Menschen, die an Akrophobie leiden (so der Fachbegriff), wird allein schon beim Gedanken an ein hohes Gebäude schwindelig. Aber woran liegt das genau? Und ist diese Angst wirklich angeboren? Wir haben mal nachrecherchiert...
Hoch hinaus wollen viele lieber nicht. Tatsächlich haben die meisten Menschen Höhenangst, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen.
Es gibt aber Wege, die Angst vor'm Fall in den Griff zu bekommen: Lifecoachin Nima Ashoff erzählt unserer Moderatorin Anna über ihre Geschichte mit großer Höhenangst - und wie ihr das Klettern dabei half und immer noch hilft, diese zu kontrollieren. Mit dem Arzt Dr. Falk Stirkat, der selbst an Höhenangst leidet, nimmt Anna außerdem diese Angststörung mitsamt Herkunft und Bewältigung genauer unter die Lupe.Aber was ist Höhenangst eigentlich genau?
Für jede*n Betroffene*n äußert sich Höhenangst anders. Für die einen löst allein der Gedanke höherer Dimensionen Unbehagen aus, andere fühlen sich erst in der Situation ängstlich, in der sie sich wirklich direkt mit der Höhe auseinander setzen müssen (beispielsweise an einer Brüstung).Laut Dr. Falk Stirkat hat Höhenangst viele Gesichter und viele Abstufungen, aber sie ist immer eine (zumeist) unberechtigte Angst, die sich auch in Panik auslösen kann.
Bei schlimmeren Fällen kann sich die Angst sogar zu einer Phobie entwickeln.
In diesem Fall lösen Situationen, wie der Weg über eine Brücke oder der Blick in die Tiefe, schon Schweißausbrüche oder Panikattacken aus, erzählt Dr. Falk Stirkat.Ist Höhenangst erlernt - oder doch angeboren?
In der Regel entwickeln sich Ängste oder extreme Vorsicht durch Erfahrungen im Laufe des Lebens. So lernt man als Kind beispielsweise, nicht mehr auf die heiße Herdplatte zu fassen, wenn man sich daran verbrannt hat.Bei der Höhenangst ist das anders, tatsächlich sprechen Expert*innen von einer angeborenen Furcht vor Höhe - soweit sie sich rational und in Maßen zeigt.
Man braucht die natürliche Höhenangst nämlich, um durch physiologische Reaktionen und den generellen Respekt vor dem Fallen den Menschen vor dem Gedanken zu bewahren, einfach so von einer Klippe zu springen, so Dr. Falk Stirkat. Es hat also quasi jeder Respekt vor Höhen und zittrige Knie am Abgrund - und das ist auch gut so. Entwickelt sie sich aber zu einer Angststörung, also zeigt sich in Momenten, die völlig harmlos sind, eine übertriebene Angst vor dem Fall zu verspüren, ist nicht angeboren.Besonders Eltern projizieren ihre Ängste häufig auf ihre Kinder. Höhenangst ist nämlich auch übertragbar - by proxy nennt sich das.
So projizieren Menschen, die selbst an Höhenangst leiden, aber im Moment gar nicht einer Situation in der Höhe ausgesetzt sind, diese Angst auf eine andere Person, die selbst aber sonst gar kein Unbehagen empfinden würde. Einfacher ausgedrückt: Eine Mutter muss gar nicht am Abgrund stehen, sie hat trotzdem große Höhenangst, wenn sie ihr Kind an der Klippe sieht - und überträgt diese Furcht auf ihren Nachwuchs.Den Mittelweg in der Erziehung finden, lautet die Devise. Weder Kinder ganz ohne Ängste zu erziehen, noch diese mit der elterlichen Angst zu ersticken, ist eine Lösung.
Wie man lernt, mit der Angst umzugehen
Augen zu und durch? Sicher nicht die beste Herangehensweise. Bei einer jahrelangen entwickelten Akrophobie sollte man sich im besten Fall professionelle Hilfe durch eine*n Psychotherapeuten*in suchen.Dr. Falk Stirkat stellt für leichtere Fälle noch eine andere Methode vor:
Eine sehr wirksame Herangehensweise ist, die Angst in jeder betroffenen Situation von eins bis zehn zu skalieren. Macht man dies öfters, schwächt sich das Angstgefühl nachgewiesener Weise wirklich ab.
Die Brücke, auf der man die Furcht anfangs noch bei einer Neun eingeschätzt hätte, wird plötzlich zu einer Zwei. Des Weiteren kann man die eigene Anspannung lindern, indem man sich der Angst langsam nähert, beispielsweise durch das Überqueren einer Brücke in sehr langsamen Schritttempo. Bei steigender Anspannung geht man einfach wieder ein paar Schritte zurück, wartet und sammelt erst nochmal Kraft, bevor es weitergeht. So soll man schrittweise eine langfristige Konfrontation mit der Angst erlernen, ohne direkt überfordert zu sein.Übrigens: Wer mehr von Dr. Falk Stirkat hören möchte, kann das in seinem Podcast DocPod mit dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Pablo Hagemeyer tun. Gemeinsam behandeln die Mediziner verschiedenste Gesundheitsthemen in einem Rahmen, der sowohl Experten als auch Laien begeistern kann.
Auch Nima hat sich ihrer Angst gestellt...
...und dabei ihre ganz eigene Herangehensweise erlernt, die sie mit der Welt teilen möchte. Als Lebenscoachin hilft Nima Ashoff Frauen und Männern, die sich ausgelaugt und vom Alltagstrott erdrückt fühlen, ihre Lebensfreude zurückzugewinnen. In der Höhe fühlt Nima selbst alles andere als Freude, seit sie denken kann, fürchtet sie ich vor dem Fall in die Tiefe. Und genau deshalb sagte sie vor sieben Jahren ihrer Höhenangst den Kampf an.Vor der Höhe an sich wie auf Türmen und Berggipfeln fürchtet sich die 45-Jährige aber nicht - der Weg zum Höhenpunkt ist das Problem. Und deshalb fing sie an zu Klettern.
Höhenangst und Klettern - geht das?
Beim Klettern geht es ja bekanntlich darum, nach oben zu kommen. Was aber, wenn sich die Gedanken eigentlich nur um das Gegenteil kreisen - dem Fall? Nima beweist, dass das Klettern auch mit Höhenangst möglich ist:"Jede*r Kletterer*in muss einen eigenen Weg finden, um mit der Höhe umzugehen. Sei es, dass man sich nur bis zu einer bestimmten Höhe wohlfühlt oder dass man nur im Nachstieg klettert, weil einen das Vorsteigen überfordert. Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, aber es schließt sich nicht grundsätzlich aus!"Das erste Mal, sich der Höhenangst zu stellen, war nicht einfach - aber gleichermaßen spannend, so die Lifecoachin.
Ihren Ängsten die Macht über sich selbst zu geben, stand endgültig außer Frage.
Die Mischung aus Nervenkitzel einerseits und der eigene Stolz, die Angst überwunden zu haben, gemischt mit einem Gefühl von Lebendigkeit, brachten Nima dazu, weiterzumachen.Dr. Falk Stirkat sagt dazu, dass Respekt oder eine leichte Angst vor der Höhe Kletter*innen sogar bedeutend helfen kann, Sicherheitsmaßnahmen vorzunehmen. Die Vorsicht der Sportler*innen wird damit geschult. Das sieht Nima genauso. Laut ihr kann die Angst helfen, um als Warnsignal beim Klettern zu dienen. Trotzdem dreht sich in ihrem Kopf beim Klettern oft hauptsächlich alles darum, nicht der Angst nachzugeben und sich dieser vielmehr zu stellen. Aber es lohnt sich, seine Angst zu konfrontieren.
Mehr als nur Klettern
Sich für das Klettern als Sportart zu entscheiden, half Nima Ashoff auch über die Höhenangst hinaus in schwierigen Situationen.Tipps, die ihr beim Klettern zu mehr Kontrolle über die Höhenangst verhalfen, nützten ihr später auch in verschiedensten Lebenssituationen.
Die gelernte Fokussierung, die beim Klettern unbedingt notwendig ist, und Entspannungstechniken, die sie bei aufkommender Panik beim Klettern anwendete, halfen ihr auch bei der Bewältigung anderer Ängste. Neben dem körperlichen Training schult das Klettern eben auch die mentale Fitness.Glaubenssätze, wie man sei zu alt oder zu unsportlich müssen überwunden werden, weil sie einfach nur ausbremsen. Für Nima geht es beim Klettern darum, sich selber Mut zu zusprechen und sich immer auf den nächsten Schritt zu konzentrieren. So kontrolliert man auch gleichzeitig die eigene Unsicherheit.
Nicht die Angst zu besiegen, sondern sie mitzunehmen, ist das Ziel.
Denn Spaß steht im Gegensatz zur krampfhaften Leistungssteigerung für Nima immer im Vordergrund. Genauso wichtig ist ihr, die Angst nicht krampfhaft besiegen zu wollen, weil das eher lähmend als förderlich ist:"In dem Moment, wo ich was weg haben möchte, entsteht ein gewisser Druck und das sorgt dafür, dass sich die Angst nur noch lauter zu Wort meldet."
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