Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Victoria Scheyer
Von Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Schweden hat 2014 als erstes Land der Welt offiziell das Konzept der feministischen Außenpolitik eingeführt - inzwischen orientieren sich immer mehr Staaten daran und auch die Ampelkoalition hat die Umsetzung vereinbart.
Das Ziel feministischer Politik ist die weltweite soziale Gerechtigkeit - vor allem die Geschlechtergerechtigkeit. Politische Handlungen nach dieser Maxime auszurichten bedeutet, die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt zu stellen. Bei der Lösung von Konflikten geht es bei diesem Konzept deswegen nicht nur um staatliche Sicherheit wie beispielsweise die Wahrung von Grenzen oder sicherheitspolitischen Institutionen, sondern in erster Linie um die Menschen, die in den betroffenen Staaten leben.
Victoria Scheyer im Interview
Das komplette Gespräch zum Anhören
Ob Politiker*innen feministische (Außen)Politik betreiben, hängt also natürlich nicht von ihrer eigenen geschlechtlichen Identität, sondern von ihrem Handeln ab. Dementsprechend geht es auch nicht etwa nur um die weibliche Besetzung von Ämtern, sondern darum, verschiedene Perspektiven sichtbar zu machen, die bisher zu oft nicht beachtet werden. Allerdings haben Menschen, die selbst Unterdrückung und Diskriminierung erfahren, auch häufig ein größeres Bewusstsein, gegen diese anzugehen und leisten deswegen bei politischen Entscheidungen einen essentiellen Beitrag.
Eine kurze Definition zu feministischer Außenpolitik und welche konkreten Ziele diese verfolgt, findest du hier in unserem egoFM Reflexikon.
Abrüstung als zentrales Ziel
Die Abrüstung ist ein zentrales Ziel der feministischen Außenpolitik, die WILFP fordert das bereits seit 1915 - allerdings dann, wenn es um die Prävention von Kriegen geht. Das ist eine extrem wichtige Unterscheidung, gerade in Anbetracht der aktuellen Situation, sagt Victoria. Denn Ukraine hat bei diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg natürlich das Recht auf Selbstverteidigung. Allerdings merkt Viktoria auch an, dass erst unsere Aufrüstungsspirale überhaupt dazu geführt hat, dass Waffen, Bomben und nukleare Bedrohungen eingesetzt werden. Um das auf lange Sicht zu verhindern ist es wichtig, Abrüstung in einem internationalen Kontext zu diskutieren. Dafür müssen allerdings patriarchale Strukturen abgebaut werden.
Widerstände und Grenzen
Widerstand gegen das Konzept der feministischen Außenpolitik kommt vor allem von den Menschen, die aktuell ganz oben stehen, sagt Victoria Scheyer. Diese müssten zwangsläufig einen Teil ihrer Macht abgeben, um anderen Perspektiven Platz einzuräumen. Und das betrifft vor allem Männer, da diese die Außenpolitik nach wie vor dominieren: Nur vier Prozent der weltweiten Friedensabkommen zwischen 1992 und 2011 wurden beispielsweise auch von Frauen unterschrieben. Und viele der beteiligten Männer vertreten eben keine feministische Perspektive.
"Aus einer sehr langen Tradition heraus sind diese männlich dominierten und auch auf Dominanz basierenden Strukturen unserer Weltpolitik aufgebaut. Und das ist die größte Grenze [wenn es darum geht] hier Veränderung reinzubringen und auch mehr Vielfalt und mehr verschiedene Perspektiven einzubringen." - Victoria Scheyer
Gerade im Zusammenhang von Kriegen und Konflikten ist es aber extrem wichtig, die verschiedenen Perspektiven der Betroffenen mit einzubeziehen.
Kriege bedeuten immer auch die Rückkehr zu Geschlechterrollen.
Frauen und Männer sind beispielsweise sehr unterschiedlich von Kriegen betroffen: Frauen sind zwar häufig Überlebende, erfahren in Kriegen aber sexualisierte Gewalt - systematische Vergewaltigung wurde und wird in vielen Kriegen als Waffe eingesetzt. Erst seit 2008 erkennen die Vereinten Nationen Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen an.
"Diese Einstufung ist sehr sehr wichtig, denn erst wenn etwas als Kriegsverbrechen oder als kriminalisiert anerkannt wird, können wir dafür Gerechtigkeit verlangen und können wir dafür auch Bestrafungen verlangen und kann es überhaupt erst geahndet werden." - Victoria Scheyer
Das ist nur ein Beispiel dafür, warum es in Krisen- und Kriegssituationen wichtig ist, eine feministische Perspektive einzunehmen und auf marginalisierte Gruppen zu achten.
Erste wissenschaftliche Studien zeigen bereits, dass nachhaltiger Frieden eher gelingt, wenn Frauen an den Verhandlungen beteiligt sind.
Außen- und Sicherheitspolitik wird aktuell vor allem noch militärisch verstanden, indem sich an Stärke und Kraft gemessen wird - "die typisch männlichen Prinzipien", wie Victoria es beschreibt. Mit feministischer Politik sollen deswegen auch patriarchale Gesellschaftsordnungen, also solche, die auf Dominanzverhalten basieren, abgebaut werden, um den Friedensprozess voranzubringen. Die Ampelkoalition hat bereits vereinbart, feministische Außenpolitik zu betreiben. Dabei geht es nicht nur darum, die Perspektive von Frauen einzunehmen, auch die Inklusion und Emanzipation von anderen Minderheiten steht im Fokus. Denn:
"Je mehr verschiedene Menschen an Friedensverhandlungen teilnehmen, desto erfolgreicher sind diese auch." - Victoria Scheyer
Feministische Außenpolitik verfolgt also einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Menschen mitdenkt und deswegen in erster Linie vor allem Menschenrechtspolitik ist.
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