Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Theresa Bergmann
Von Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Ein Jahr nach dem Militärputsch in Myanmar ist die humanitäre Situation extremer denn je - trotzdem halten die Proteste an.
Ein Jahr nach dem Putsch
Seit der Unabhängigkeit von Myanmar 1948 hat das Militär dreimal geputscht: 1962, 1988 und zuletzt vor einem Jahr, am 1. Februar 2021. Zuvor hatte das Land mit Aung San Suu Kyi zwar eine demokratisch gewählte Regierungschefin, trotzdem kam es auch schon vor dem Putsch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch das Militär. Seit letztem Jahr hat sich die Situation im Land dann aber noch einmal extrem verschärft.
Theresa Bergmann ist Asien-Expertin bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty Deutschland und hat mit Gloria über die humanitäre Situation in Myanmar gesprochen.
Theresa Bergmann im Interview
Das komplette Gespräch zum Anhören
In Myanmar kommt es täglich zu neuen Menschenrechtsverletzungen.
In den letzten 12 Monaten sollen mindestens 1.500 Menschen bei Demonstrationen getötet worden sein und mehrere Tausende sitzen in Haft und werden dort teilweise gefoltert. Das Militär verübt wahllose Luftangriffe und schneidet die Zivilbevölkerung von lebenswichtigen Gütern ab, Millionen Menschen leiden Hunger und haben keinen Zugriff auf medizinische Versorgung.
"Da geht es wirklich darum, dass das Militär die Vergabe von humanitären Hilfsgütern blockiert, dass Menschen sozusagen ausgehungert werden, dass die Vergabe von Medikamenten nicht funktioniert, dass Freiwillige, die sich engagieren und sicherstellen wollen, dass die Personen versorgt werden, angegriffen werden. Wir wissen von Festnahmen von Mitarbeiter*innen von lokalen Hilfsorganisationen, Straßen werden blockiert. Es ist wirklich eine unfassbare humanitäre Situation, das kann man so sagen." - Theresa Bergmann
Auch gegen Aktivist*innen, Menschenrechtler*innen, Medienschaffende und Künstler*innen wird hart vorgegangen. Einen minimalen Einblick, wie extrem die Lage vor Ort ist, zeigt dieses Video von Amnesty International:
Der Druck auf die zivile Bevölkerung wird immer höher
Bereits vor dem Putsch hat Amnesty International schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Myanmar dokumentiert. Damals ging es vor allem um die Rohingya, gegen die das myanmarische Militär ein System der Apartheid führt. Der Putsch vor einem Jahr hat das Land dann in eine tiefe Krise gestürzt und die humanitäre Lage ist extremer denn je.
"Alles vor dem Putsch war auch schon extrem besorgniserregend und seit dem Putsch sieht man eben, dass im Prinzip alles nur noch schlimmer wird." - Theresa Bergmann
Was ein Militärputsch eigentlich ist und welche (gescheiterten) Putsche es in der Vergangenheit schon gab, erfährst du hier im egoFM Reflexikon. Umso beeindruckender ist es, dass es in Myanmar nach wie vor zu Protesten kommt. Vor ein paar Tagen fand zum Beispiel ein sogenannter Silent Strike statt, bei dem Menschen in Myanmar Zuhause geblieben sind, sodass Straßen, Plätze und Geschäfte menschenleer waren. Der Widerstand bricht nicht ab und die Menschen vor Ort finden kreative Formen, gegen die Menschenrechtsverletzungen des Militärs zu protestieren.
Ob Myanmar eine demokratische Zukunft hat, kann Theresa natürlich nicht beurteilen. Darum geht es Amnesty International aber auch nicht in erster Linie:
"Als Amnesty International kommentieren wir tatsächlich nicht so sehr die Staatsformen. Was uns interessiert ist die Menschenrechtsbilanz, das ist in dem Moment sozusagen erst mal zweitrangig, ob das eine Demokratie ist oder eine Autokratie oder welche Staatsform es da gibt. Was uns interessiert ist: Die Menschenrechte müssen geachtet werden, egal wer dafür verantwortlich ist." - Theresa Bergmann
Wie lange die Protestierenden noch durchhalten lässt sich nicht vorhersagen. Um die Situation für die Menschen in Myanmar zu verbessern, hat Amnesty International aber klare Forderungen an die internationale Gemeinschaft:
Der UN Sicherheitsrat muss tätig werden und ein globales Waffenembargo verhängen. Das Militär in Myanmar, das tagtäglich Menschenrechte verletzt und brutal gegen die zivile Bevölkerung vorgeht, darf nicht mit Waffen unterstützt werden.
Es braucht gezielte Sanktionen. Auch diese müssen vom UN Sicherheitsrat verhängt werden, da er ein extrem wichtiges und globales Instrument der Sicherheitspolitik ist
Eine Überweisung an den internationalen Strafgerichtshof. Nur so kann das Militär für die Verbrechen, die es täglich verübt, zur Rechenschaft gezogen werden. Der UN Sicherheitsrat kann die Überweisung veranlagen.
Unternehmen müssen ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Militär kündigen. Denn nach wie vor gibt es Firmen, die mit dem Militär in Myanmar verwickelt sind.
Auch Deutschland muss mehr unternehmen: Die Bundesregierung muss sich für humanitäre Versorgung vor Ort einsetzen und die Krise in Myanmar priorisieren.
Als Regionalreferentin trägt Theresa diese Forderungen und die Informationen, die ihre internationalen Kolleg*innen sammeln, in den deutschen Raum. Sie spricht mit Minister*innen und Bundestagsabgeordneten, unterstützt diese in ihrer politischen Arbeit und schafft Öffentlichkeit.
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