Freiheit in Zeiten von Corona

Freiheit in Zeiten von Corona

Philosphie Professorin Christine Straehle im Interview

Im Moment fühlen sich viele Menschen in ihrer Freiheit eingeschränkt. Aber was bedeutet Freiheit eigentlich und wird sich unser Gefühl von Freiheit wirklich nachhaltig verändern? Darüber hat egoFM Lola mit Prof. Dr. Christine Straehle gesprochen.

Sie ist Professorin für praktische Philosophie in Hamburg, wo sie hauptsächlich Moralphilosophie und politische Philosophie unterrichtet. In diesem Zuge setzt sie sich auch viel mit dem Thema Freiheit auseinander. Sie selbst verbringt die Quarantäne-Zeit auf dem Land und fühlt sich vor allem immer dann frei, wenn sie mit ihrem Hund spazieren geht und den Blick über die Alpen schweifen lässt.
  • Christine Straehle zu Gast bei Lola
    Das Interview zum Nachhören

Freiheit aus der philosophischen Perspektive


Freiheit wird als der Raum angesehen, in dem wir uns als Individuen verwirklichen können, sagt Frau Straehle. Sie ermöglicht uns zum Beispiel selbst zu entscheiden, was wir für einen Beruf ergreifen und wie wir unsere Freizeit verbringen.

Freiheit bedeutet nicht überall das Gleiche


Klar ist, dass wir in Deutschland andere und teilweise auch mehr Freiheiten haben als anderswo auf der Welt. Wir haben zum Beispiel die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit oder auch die Freiheit, uns unsere*n Lebenspartner*in selbst auszusuchen.

 "Diese Freiheiten, die wir als normal und gegeben annehmen in Deutschland, sind ja auch nicht jedem auf der Welt gegeben." Prof. Dr. Straehle

Die Auswirkungen von Corona auf unsere Freiheit

Frau Straehle bezweifelt, ob Maßnahmen wie die Kontaktbeschränkungen uns in unserer Freiheit tatsächlich einschränken. Im landläufigen Begriff der Freiheit natürlich schon – ein Feierabendbier mit Freund*innen ist aktuell nicht möglich – aber wichtig ist, dass wir eben immer noch die Freiheit haben, die Person zu sein, die wir sein wollen, sagt Prof. Dr. Straehle.

"Man kann sich darauf besinnen, was uns ausmacht als Person und was wir eigentlich als Person darstellen wollen." - Prof. Dr. Straehle

Aber natürlich ist es für Personengruppen wie Großeltern, die ihre Enkelkinder nicht sehen dürfen oder Eltern, die Homeoffice mit Kinderbetreuung verbinden müssen, sehr schwer, sich frei zu fühlen, sagt Frau Straehle.


Tracking-App vs. Freiheit?


Eine Tracking-App betrachtet Frau Straehle aus zwei Perspektiven. Einerseits kann uns die App dazu verhelfen, dass wir uns wieder mehr im öffentlichen Raum bewegen können. Andererseits ist Bewegungsfreiheit eigentlich auch damit verbunden, dass andere – vor allem der Staat – nicht wissen, wo wir uns bewegen.

"Es ist eine Abwägung: auf der einen Seite würde uns eine Tracking-App bestimmte Freiheiten wieder ermöglichen [...], andererseits würde sie unter Umständen tatsächlich dazu führen, dass die Menschen sich nicht unbeobachtet fühlen." – Prof. Dr. Straehle

Und das Gefühl unbeobachtet zu sein, ist für viele Menschen elementar, um sich frei zu fühlen.

Ob Corona unser Freiheitsgefühl wirklich verändert, kommt darauf an, wo man lebt.  


Der Ansicht ist zumindest Frau Straehle. In Ländern mit extremen Ausgangsbeschränkungen wie Italien oder Spanien wird sich sicherlich das Verständnis von Freiheit verändern. In Deutschland sieht das dagegen etwas anders aus. Frau Straehle bezweifelt, dass die Corona-Pandemie auch hier so große Auswirkungen auf das Freiheitsverständnis haben wird.

Was sich aber auch in Deutschland verändert, ist die Bewegungsfreiheit.

Wir können seit sehr langer Zeit das erste Mal nicht selbst entscheiden, in andere Länder zu fahren. Aber vielleicht führt diese Einschränkung auch dazu, wieder zu schätzen zu wissen, welche Freiheiten uns eigentlich gegeben sind.

"Man darf ja nicht vergessen, dass Freiheit etwas ist, was wir uns hart erkämpft haben über den langen Zeitraum der Geschichte, in dem es eben nicht so möglich war für Menschen, so frei zu entscheiden, wie wir das gewöhnt sind." Prof. Dr. Strahle

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