Grenzen setzen im Job

Grenzen setzen im Job

Warum das so wichtig ist und wie's geht

Von  Anna Taylor
Nur weil dich irgendjemand bezahlt heißt das noch lange nicht, dass du Lohnarbeit über deine Prinzipien, Würde und Gesundheit stellen musst. Wieso, weshalb, warum und vor allem wie du Grenzen im Job ziehen kannst - das zeigen wir dir hier...

Wir müssen neu über Lohnarbeit nachdenken

Es ist wirklich mittlerweile eine überholte Denkweise, dass mehr Arbeit - grenzenlose Arbeit - produktiver und gewinnbringender ist. Selbst wenn es zunächst so scheint, kann das nicht auf Dauer funktionieren, denn mit dieser Ansicht betreibst du Raubbau an deiner eigenen Gesundheit, physisch wie psychisch. Herzrasen, Hörsturz, Magengeschwüre bis hin zu Burn-out können - unter vielem anderen - Symptome von Überforderung und ständigem Stress in der Arbeit sein, was gerne mal passiert, wenn man gegenüber Chef*innen, Kolleg*innen oder auch schon gegenüber sich selber keine klaren Grenzen zieht.

Da müssen wir jetzt auch einfach mal ehrlich sein: Egal, wie sehr du deinen Job liebst und wie sehr er dich erfüllt - Lohnarbeit ist Arbeit für Lohn und alles, was darüber hinausgeht und nicht bezahlt wird, ist schlichtweg Ausbeutung.


Mit Viola Windgassen, Psychologin und systemische Therapeutin, haben wir in einer vergangenen Themenwoche über Verantwortung gesprochen, wo die Wichtigkeit vom Grenzenziehen auch eine Rolle spielt. Als Expertin weiß sie natürlich, dass es nicht unbedingt leicht ist, Grenzen zu ziehen, gerade im Job. Sie hat aber folgenden Tipp:

"Übung, Übung, Übung! In kleinen Dingen mal nein sagen. Wenn man beim Bäcker das falsche Brötchen eingepackt bekommt, zu sagen: Das wollte ich eigentlich gar nicht. Und dann kann man anfangen, das auch im Job auszuprobieren. Und sehen, da passiert gar nicht schlimmes. […] Vielleicht steigt sogar der Respekt von den anderen weil man eine klare Grenze gezogen hat. […] Auch psychologische Hilfe kann hilfreich sein, wenn man merkt, dass man immer wieder Probleme damit hat." – Viola Windgassen

Grenzen zu ziehen kann letztlich die Produktivität steigern und heißt in gewisser Weise auch, solidarisch mit Kolleg*innen zu sein

Natürlich kann man erstmal auf den Schluss kommen, man sei unsolidarisch, wenn man bestimmte Aufgaben ablehnt, wenn diese dann auf dem Haufen anderer landen beispielsweise. Doch stell dir mal vor, alle am Arbeitsplatz würden dieselben Grenzen ziehen und könnten ehrlich über ihre Arbeitsbelastung kommunizieren. Dann könnte man - beziehungsweise die Chef*innen - ein ziemlich gutes Gefühl dafür entwickeln, an welchen Stellen mehr Arbeitskraft nötig ist und dementsprechend reagieren. Also beispielsweise schauen, welche Abläufe viel Zeit schlucken, was man anpassen muss oder was man sogar ganz einstellen kann, weil die Kosten in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen. So werden Workflows flexibler, dynamischer und vor allem sinnvoller.

Elementar ist die Solidarität aber auch für Menschen, die schlichtweg keine Überstunden leisten können. Eltern zum Beispiel, die sowieso schon in festen Stundenplänen bestehend aus Care- und Lohnarbeit stecken, können weniger gut mal eben drei Extrastunden in die Arbeit stopfen. Diese werden heutzutage immer noch gerne negativ denen gegenüber betrachtet, die täglich die ein oder andere Überstunde machen, weil es leider immer noch in manchen Köpfen verankert ist, Überstunden hätten was mit Fleiß zu tun - wobei sie ja oft eher ein Zeichen von schlechtem Zeitmanagement oder ungesunder Überarbeitung sind. Wenn alle Arbeitnehmer*innen - ob mit oder ohne Kindern oder sonstigen Verpflichtungen - pünktlich Feierabend machen, wäre man auf die Weise solidarisch mit denjenigen, die keine Überstunden leisten können und könnte so - zum Beispiel - auch der Diskriminierung von Eltern im Job entgegenwirken.

Über diesen Absatz lässt sich noch ewig lang weiter schreiben. Wenn dich das Thema interessiert, empfehlen wir dir unseren Text über die Antiwork-Bewegung.



Wie kann man Grenzen am besten ziehen?

Im Job gibt es viele unterschiedliche Situationen, in denen du eine Grenze im Job ziehen solltest. Auf ein paar davon gehen wir hier ein und geben Tipps, wie du dich ausdrücken kannst. Lass dir davor aber noch eines gesagt haben: Du musst dich nicht dafür entschuldigen, wenn du Grenzen setzt. Aber eine klare, knappe Erklärung und - falls es irgendwie nahe liegt - alternative Vorschläge helfen, dass danach niemand beleidigt rumschmollt, sondern bestenfalls ein Grundverständnis für die Problematik entsteht.

Wenn dir zusätzliche Aufgaben nach Feierabend oder am Wochenende / im Urlaub aufgehalst werden

Ganz ehrlich - wenn es nicht wirklich etwas ist, was das Leben anderer Menschen essenziell betrifft oder unglaublich wichtig für das Fortbestehen deines Arbeitsplatzes ist (und das ist es in viel weniger Fällen, als es Menschen gerne annehmen): fuck off. Eher unwichtige, zusätzliche Aufgaben außerhalb der Arbeitszeit dürfen nicht spontan nach Feierabend noch eintrudeln, sie müssen mindestens eine gewisse Zeit vorher schon angekündigt sein, dass du nicht sowas wie Freizeitpläne oder sonstige Termine dafür verschieben oder absagen musst und ganz wichtig: Diese Zeit muss auch ausgeglichen werden. Entweder mit einer längeren Pause am nächsten Tag, einem Ausgleichstag oder eben Geld.

Was du in dem Fall sagen kannst: "Weil die Aufgabe gerade nicht eilt, werde ich sie direkt morgen erledigen!" oder ein schwammiges: "Ich erledige das sobald wie möglich" - und das ist es halt erst am nächsten Tag. Wenn du aber mehrere Tage Pause vor dem nächsten Arbeitstag hast, wäre es natürlich cool ehrlich zu sein und auf eine*n Kolleg*in zu verweisen. 

Wenn Kolleg*innen dich immer ablenken

Ich sag's ganz ehrlich: Einer der größten Vorteile, hauptsächlich im Homeoffice zu arbeiten, ist, dass man sich ordentlich von kleinen Ablenkungen der Kolleg*innen abschotten kann. Dazu muss ich sagen, dass ich viele Ablenkungen wie Tiervideos, weirde Songs, den ein oder anderen Smalltalk oder sonstige Witzchens von meinen Kolleg*innen in den allermeisten Fällen sehr mag und oft bietet sich dabei auch eine nette kleine Abwechslung, durch die man danach wieder etwas frischer oder sogar mit neuen Ideen weiter arbeiten kann. Aber manchmal muss man einfach irgendwas runterarbeiten oder zum Beispiel beim Schreiben von längeren Texten in den Tipptunnel springen, wo einen jede kleine Ablenkung herausreißt. Und dann kann man im Homeoffice das jeweilige Kommunikationsmittel einfach lautlos stellen oder gar richtig deaktivieren und - ZACK - Ruhe ist.

Im Büro mit anderen Kolleg*innen in ihrem fleischlichen Körper geht das nicht so einfach. Was nicht heißt, dass es unmöglich ist. Bei egoFM gilt zum Beispiel das Prinzip: "Wer Kopfhörer aufhat und nicht direkt Blickkontakt aufnimmt will nicht gestört werden". So einen Code am Arbeitsplatz einzuführen kann helfen, eine klare Grenze zu setzen, um konzentriert zu arbeiten.

Ansonsten sollte dir auch niemand böse sein wenn du sagst: "Ich würde mich gerade sehr gerne mit dir unterhalten, muss aber gerade ziemlich hacken, um XY fertig zu bekommen". Wahlweise noch mit dem Add-on: "Ich komme aber danach gerne bei dir vorbei!"

Wenn du überfordert bist

Sei es bei einer Aufgabe, für die du einfach nicht das Know-how hast oder weil deine Aufgabenliste schon am Überschwappen ist: Wenn dich jemand um irgendwas bittet, muss es nicht direkt heißen, dass die Person dich absichtlich überfordern will, sondern vielleicht gar nicht weiß oder gemerkt hat, dass es ein Problem gibt. Kommuniziere also am besten ehrlich und sag: "Damit kenne ich mich nicht aus, könntest du mir zeigen, wie das geht / wie ich das erledigen kann?" oder "Ich habe gerade schon ziemlich viel zu erledigen, wenn es nicht eilt mache ich es später / wann anders, ansonsten müsstest du dich an eine andere Person wenden".

Es ist wirklich wichtig, in diesem Fall eine Grenze zu ziehen, weil sonst die Gefahr droht, dass das ständige Zusagen von immer mehr Aufgaben zu Katalysator der Überarbeitung wird, was letztlich nicht nur dein Selbstbewusstsein trügen kann ("Ich komme mit meinem To Dos nicht mehr hinterher, ich bin so unproduktiv") sondern schließlich eventuell zu schweren psychischen Erkrankungen führt, wie eben Burn-out.



Grenzen setzen bei sexueller Belästigung

Was so ein großes Thema ist, dass es mindestens mehrere eigene Artikel verdient, darf im Kontext dieses Textes trotzdem nicht fehlen. Denn die Zahlen sprechen für sich:

Von den 60 Prozent der deutschen Frauen, die seit ihrem 15. Lebensjahr schon sexuelle Belästigung erfahren haben, haben sich ein Drittel der Fälle im Arbeitsumfeld zugetragen. 

Dazu muss gesagt sein: Frauen sind zwar mehrheitlich von sexueller Belästigung betroffen, allerdings werden auch Männer, trans und intergeschlechtliche Personen Opfer. Täter*innen waren in diesen Fällen Kund*innen, Vorgesetzte oder Kolleg*innen. Sei es durch unangebrachte Kommentare, das unaufgeforderte Verschicken pornografischer Inhalte, aufdringliche Nähe, sexistische "Witzchen", Machtausnutzung oder Handgreiflichkeiten: Das Problem in diesen Fällen ist, dass sich Betroffene oft überrumpelt fühlen, irritiert sind oder schlicht ratlos fühlen, wie sie reagieren sollen, eben gerade wenn es sich um vermeintlich wichtige Kund*innen oder eine*n Vorgesetzte*n handelt. 

Dabei sind diese Belästigungen fest im allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geregelt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fasst es wie folgt zusammen. Verboten sind beispielsweise: 
  • "unerwünschte sexuelle Handlungen" wie etwa bedrängende körperliche Nähe
  • "die Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen"
  • "sexuell bestimmte körperliche Berührungen", dazu zählen vermeintlich "zufällige" Betatschen oder "das aus Versehene" Berühren von bestimmten Körperteilen, sowie unerwünschte Massagen
  • "Bemerkungen sexuellen Inhalts" wie Beispiel obszöne Witze oder sexuelle Anspielungen
  • "unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen", was nicht nur auf Material auf dem Computer, sondern auch pornografische Magazine auf dem Schreibtisch oder Nacktfotos an den Wänden zutrifft
Wenn dir sowas schon mal passiert ist, ist es auf jeden Fall wichtig, dich selbst von der Tat abzugrenzen - du bist nicht Schuld daran, was dir passiert ist. Es war nicht das Lächeln, das du zugeworfen, ein Blick, den du erwidert oder ein Kleidungsstück, das du getragen hast. Es war der*die Täter*in, der deine Grenzen überschritten hat und dies auch nicht mit einem "War doch nur ein Kompliment" oder "Ich habe das gar nicht so gemeint" abtun kann. Nimm deine Gefühle ernst und such dir bestenfalls eine Vertrauensperson mit deren Hilfe die jeweilige Person oder / und deine*n Vorgesetzte*n auf die Situation aufmerksam machen kannst. Arbeitgeber*innen haben eine Pflicht, die Mitarbeitenden vor sexueller Belästigung zu schützen. Auch die Antidiskriminierungsstelle bietet eine Anlaufstelle für Betroffene und vermittelt gegebenenfalls weiter zu der passenden Beratungsstelle. Du erreichst die Berater*innen telefonisch unter der 030185551865 oder via Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.



Zusammen sind wir stark

Was eigentlich ein perfekter billiger Kalenderspruch ist, ist doch ziemlich, ziemlich wahr. Deswegen ist es auch im Job hilfreich, Verbündete zu finden und sich diesen anzuvertrauen und über das Problem auszutauschen. Gerade wenn der*die Chef*in das Problem ist. Denn dann werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch andere Kolleg*innen Schwierigkeiten mit der Person haben und dann - aber eigentlich auch überhaupt - würde sich die Gründung eines Betriebsrates lohnen. Klingt nach einem Riesenstress, ist anfangs auch nicht ohne, aber nicht nur du und deine Kolleg*innen werden es dir danken, sondern auch alle zukünftigen Mitarbeiter*innen der Firma.



Welche Grenzen musstest du schon im Job ziehen?

Wie hast du dies kommuniziert? Schreib uns dazu sehr gerne eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder eine WhatsApp-(Sprach)Nachricht an die 089 360 550 460.

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