Bitte dranbleiben

Bitte dranbleiben

Überlegung: Wie sieht das Leben mit Werbung in der Zukunft aus?

Von  Anna Taylor
Am 3. November 1956 sendete der BR zum ersten mal im deutschen Fernsehen Werbung. Mittlerweile ist sie nicht mehr wegzudenken aus unserem Alltag - wie könnte sich das in der Zukunft noch entwickeln? Wir stellen's uns vor...



Ein ganz normaler Tag im Jahr 2042

7:25 Uhr: Der Wecker klingelt.

Ich muss nur eine kurze Werbung anschauen, um ihn auszuschalten. Dann aber direkt aufstehen, jedes Mal snoozen wäre sonst ein weiterer Spot. Wobei, erstmal Insta checken. Direkt zum Öffnen der App läuft ein Werbevideo. Easy, dauert ja nur 20 Sekunden. Pro Tag habe ich dann fünf Herzen frei und kann mir zehn Insta-Storys anschauen. Wenn ich mehr will, müsste ich upgraden, aber wer hat schon Geld für sowas? Oh, schön, die Werbung zeigt mir das neueste Modell vom Hoverboard, diesmal sogar mit integrierter Saugfunktion. Gleich mal bestellt. Hach...

Ich mag den Algorithmus

Niemand kennt mich so gut. Niemand empfiehlt mir genau die richtigen Sachen zu genau der richtigen Zeit. Ohne den Algorithmus hätte ich mir zum Beispiel sicherlich nicht mein mittlerweile drittes Hoverboard für 345,99€ gekauft. Da ist es sogar fast sinnvoll, sich die monatlichen zehn Euro Premium-Mitgliedsgebühr für Instagram zu sparen. Dafür, dass das meiste billig produzierter Schrott ist und bald kaputt geht, kann der Algorithmus ja nichts...

Jetzt aber los ins Büro

Weil mein Hoverboard leider nicht straßentauglich und überhaupt recht lahm ist, muss ich aufs selbstfahrende Sharing-E-Bike steigen. Für die Premium-Mitgliedschaft würde man da auch 9,99€ im Monat zahlen, aber ich bin ja ein schlaues Köpfchen (und sowieso dauernd pleite): Ich spare mir das und muss mir dafür halt den kompletten Weg über Werbung anschauen. Sobald ich in der Arbeit ankomme, habe ich mir meistens schon ein, zwei neue Sachen bestellt, die sofort nach Hause geliefert werden und dort zum Feierabend auf mich warten.

Erstmal Ruhe

So, jetzt bin ich im Büro. Hier gilt striktes Werbungsverbot, damit wir nicht abgelenkt werden. Dem Arbeitgeber ist das so wichtig, dass für uns alle möglichen Gruppenabos abgeschlossen werden - um Mails zu checken, Kaffee zu machen oder aufs Klo zu gehen muss ich mir hier also ausnahmsweise keine kurzen Spots anschauen. Das ist schon... auch mal schön. Sehr sogar.

Eigentlich habe ich das Gefühl, dass ich Werbung total gut ausblenden kann.

Ich meine: Wir wissen ja genau, was es ist und wie uns Werbung manipulieren soll. Deswegen funktioniert das doch schon mal gar nicht? Die Sachen, die ich mir kaufe, die würde ich mir auch so kaufen.... glaube ich... hmmmm... Oh, es klingelt just das Telefon. Und es sagt: "Hör dir jetzt nur einen Spot an, um zu erfahren, was deine Mutter dir auf die Mailbox gesprochen hat!" 

Feierabend

Ich verlasse das Büro und sehe, wie vier meiner Arbeitskolleg*innen im Kreis stehen und jeweils auf ihre Handys starren. Die machen gerade wohl eine "All You Can Watch - Then Eat"-Challenge - als Gruppe muss man sich dabei in einer begrenzten Zeit erstmal so viele Werbespots wie möglich anschauen. Je weniger man dabei blinzelt, desto mehr Gutschrift gibt es im Anschluss. Dieses kann man dann im Restaurant einlösen, sie beinhaltet allerdings nicht den Sitzplatz. Für den muss man sich nochmal 30 Sekunden Werbung anschauen. 

Mir ist diese billige Werbemasche zu plump.

Ich schwinge mich wieder aufs selbstfahrende Sharing-E-Bike und schaue mich nach Hause. Dort warten all meine neuen Errungenschaften: Ein vibrierender Gürtel, der mir ganz ohne Sport Bauchmuskeln macht, eine pflegende Gesichtsmaske, mit der ich 2,4 Jahre jünger aussehe (solange ich sie drauf habe), der neue Nicer Dicer Flash 3000 XXL, in den man Wäsche schieben kann, die unten fein als Würfelchen gefaltet wieder rauskommt und das saugende Hoverboard. Wow, wow, wow. What a time to be alive!




Ein ganz normaler Tag im Jahr 2022

7:25 Uhr: Der Wecker klingelt.

Ich drücke auf Snooze, bin aber eigentlich schon hellwach. Was für ein merkwürdiger Traum das doch war. Zum Glück. Ein Leben voller Werbung, die man für völlig selbstverständlich hält. Was für ein Horror.

Ich nehme mein Handy in die Hand. Öffne erstmal Insta. Scrolle, starre, scrolle, starre. Hach, toll, eine Person empfiehlt mir ihre Hautcreme. Brauche ich. Kaufe ich!

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