Fehlende Ausgewogenheit bei der Corona-Berichterstattung?
Das komplette Interview mit Prof. Dr. Reinemann aus egoFM Reflex
Einseitig, unkritisch, regierungsnah? Prof. Dr. Carsten Reinemann hat im Interview mit egoFM Gloria die mediale Berichterstattung über die Corona-Pandemie bewertet.
Carsten Reinemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Kommunikation an der LMU München und hat vor kurzem eine Studie mit veröffentlicht, in der die Qualität von journalistischen Beiträgen über die Pandemie untersucht wurde. Diese Studie hat Anfang der Woche einiges an Aufmerksamkeit im nationalen Fernsehen bekommen: Sie wurde in der Sendung hart aber fair von der Gästin Svenja Flaßpöhler zitiert, um ihr Argument für eine einseitige Berichterstattung der Medien in Bezug auf die Corona Pandemie zu unterstreichen.
Im Interview mit egoFM Gloria hat Carsten Reinemann erzählt, was die Studie eigentlich aussagt und wie er die Medienberichterstattung in der Pandemie tatsächlich bewerten würde.
Prof. Dr. Reinemann über die Corona-Berichterstattung
Das komplette Interview mit Gloria
Einseitig, unkritisch, regierungsnah?
Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin vom Philosophie Magazin, hat in der Sendung vom 15. November 2021 auf die Studie "Einseitig, unkritisch, regierungsnah? Eine empirische Studie zur Qualität der journalistischen Berichterstattung über die Corona-Pandemie" Bezug genommen (ab Minute 19:45):
Carsten Reinemann hat sich allerdings noch während der Sendung ziemlich kritisch dazu auf Twitter geäußert:
Sehr ärgerlich, wie #Flasspöhler gerade in #hartaberfair unsere Studie zur Berichterstattung über #Corona darstellt. Daher hier die entscheidenden Passagen mit unserer Sicht zum Thema "Vielfalt" und "Einseitgkeit". Studie hier https://t.co/98anBEC9Qh
"Wir haben uns sehr bemüht, zu differenzieren wo wir bestimmte Arten von Einseitigkeit festgestellt haben. Aber dass man sozusagen unsere Studie pauschal als Argument dafür heranzieht, dass jetzt "die Medienberichterstattung" in jeglicher Hinsicht einseitig und beispielsweise regierungsnah gewesen wäre, das hat mich an der Stelle tatsächlich geärgert, weil es eben in diesem Kontext auch zu einer ganzen Menge Falschbehauptungen zur Corona-Pandemie an sich kam und das wollte ich tatsächlich einfach an der Stelle nicht so stehen lassen." - Prof. Dr. Carsten Reinemann
Die Studie hat Inhalte von großen deutschen Medienunternehmen wie beispielsweise der tagesschau, Spiegel online und der SZ untersucht. Genau diesen Medien wird aus bestimmten Kreisen immer wieder vorgeworfen, "alternative Meinungen" nicht ausreichend abzubilden. Eine solche Einseitigkeit liegt allerdings nicht an einer angeblich unkritischen Position, betont Reinemann.
Das Problem der False Balance
Grundsätzlich bemühen sich Journalist*innen, verschiedene Sichtweisen und Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven zu Wort kommen zu lassen - das ist ein journalistisches Qualitätsmerkmal. Wenn es allerdings um gut belegte, wissenschaftlich fundierte Sachverhalte geht, muss die Berichterstattung auch im Verhältnis zu diesen Fakten stehen. Das heißt:
Sind sich beispielsweise 90 Prozent der Wissenschaftler*innen einig, dass es den Klimawandel gibt und dass dieser menschengemacht ist, würde es ein falsches Bild vermitteln, wenn die übrigen 10 Prozent der Wissenschaftler*innen genauso umfangreich in den Medien stattfinden würden.
"Dann kann natürlich bei den Rezipientinnen und Rezipienten [...] der Eindruck entstehen: "Okay da gibt es eigentlich zwei völlig gleichberechtigte Meinungen". Und das ist das was man als False Balance, also als falsche Ausgewogenheit oder als ungerechtfertigte Ausgewogenheit, bezeichnet." - Prof. Dr. Carsten Reinemann
Und diese Gefahr der False Balance muss auch bei der Berichterstattung über die Corona-Pandemie beachtet werden:
Es herrscht weitestgehend ein wissenschaftlicher Konsens darüber, dass die Impfung der Weg aus der Pandemie ist. Impfgegner*innen, Coronaleugner*innen und Querdenker*innen - die einen sehr geringen Teil der der Gesellschaft und einen noch geringeren Teil der Wissenschaft ausmachen - gleichwertig in den Medien stattfinden zu lassen, würde schlichtweg ein falsches Bild vermitteln.
Prof. Dr. Reinemannt sagt klar, dass er persönlich es deswegen auch für eine journalistische Grundaufgabe hält, nicht jede Information ungefiltert zu verbreiten. Journalist*innen dürfen seiner Meinung nach nicht unbedacht abwegige und extreme Ansichten in den Mittelpunkt stellen, sondern müssen sich immer wieder die Frage stellen, welche Informationen sie guten Gewissens für wahr und richtig halten können - nur diese sollten auch in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden.
Deswegen kommt die Studie auch zu folgendem Fazit:
"Insgesamt nahmen die Medien gegenüber der Pandemie folglich eine eindeutig warnende Haltung ein, die man durchaus als einseitig betrachten kann. Betrachtet man diese Einseitigkeit als Problem, dann kann man dies allerdings nur aus einer Position tun, die die Pandemie als eher ungefährlich oder die Maßnahmen als eher übertrieben wahrnimmt." - Auszug aus dem Fazit der Studie
In anderen Worten: Themen wie die Pandemie oder der Klimawandel erfordern aufgrund der Faktenlage eine gewisse mediale Einseitigkeit. Allerdings ist diese berechtigt und keinesfalls negativ zu bewerten, sagt Prof. Dr. Carsten Reinemann.
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