Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Eva-Maria Endres
Von Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Für immer mehr Menschen spielt Umwelt- und Klimaschutz auch beim Thema Ernährung eine Rolle - aber welche Ernährungsform ist eigentlich am klimafreundlichsten und sind nachhaltige Lebensmittel heute Luxusgüter?
Eine typisch deutsche Ernährung gibt es zwar nicht, sagt Eva-Maria Endres, allerdings lässt sich grundsätzlich beobachten, dass die Bürger*innen in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern insgesamt weniger Geld für Essen ausgeben. Hierzulande ist Ernährung weniger ein Statussymbol und dient mehr der Funktionalität, Endres beschreibt den Ernährungsstil mit den Worten "schnell, günstig, satt machend".
Eva-Maria Endres im Interview
Das komplette Gespräch zum Anhören
Es ist allerdings ein Trend hin zu nachhaltiger und pflanzlicher Ernährung zu beobachten.
Immer mehr Menschen setzen sich mit ihrer Ernährung auseinander, der Stellenwert von Lebensmitteln steigt und eine vegetarische Ernährungsform wird nach und nach zum Mainstream. In einer Umfrage des Bundesministeriums für Ernährung aus dem Jahr 2020 haben sich beispielsweise 55 Prozent der Deutschen als Flexitarier bezeichnet, das heißt, sie gaben an, bewusst hin und wieder auf Fleisch zu verzichten. Das zeigt sich allerdings noch nicht so deutlich in den Zahlen:
"Also das Denken und Wissen hat sich zwar verändert und die Menschen sind aufgeschlossener gegenüber vegetarischer Ernährung, [...] aber in den Konsumzahlen wird es noch eine Weile dauern, bis es sich da niederschlägt. Also wenn wir uns den Fleischkonsum anschauen, ist der eigentlich seit 30 Jahren relativ konstant. 2020 ist er ein bisschen eingebrochen wegen Corona, aber ansonsten liegt der immer so bei 60kg pro Kopf und pro Jahr und das wird auch noch eine Weile dauern, bis sich da die Routinen und Ernährungsformen ändern." - Eva-Maria Endres
Es gibt allerdings schon jetzt Unterschiede:
Statistiken zeigen, dass Männer grundsätzlich mehr Fleisch essen als Frauen - die typische Person, die sich vegetarisch ernährt, ist jung, weiblich und gebildet. Das hängt auch mit unserem kulturellen Bild von Fleisch zusammen, erzählt Eva-Marie Endres.
"Fleisch ist ein sehr stark symbolisch aufgeladenes Lebensmittel. Es steht für Wohlstand, für Macht - und da eben die Macht in der Geschichte hauptsächlich bei den Männern lag, ist es auch ein Zeichen für Männlichkeit." - Eva-Maria Endres
Wie wir uns ernähren, hat einen Einfluss auf unsere Umwelt
Der Trend hin zu vegetarischer Ernährung hängt heute neben Gesundheit und Tierwohl vor allem mit Umwelt- und Klimaschutz zusammen. Denn unser komplettes Ernährungssystem vom Acker bis zum Teller ist einer der klimarelevantesten Faktoren unserer Zeit, sagt Eva-Maria Endres.
"Angefangen, wie viele Pestizide dafür verwendet werden, wie lange sie [die Lebensmittel] transportiert werden, wie viel Wasser dafür notwendig ist, wie aufwendig die Zubereitung ist, wie Reste entsorgt werden, wie viele Lebensmittel verschwendet oder entsorgt werden, obwohl sie noch verwertet werden können und so weiter. Das sind alles die Faktoren, die da mit einfließen." - Eva-Maria Endres.
Betrachtet man nur Faktoren wie CO2-Ausstoß und Wasserverbrauch, sind Ersatzprodukte definitiv die klimafreundlicheren Alternativen zu tierischen Lebensmitteln. Nichtsdestotrotz ist die Verarbeitung teils sehr aufwendig. Für Fleischalternativen aus Erbsenprotein werden beispielsweise Erbsen, die eigentlich von Natur aus eine gute Konsistenz, einen guten Geschmack und den richtigen Protein- und Nährstoffgehalt haben, zerlegt. Das Protein wird chemisch isoliert, Geschmacksstoffe und Konservierungs- und Bindungsmittel werden hinzugefügt und dann wird alles wieder so zusammengesetzt, dass es eine fleischähnliche Konsistenz ergibt. Da wäre es natürlich umwelt- und klimafreundlicher, einfach direkt Erbsen zu essen, sagt Endres. Mehr Informationen zum Thema Klimaschutz und Ernährung findest du auch hier.
Lebensmittel, die grundsätzlich besonders klimafreundlich sind, sind zum einen regional, weil sie dann kurze Transportwege haben und zum anderen saisonal, weil dann weniger Heizung und Kühlung notwendig ist. Wann welches Produkt aus welchem Ursprungsland am klimafreundlichsten ist, ist heute gar nicht mehr so leicht zu erkennen:
"Viele Menschen denken zum Beispiel, dass Äpfel immer Saison haben. Aber auch Äpfel haben eine Saison, obwohl sie immer verfügbar sind im Supermarkt und dann ist es beispielsweise jetzt, wenn wir uns nur den CO2-Ausstoß anschauen, günstiger, wenn wir im Februar Äpfel essen möchten - wo es eigentlich keine Äpfel gibt in Deutschland - wir die aus Neuseeland kaufen und mit dem Schiff transportieren lassen, als wenn deutsche Äpfel bis zum Februar in Kühlhäusern gelagert werden, weil Kühlhäuser einen relativ hohen Energieverbrauch haben." - Eva-Maria Endres
Klimafreundliche Produkte zu kaufen kann also ganz schön kompliziert werden, deswegen rät die Ernährungswissenschaftlerin auch jedem und jeder, sich einen Saisonkalender zuzulegen und dementsprechend Gemüse und Obst einzukaufen.
Aber ist gesunde und nachhaltige Ernährung nicht sowieso großer Luxus?
Ersatzprodukte und regionale Bio-Produkte sind alles andere als billig und aktuell kommt noch eine grundsätzliche Preissteigerung der Lebensmittel hinzu. Eva-Maria Endres sagt ganz klar, dass eine gesunde und nachhaltige Ernährung in unserem momentanen Lebensmittelsystem teurer ist. Das heißt nicht, dass es unmöglich ist, sich auch mit wenig Geld nachhaltig und gesund zu ernähren, aber es ist definitiv Zeit aufwendiger.
Industrie und Politik
Neben den individuellen Kaufentscheidungen spielen natürlich Politik und Industrie eine entscheidende Rolle. Die Industrie produziert allerdings die Produkte, die Menschen gerne kaufen - dementsprechend findet auch bei vielen Unternehmen bereits ein Wandel statt. Produkte mit dem größten Umsatzzuwachs waren letztes Jahr Milch- und Fleischalternativen, vegetarische und gemüselastige Produkte und gesunde Snacks, das zeigt deutlich, wohin sich der Wandel bewegt: In Richtung Nachhaltigkeit und Gesundheit.
Es sind allerdings "nur" Trends, was bedeutet, dass sich der Großteil der Produkte noch nicht angepasst hat. Eva-Maria Endres schaut aber optimistisch auf die Unternehmen, da sie schon jetzt einen beginnenden Wandel beobachtet - bei der Politik sieht das anders aus: Dort muss ihrer Meinung nach noch viel verändert werden. Seit November 2020 gibt es in Deutschland zum Beispiel den Nutri Score, dieser ist allerdings nur freiwillig. Mehr dazu findest du hier in unserem egoFM Reflexikon. Das ist nur ein Beispiel für das zögerliche Verhalten der Regierung beim Thema Ernährung. Eine wirkliche Veränderung seitens der Politik, welche große Auswirkungen hätte, sieht Endres zum Beispiel in verpflichtenden Standards in der Gemeinschaftsverpflegung, also in Kitas, Schulen und Unis bis hin zu Kantinen in großen Unternehmen, Gefängnissen oder Krankenhäusern:
"Da könnte sich viel ändern und da hätte man halt einen relativ großen Hebel, wo man ansetzen könnte und relativ kurzfristig und schnell ganz viele Menschen erreichen könnte." - Eva-Maria Endres
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