Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Energieexperte Hans-Josef Fell
Von Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Einerseits sagt die EU, sie will so schnell wie möglich unabhängig von russischen Rohstoffen werden, andererseits heißt es auch, ein sofortiger Boykott sei nicht die Lösung. Energieexperte Hans-Josef Fell sieht das allerdings anders.
Hans-Josef Fell ist Energieexperte und Präsident der Energy Watch Group. Von 1998 bis 2013 war er Abgeordneter der Grünen im Bundestag und kämpfte schon damals für die Energiewende. Über den Ausbau von erneuerbaren Energien haben wir mit ihm bereits vor einem Jahr gesprochen, angesichts der aktuellen Debatten um einen Boykott russischer Energieimporte ist die Frage nach unabhängiger Energieversorgung durch erneuerbare Energien nun allerdings wieder aktueller denn je.
Energiepolitik ist auch Sicherheitspolitik
Diesen Satz hört man in den letzten Wochen immer wieder. Gemeint ist damit, dass sich Deutschland durch die Abhängigkeit von Russland im Bereich fossiler Energieträger wie Gas, Öl und Kohle, nicht so stark an Sanktionen beteiligen kann, wie es notwendig wäre. In den letzten Wochen wird deswegen wieder vermehrt darüber diskutiert, wie ein Weg aus dieser Abhängigkeit aussehen kann und ob ein (sofortiger) Boykott von russischen Energieimporten die Lösung sein kann.
Hans-Josef Fell im Interview
Das komplette Gespräch zum Anhören
Abhängigkeit von Russland
Die europäische und vor allem auch die deutsche Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland ist etwas, was viele Expert*innen wie Hans-Josef Fell, seit Jahren anprangern. Statt sich allerdings von russischen Energielieferungen unabhängiger zu machen, wie es die G7 eigentlich bereits nach Okkupation der Krim 2013/2014 beschlossen hatten, stieg die Abhängigkeit. Es wurden noch mehr Kooperationen geschlossen, noch mehr Pipelines gebaut - "so sitzen wir jetzt in der Falle", obwohl 100 Prozent erneuerbare Energien ökonomisch und technologisch schon möglich gewesen wären, sagt Fell.
Wie genau sich unser Energiemix zusammensetzt und wie groß die Abhängigkeit von Russland bei fossilen Energien ist, haben wir hier im egoFM Reflexikon zusammengefasst.
Welcher Weg führt aus dieser Abhängigkeit heraus?
Damit Deutschland erstmal kurzfristig unabhängiger von russischen Rohstofflieferungen wird, ist jetzt auch immer wieder die Rede von Flüssigerdgas (LNG). Hans-Josef Fell sieht darin aber definitiv keine Lösung, auch nicht kurzfristig:
"Jetzt auf LNG aus den USA, oder aus Katar oder Saudi Arabien oder sonst woher zu setzen ist genau die gleiche Denkweise, die uns in diese Abhängigkeit gebracht hat. Was nützt uns denn eine Abhängigkeit von Saudi Arabien mit Erdöl, wo dann die Gelder für den Krieg im Jemen verwendet werden. Das ist doch das Gleiche wie im Ukraine-Krieg mit Russland." – Hans-Josef Fell
Er betont, dass wir stattdessen vollständig aus der Energie-Abhängigkeit rauskommen müssen. Und das ist auch möglich - wenn man will.
Kurzfristig ist das sehr schwierig und wir müssen deswegen in diesem Sommer massiv erneuerbare Energien ausbauen und Energieeinsparmaßnahmen treffen, um durch den nächsten Winter zu kommen. Dieser wäre allerdings ohnehin nicht durch LNG beispielsweise aus den USA gesichert - immerhin brauchen auch die Terminals dafür Zeit und ob die USA überhaupt Flüssiggas übrig hätten, nachdem sie die Einfuhr von russischen Energieträgern komplett gestoppt haben, ist eine ganz andere Frage, merkt der Energieexperte an.
Im Gegensatz zu den USA hat die EU nicht vor, russische Energieimporte sofort zu stoppen. Stattdessen hieß es, dass die Lieferungen bis Ende des Jahres um zwei Drittel reduziert werden sollen und man bis spätestens 2030 unabhängig von russischen Rohstoffen sein will. Das kann aber nicht der Plan sein, sagt Fell sehr deutlich:
"Wenn man sagt 'mittelfristig zwei Drittel reduzieren', dann heißt das, dass wir mittelfristig noch Kriegsfinanzierung für Russland machen. Das kann es nicht sein, wir brauchen einen Sofort-Boykott für alle Energielieferungen in die Europäische Union und auch nach Deutschland." - Hans-Josef Fell
Das wiederum funktioniere nur mit erneuerbaren Energien
Neben Flüssigerdgas wird zwar vereinzelt auch von Atomkraft als Alternative zu russischen Importen angeführt, auch Atomenergie ist allerdings von Russland abhängig: 50 Prozent der europäischen Brennelemente kommen von dort - ein Weg aus der Abhängigkeit heraus kann das also nicht sein. Außerdem ist Atomkraft auch keine schnelle Lösung, mehr dazu findest du hier. Hans-Josef Fell sagt deutlich, dass erneuerbare Energien die beste und billigste Möglichkeit darstellen und eine Kombination aus Wind- und Solarenergie mit Batterien auch das ganze Jahr zuverlässig Energie liefert.
Politik und Gesellschaft sind für diese Kehrtwende in der Pflicht
Wenn jemand auf ein Auto verzichten, sich ein Elektroauto leisten oder sich eine Solaranlage aufs Dach setzen kann, dann ist das super, sagt Fell. Aber dafür braucht es politische Unterstützung.
"Es ist toll, dass Robert Habeck eine EEG-Novelle aufgelegt hat, die endlich eine Kehrtwendung macht gegenüber dem, was vorher von den Regierungen gemacht wurde. Aber: Selbst das reicht nicht aus. Wir haben dort immer noch Bremsen drin und die müssen vollständig ausgeräumt werden." - Hans-Josef Fell
Der Fokus muss jetzt darauf liegen, dass so schnell wie möglich und umfassend ausgebaut werden kann, denn aktuell wird immer noch viel im Bereich der erneuerbaren Energien durch Gesetze und Regelungen blockiert und verhindert, sagt Fell im Interview. Um diese Bremsen auszuräumen, braucht es dringend ein "Erneuerbare-Energien-Notgesetz" - wenn es so etwas bis Mai gäbe, könnte im Sommer enorm viel ausgebaut werden. Mehr Infos zu der Idee des Notgesetzes findest du hier. Und wenn das nicht reichen sollte, um Energiesicherheit zu gewährleisten können auch noch temporäre Maßnahmen wie das Tempo 100 auf Autobahnen oder ein autofreier Sonntag für Verbrennerautos Abhilfe schaffen, merkt er an.
Abschließend sagt der Energieexperte Hans-Josef Fell, dass wir also nicht nur die ökonomische Grundlage haben, schnell auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzusteigen, sondern schlicht auch die Notwendigkeit.
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