DJ WestBam, Urgestein und Rave-Philosoph des deutschen Technos, war zu Gast bei egoFM Max.
Damals schwamm er noch getarnt in einer Loveparade-Demonstration gegen den Strom und heute sieht er sich mit einer Techno-Massenkultur konfrontiert. Anfang der 90er noch undenkbar, heute Mainstream.
Sehnsuchtsort Berlin
Die Suche nach einem Ort, an dem man seines Gleichen und Gleichgesinnte trifft. Wo es jemanden nicht juckt, wenn man nicht der Norm entspricht. Die Suche endet für viele hier: Berlin. Schon Ende der 80er gab es in Westberlin so ziemlich jede Subkultur die man so finden konnte. Sie hatten alle ihre Daseinsberechtigung und nicht mal die Omi von nebenan sah hier einen krumm an, wenn man mit aufgestellten bunten Haaren und Ketten durch die Gegend lief. Maximilian Lenz aka DJ WestBam steckte damals in Westberlin. Auch heute steckt er immer noch in Berlin und verlässt seinen Kiez so gut wie nie. Der Spruch: "Einmal Berliner, immer Berliner", scheint bei ihm zu stimmen. Mit Ausnahme vielleicht, um die erste Disko weltweit zu besuchen.
Also schnall dich gut an, Bass rein und Regler auf Anschlag. Du hörst DJ Westbam featuring egoFM Max mit "Eine Zeitreise durch den deutschen Techno", frisch geliefert vom Berliner Kiez:
DJ WestBam über die Geschichte des deutschen Technos
Von einer Subkultur zum Mainstream
37 Jahre Berlin
Von Punk zu Techno
"Berlin ist ja nicht nur die Stadt der tausend Kieze, sondern auch der tausend Subszenen. Als Punk war das einfach für mich der Flash, dass es Punk-Kneipen gab, die so ganz mit Graffiti voll waren und wo nur Punks waren. So hatte ich mir das erträumt [...] Es war das große Versprechen der großen weiten Welt und der großen Freiheit." - Maximilian Lenz aka WestBam
Während sich Punks und Hippies damals in der Kultstätte SO36 in Berlin Kreuzberg tummelten, zog es Maximilian Lenz weg von der Punk-Szene und hinein ins Ufo. Das Ufo war der erste Acid-House-Club in Berlin. Funfact: Nachdem das Ufo mehrere Male gewollt und ungewollt umziehen musste, fand der Club seinen Platz in einer Penny-Markt-Filiale in Berlin Schöneberg. Dort bestand er bis 1990. Nach seiner Schließung eröffneten die Betreiber einen der bekanntesten Techno-Clubs der Welt, den Tresor. Doch im Ufo wurde damals noch mehr getrieben, als nur den neuen Klängen von Techno gelauscht. Hier entwickelte sich die Idee von DJ Motte, einen als Demonstration getarnten Rave ins Leben zu rufen. Die Geburtsstunde der ersten Loveparade:
"Ich glaube seine Worte waren: ein International Party People Day. [...] Im Nachhinein kann ich das auch verstehen, dass sie den Status der Demonstration aberkannt haben, in soweit, dass es irgendwie schon der Scherz an der Sache war: Wir machen jetzt eine Party auf dem Kuhdamm und die Polizei sperrt den Verkehr dafür." - Maximilian Lenz aka WestBam
Auf dieser besagten Loveparade mit dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" mit circa 150 Raver*innen ahnte noch niemand, dass schon bald 1,5 Millionen zur Loveparade nach Berlin pilgern würden, die seitdem jedes Jahr stattfand. Nach dem großen Unglück auf der Loveparade 2010, bei der eine Massenpanik ausbrach, 21 Menschen starben und Hunderte verletzt wurden, wurde die Loveparade eingestellt. Nach vielen Jahren der Trauer soll die Loveparade nun unter dem Namen "Rave the Planet" 2022 wieder an ihrem Ursprungsort Berlin statt finden.
"One World, one Future" am 11.7.1998 fand die zehnte Loveparade statt, mit dabei Marusha:
Mayday! Rettet DT64!
So manch einer verwechselt das Notsignal "Mayday" mit einem wunderschönen Tag im Mai. Doch der Ausdruck "Mayday" entstand eher durch ein Missverständnis. Englische Funker haben das Notrufsignal französischer Piloten falsch verstanden, weil sie kein Französisch konnten. Aus ursprünglich "m'aidez" wurde dann "Mayday" und der Namensgeber der Mutter aller Raves, der Mayday. Mit der ersten Mayday wollten Michael Lenz aka WestBam und sein Bruder Fabian Lenz aka DJ Dick den Jugendradiosender DT64 aus dem Osten vor seiner Abschaltung retten. Grund dafür: Die Sendung Dancehall von DJ Marusha.
"In den besten Zeiten standen da 500 Kids in diesem Radiosender und haben Party gemacht. Hat es vorher und nachher nie wieder gegeben. Es war eine Hysterie um diese Sendung [...]. Die wurde dann so eine Art Jeanne D'Arc der Ossi-Techno-Bewegung." - Maximilian Lenz aka WestBam
DT64 war der einzige deutsche Radiosender, der damals Techno spielte und so der breiten Masse Zugang zum Techno-Genre ermöglichte. Die Sendung Dancehall und DT64 wurden zwar 1991 abgeschalten, aber das "Mayday" wurde trotzdem erhört. Es entstand ein riesengroßes Netzwerk musikbegeisterter Raver*innen. Der Beginn eines ganzen Techno-Jahrzehnts.
Wo es einen WestBam gibt, gibt es auch einen EastBam
EastBam war Lette und Rapper. Am Tag des Mauerfalls trafen sich WestBam und EastBam an der Ecke Mommsenstraße und Leibnizstraße. Eine kleine Liebesgeschichte, denn die Beiden kannten sich schon aus der Sowjetunion. Ein Wiedersehen, das schöner nicht sein konnte. Zusammen sind sie dann zum Brandenburger Tor - wie so ziemlich jeder am 9. November 1989 - und haben gefeiert.
"Als wir da ankamen waren ja da schon alle oben drauf [...] dann hat mir EastBam Räuberleiter gemacht und wir dachten, wie geil ist das denn." - Maximilian Lenz aka WestBam
Der Osten gibt dem Westen die Räuberleiter. Und um das zu feiern, haben die Beiden den Track "Go East Bam" zusammen produziert. Na, schon mal Lettischen Rap gehört?
Startschuss für die Ära des Technos
Die Wende '89 veränderten die Grundstimmung im ganzen Land. Ein Gefühl von überschäumender Euphorie und Freiheit breitete sich aus und was passte da nicht besser um das ganze zu untermalen, als elektronische Tanzmusik? Als Punk nach Berlin gekommen, fand Maximilian Lenz aka WestBam immer mehr Gefallen an elektronischen Beatz. Anfangs noch in einer kleinen, vor sich hingärenden Subkultur mit Plattenkoffer, begann sich Techno zu einer Massenkultur aufzubäumen. Wie groß das ganze werden sollte, ahnte damals noch keine*r.
"Jetzt kam eine Zeit, da passte diese Musik wie der Schlüssel dazu. Und deshalb kam das jetzt aus seiner Versenkung [...]. Jetzt kamen die Kids aus dem Osten und jetzt wollte man das Krasseste, Westlichste und Modernste, was es gibt." - Maximilian Lenz aka WestBam
Wenn du nun denkst, es wurde nur nach der Wiedervereinigung gefeiert, dann hast du falsch gedacht. Die anhaltende Hochstimmung im Land hielt auch weiterhin an und glich einer nie enden wollenden Party. Die Loveparade und die Mayday transportierten die momentane Grundstimmung und Zukunftsvorstellungen perfekt.
"Auch da kann ich nochmal erinnern - wie ging Techno los in Berlin 88? In einem ersten Ufo in einem Keller mit einer reingestellten Anlage, einem Stroboskop und zusammen geschaufelter Schutt der in die Ecke geschoben wurde - und los ging's. Du brauchst nicht viel Geld, das ist ja das schöne am DJing. Soundsystem rein, paar Leute, tanzen: You can beat it!" - Maximilian Lenz aka WestBam
Stirbt der deutsche Techno?
Da nicht nur Charles Darwin, sondern auch Maximilian Lenz überzeugt von der Evolutionstheorie ist, sind sich beide einig: Der Techno wird überleben. Denn:
"Du erinnerst dich vielleicht, wie in der menschlich Evolution so eine kleine Ratte namens Säugetier sich durchgesetzt hat. Weil es durch eine ziemlich große Katastrophe die Dinosaurier schwer hatten. Aber wenn es für irgendjemanden in einem Biotop schwer wird, gibt es andere, für die es wieder leichter wird." - Maximilian Lenz aka WestBam
Eine Chance haben also nicht nur die kleinen Säugetiere verdient, sondern auch Subkulturen abseits des Mainstreams. Denn darunter leidet eigentlich nie eine Kultur, wenn man den Kleinen eine Chance gibt. Wir fragen uns: Wenn Techno damals die Ratte war, wer waren dann die Dinosaurier? Techno glaubt wie das Wort schon sagt an Technik, Fortschritt und an die Zukunft. Doch oft werden Stimmen laut, das der Techno "ausverkauft" wurde, doch er ist noch immer da und wir haben jetzt immerhin das Jahr 2021.
"Ein Ausverkauf ist immer wenn der Laden zu macht. Neue Deutsche Welle, das war ein Ausverkauf. Weil da gab es keine Ideen mehr [...] und dann gab es noch einen Ausverkauf mit Hubert Kah und dann war da Feierabend. Technokultur hat sich halt in alle Richtungen weiterentwickelt." - Maximilian Lenz aka WestBam
Wo es damals in Westberlin nur ein kleines Ufo gab, ist es heute gar nicht mehr möglich die ganzen Techno und Elektro-Clubs zu zählen. Es gibt sie wie Sand am Meer. Das ist echt irre! Weißt du, wo es die erste Disko gab? Du denkst in Detroit, London, Paris oder New York? Nein - in Aachen. Unglaublich, aber wahr: Der Scotch Club, der 1959 zur Jockey Tanz Bar ausgebaut wurde, war die erste Disko. Hier legte Klaus Quirini aka DJ Heinrich als erster DJ auf. Die legendäre Disko-Ära nahm hier ihren Anfang.
Die Generation Techno
DJ WestBam hat nicht nur die Geschichte des deutschen Technos in all seinen Facetten miterlebt, sondern war auch dabei wie diese anfängliche Subkultur eine ganze Generation geprägt hat. Diejenigen, die in den 90ern dabei waren und den Aufstieg des Technos miterlebt haben, vermissen diese Zeit sehnlichst. Vor allem das Gefühl von Freiheit. In Zeiten der Corona-Pandemie haben wir das wohl alle dringend nötig. Deswegen haben wir zu Ehren der 90er einen WestBam Klassiker ausgegraben. Denn wir sind der Meinung, jede*r sollte seine Generation in der er*sie aufwächst mit all ihren Höhen und Tiefen feiern. Und warum nicht nochmal Back to the 90s mit dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen"?
"Hymn of the people who was young in 90th. We're really celebration generation. Are you agree with me? :)" - Alexey Agafonov, YouTube
We agree, we love 90s
Deine Meinung ist gefragt! Wie siehst du die Zukunft des deutschen Technos? Kommentier auf der egoFM Facebook-Seite oder schreib uns an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder per WhatsApp an die 089 360 550 460!
Artikel teilen: