Es ist doch nur Fußball – leider nicht!

Es ist doch nur Fußball – leider nicht!

Meinung: Warum der Fußball so nervt und mich trotzdem nicht loslässt

Von  Simon Kerber
Die Ankündigung einer Super League mit den besten – oder besser reichsten – Vereinen war nur der zwischenzeitliche Höhepunkt einer langen Entwicklung im Fußball. Das Ziel: eine noch verlässlichere Einnahmequelle und natürlich mehr Geld. Die Fans wollen sehen, wie die besten (oder teuersten) Spieler sich messen, klar.

Widerstand gegen die Super League

Soweit die Theorie der Vereinsbosse. Mit einer Reaktion hatten sie sicherlich gerechnet. In dieser Deutlichkeit wohl eher nicht. Fan-Proteste in England sorgten sogar dafür, dass das Ligaspiel von Manchester United gegen den FC Liverpool abgesagt werden musste. Beide Klubs hatten davor erklärt, an der Super League teilnehmen zu wollen. 

 

Zwei Tage später war der neue Wettbewerb quasi schon wieder erledigt, die meisten Klubs beugten sich dem Druck. Fast parallel wurde aber eine Reform der Champions League beschlossen. Das Ergebnis ist dem Konzept der Super League gar nicht unähnlich: mehr Planungssicherheit, mehr Spiele, mehr Einnahmen.

Deutscher Fußball: Zwischen dreist und planlos 

Auf europäischer Ebene ist der Fußball also knapp an einer – je nach Perspektive – Riesenchance oder einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Eine Möglichkeit für den deutschen Fußball mit Bodenständigkeit und Anstand zu glänzen? Theoretisch. Stattdessen: Der DFB-Präsident tritt nach einem Nazi-Vergleich zurück. Selbstverständlich nach monatelangen Streitigkeiten mit dem Generalsekretär und dem Vize-Präsidenten. Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann schickt eine rassistische Nachricht aus Versehen an Dennis Aogo, über den er sich eigentlich lustig machen wollte. Und das war nur der April. 
Und die Bundesliga? Als im April 2020 die Saison trotz Pandemie noch zu Ende gespielt werden durfte, gab man sich demütig. Auf keinen Fall wollte man Testkapazitäten blockieren, sollte es eng werden. Als dann im Herbst die Inzidenzzahlen in die Höhe schossen, wurde über dieses Versprechen gar nicht mehr gesprochen. 

Schon vor Corona im Zwist mit den Fans 

Aber auch als die Stadien noch voll waren, war die Stimmung nicht gut. Beleidigungen gegen Dietmar Hopp, Mäzen des Bundesligaklubs aus Hoffenheim und für viele Fans das personifizierte Problem des "modernen Fußballs", führten sogar dazu, dass mehrere Partien kurz vor dem Abbruch standen. 


Böse Fans, gute Funktionäre – so sah es für Außenstehende aus.


Auch das war aber nur ein Höhepunkt einer Entwicklung. Versprechungen des DFB an die Fans wurden gebrochen. Für viele Fans – vor allem die Ultra-Gruppen – ein weiterer Beweis, dass ihre Stimme kein Gehör findet. Ob ihre Forderungen wie den legalen Einsatz von Pyrotechnik legitim sind, soll hier nicht bewertet werden. Klar ist aber: Der Dialog zwischen Fans und Verband wurde abgebrochen – und zwar nicht von Fanseite. Es geht aber auch eine Nummer kleiner: Die Ticketpreise in den Stadien steigen seit Jahren, immer mehr Pay-TV-Anbieter übertragen die Spiele, für die Fans wird es teurer, ihr Team zu verfolgen.

Langeweile in der Bundesliga 

Ob diese Spiele ihr Geld überhaupt noch wert sind? Eigentlich würde es reichen, am 34. Spieltag die Tabelle zu checken, denn Meister werden eh wieder die Bayern. Neun Mal hintereinander jetzt schon. Seit Jahren ist – mehr oder weniger – die Frage spannend, wer in die 2. Bundesliga ab- und wer aus dieser aufsteigt. Der Titel ist vergeben. 

Eigentlich macht es keinen Spaß 

Die aufgelisteten Gründe ließen sich beliebig weiterführen: Der Frauenfußball läuft – trotz deutlich mehr Spannung fast komplett unter dem Radar, im Finale der Champions League standen sich am vergangenen Samstag mit Chelsea und Manchester City zwei Teams gegenüber, hinter denen äußerst fragwürdige Konstrukte. City hätte aufgrund von Verstößen gegen das "Financial Fairplay" eigentlich gar nicht teilnehmen dürfen. 


Warum tue ich mir das an? 

Jetzt noch zu erklären, warum ich trotzdem immer weiter dabei bleibe: sehr, sehr schwierig. Vielleicht kann ich es an einem Beispiel versuchen: 

9. April 2013, irgendwann kurz vor 23 Uhr. Ich bin körperlich erschöpft von diesem Fußballspiel. Nicht weil ich selbst gespielt hätte, für ein Viertelfinale der Champions League hat es mit meinem Talent bei Weitem nicht gereicht. Nein, ich sitze auf der Tribüne – genau wie über 80.000 andere Menschen. Die allermeisten von ihnen kenne ich nicht und trotzdem weiß ich, dass es ihnen gerade geht wie mir. Wir sind fassungslos, fertig, heiser, weil wir mindestens zwei Stunden gesungen, geschrien und geflucht haben. Und: überglücklich.  

Und das nur wegen eines Fußballspiels. Ein besonderes, ja. Das Spiel war eigentlich verloren, Malaga stand eigentlich schon im Halbfinale der Champions League, wir ausgeschieden. Doch dann eben diese zwei Tore in der Nachspielzeit, die mich und die anderen über 80.000 in den jetzigen Zustand versetzt haben.
 
 

Warten auf den einen Moment 

Für eine Erklärung eher dünn, ja. Aber es ist auch nicht wirklich zu erklären, wie so vieles, bei dem wir den Kopf ausschalten und die Gefühle übernehmen. 
Aber jedes Mal, egal ob im Stadion oder vor dem Fernseher, besteht die Möglichkeit, so etwas wieder zu erleben. Wahrscheinlich ist es das, was mich trotz aller Probleme und Missstände weiter fasziniert. Ich warte also auf den nächsten Moment und leider auch auf den, an dem auch ich sage: Mir reicht’s!

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