu schätzen weiß).
Vor ein paar Wochen haben 190 Schriftsteller*innen und Kulturschaffende, darunter die Bestseller-Autor*innen Frank Schätzing und Juli Zeh, zu diesem Thema einen offenen Brief veröffentlicht, um unter dem Slogan "fair lesen" für eine gerechte(re) Entlohnung zu kämpfen. Natürlich klingt das erstmal verständlich - Künstler*innen sollen definitiv für ihr Schaffen fair bezahlt werden.
Allerdings lässt sich das System nicht mit dem von anderen Flatrate-Plattformen wie Spotify oder Netflix vergleichen. Es ist nämlich nicht so, dass unbegrenzt viele Nutzer*innen zur selben Zeit auf das selbe eBook zugreifen können.
Um eBooks im Sortiment anbieten zu können, müssen Bibliotheken erstmal über die Onleihe Lizenzen dafür kaufen - man kann sich nur Verbildlichung das analoge Beispiel vorstellen: Hier muss die Bibliothek auch erstmal in das physische Objekt investieren, um es ins Regal stellen zu können. Wenn es ausgeliehen ist, kann es niemand anderes ausleihen - das gleiche gilt für das eBook in der Onleihe. Bei einer Ausleihfrist von zwei bis drei Wochen können eBooks laut dem Bibliotheksverband pro Jahr also lediglich 18 bis 26-mal gelesen werden.
Um den Vergleich zwischen digital und analog zu perfektionieren, sind die Lizenzen der eBooks zudem zeitlich beschränkt, um einen Verschleiß zu simulieren: Genauso wie ein Buch mit der Zeit nach und nach kaputt geht, irgendwann aus dem Sortimente genommen wird und neu gekauft werden muss, müssen auch Lizenzen von eBooks erneuert werden. Jetzt frage ich: Ist das nicht irgendwie genial und viel fairer (für die Künstler*innen) als Spotify und Netflix?
Die Sorge der Autor*innen, sie würden durch die Onleihe große Einbußen machen, sind sowieso nicht ganz begründet. Erstmal gibt es schon mal nicht alle eBooks dieser Welt auch in der Onleihe. Zudem kann man die digitalen Werke nicht auf dem Kindle lesen, sondern nur auf dem PC/Laptop oder Tablet. Außerdem muss man - wie schon gesagt - manchmal einige Wochen warten, bis ein eBook zum Ausleihen wieder verfügbar ist. Wer also einen unglaublichen Hunger auf ein bestimmtes Werk hat, kauft es unter Umständen dann doch eher, statt ewig darauf zu warten. Und, was ganz entscheidend ist: Nicht alle Bücher, die in der Bücherei ausgeliehen werden, würden auch in einer Buchhandlung gekauft werden. Die Konsumschwelle beim Leihen ist viel geringer, als wenn man einen zusätzlichen Betrag dafür ausgeben muss.
Das alles heißt aber nicht, dass das System der Onleihe makellos ist.
Hier fällt das Stichwort: Bibliothekstantiemen. Dabei handelt es sich um einen Betrag, den Büchereien für physische Bücher blechen: 4,3 Cent. Diese werden an die VG Wort gezahlt, die den Betrag in 3 Cent für den*die Autor*in und 1,3 Cent für den Verlag aufteilt. Diese Bibliothekstantiemen gelten noch nicht für eBooks, was definitiv sinnvoll für die Zukunft wird, in der die Zahlen von eBook-Ausleihen sicherlich noch steigen werden.Kapitalismus vs. Kultur, die bezahlbar für alle ist
Bei dieser ganzen Diskussion zwischen Autor*innen und Bibliotheken dürfen wir eine Sache nicht vergessen: Während es den einen um Geld geht, geht es den anderen darum, der breiten Gesellschaft ein Kulturangebot zu machen, das sich die Konsument*innen auch leisten können. Gerade Vielleser*innen müssten für ihre Leidenschaft tief in die Tasche greifen, wenn es das Prinzip der Büchereien nicht geben würde, was dazu führen würde, dass Literaturkonsum den Menschen vorenthalten ist, die auch die finanziellen Mittel dafür haben. Und das ist absolut kein fairer Gedanke. Wenn der Millionär Frank Schätzing den Nutzer*innen der Onleihe also Geiz vorwirft, könnte man ihm genauso gut Gier vorwerfen.Zum Glück denken nicht alle Autor*innen so, wie etwa Jasmin Schreiber, die sich ausdrücklich vom offenen Brief ihrer Kolleg*innen distanziert:
Bitte leiht meine Bücher in
— 📖 Jasmin ‚liebt Bibliotheken’ Schreiber (@LaVieVagabonde) October 22, 2021
❤️Bibliotheken❤️
aus und verleiht sie auch untereinander. Lest sie, lest sie, lest sie!
Bücher sind nicht billig. Nicht jede Person kann sich ein 20 € Hardcover leisten. Das hat überhaupt nichts mit „Geiz ist geil“ zu tun.#fairlesen pic.twitter.com/9b36qnpAsg
Die schönsten Büchereien der Welt
Gut, genug des schweren Themas! Nun richten wir unseren Blick zum Schluss noch auf eine sehr, sehr schöne Sache. Büchereien riechen nämlich nicht nur unglaublich gut, sondern können auch wahnsinnig schön sein. Hier ein paar besonders bemerkenswerte Exemplare, einfach zum Durchklicken:Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
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