Im Kaufrausch

Im Kaufrausch

Sieglinde Zimmer-Fiene im Interview mit egoFM Elise

Ein konstantes Verlangen, einkaufen zu gehen - das hat Sieglinde 25 Jahre lang begleitet. Wie man eine Kaufsucht erkennt und wie sie sich auf das Leben auswirkt, erzählt sie uns im Interview.

Circa 600.00-800.000 Menschen sind in Deutschland von Kaufsucht betroffen. Sieglinde Zimmer-Fiene schätzt die Zahl sogar noch höher ein. Sie selbst litt ebenfalls lange an Kaufsucht. Um andere Betroffene zu unterstützen, hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. Mit egoFM Elise spricht sie über die Gefühle während und nach dem Einkauf und erzählt, wie ihre Familie mit ihrer Sucht umgegangen ist.
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    Sieglinde Zimmer-Fiene im Interview

Ein ständiges Verlangen

"Morgen ändere ich aber etwas an meinem Verhalten!" Was an Neujahrsvorsätze erinnert, hat sich auch Sieglinde Zimmer-Fiene oft eingeredet. Bei ihr war es aber nicht mehr Sport oder eine gesündere Ernährung, sondern ihre Kaufsucht, die zu einem immer größeren Problem in ihrem Leben wurde. Erreicht sei die Kaufsucht, wenn man das Kaufen nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Man sei noch empfänglicher für Werbung, berichtet sie. Der Gedanke an ein Produkt oder Kleidungsstück lässt einen nicht mehr los und wird begleitet vom Verlangen, es sofort zu kaufen. Egal ob abends vorm Schlafen, morgens nach dem Aufwachen oder in der Mittagspause.
"In meiner Hochzeit gings nur noch ums Kaufen. Das ist ein ganz widerliches Gefühl, [diesen] ganze[n] Tag dieses Gefühl haben […] das besorg ich, das hol ich. […] Alles, was mit kaufen erwähnt wurde, […] dass ich gemeint habe, ich muss das holen." – Sieglinde Zimmer-Fiene


Shoppen wie beim Viehtrieb

Oft war Sieglinde direkt zur Ladenöffnung in einem Geschäft, auch wenn sie eigentlich arbeiten musste. Viele Ausreden habe es gegeben, viele angebliche Arzttermine. Die Geschwindigkeit, mit der sie unterwegs war, sei für andere unvorstellbar. Irgendwann sei man aber so in diesem Rausch drin, dass der Einkauf einem Viehtrieb ähnle.
"Man ist so punktgenau, man sieht, man kuckt, man nimmt und es passt auch zusammen. […] Es ist wie im Nebel laufen und dann wachst du irgendwo auf und du gehst aus dem Geschäft und denkst: Scheiße, wo pack ichs denn jetzt wieder hin, dass es keiner sieht." – Sieglinde Zimmer-Fiene

Was passiert nach dem Kauf?

Wenn wir uns etwas kaufen, dass uns gefällt oder von dem wir glauben, dass es ein richtig gutes Geschenk für eine bestimmte Person ist, dann breitet sich schon das wohlige Gefühl im Körper aus. Vor allem, wenn wir ein Schnäppchen ergattert haben, reagiert das Belohnungszentrum in unserem Hirn und schüttet das Glückshormon Dopamin aus. Auch Sieglinde hat nicht nur für sich, sondern auch für ihre Kinder oder Freund*innen eingekauft. Allerdings nicht nur Schnäppchen, sondern oft auch Dinge mit einem eigentlich viel zu hohen Preis. Bei Sieglinde hätten sich ihre Einkäufe in 90 Prozent der Fälle ebenfalls wie eine Belohnung angefühlt. Zumindest im ersten Moment. Dann aber kam die besagte Angst, dass andere ihre Einkäufe sehen könnten. Ihre Einkäufe hat die deshalb oft nicht nur versteckt, sondern sogar verdrängt.
"Das ist die große Angst […], dass sie ertappt werden, das ist eigentlich so ein Kotzgefühl […] Kaufsüchtige können Sachen vom Kopf her zur Seite legen, sie können es vergessen." – Sieglinde Zimmer-Fiene


Wie die Kaufsucht auf das Umfeld wirkt

Sieglinde erzählt, dass sie als Nachkriegskind immer darauf geachtet hat, dass sie gut angezogen war und gut aussah. Ihre Mutter war Schneidern, die ihr das Bewusstsein dafür mitgab. Auch während ihrer Kaufsucht übernahm sie dieses Mindset. Genau dieses Bild für andere sei aber das Problem.
"Der kaufsüchtige Mensch wirkt nach außen hin tough, geschminkt, immer gut angezogen und das ist ein falsches Denken, weil wir ja verführt werden vom Konsum." – Sieglinde Zimmer-Fiene

(Selbst)Hilfe für Kaufsüchtige

Sich von diesem Konsum von allein loszureißen, hätte sie oft probiert. Einen Punkt aus dieser Sucht herauszufinden, war allerdings sehr schwierig. In einer Klinik bekam Sieglinde dann endlich Hilfe. Selbst dort und auch von ihren eigenen Kindern wurde sie aber von vielen als Verbrecherin oder Betrügerin angesehen, die genau wisse, was sie tue. Genau das Gegenteil sei der Fall: Kaufsüchtige Menschen seien normal, aber werden von der Krankheit so eingenommen, dass der ganze Körper dadurch belastet wird. Um auch andere Betroffene zu unterstützen, hat Sieglinde Zimmer-Fiene bereits vor 20 Jahren eine anonyme Selbsthilfegruppe gegründet. Sie will damit erreichen, dass ein Austausch stattfindet, Menschen ihr Schamgefühl loswerden können, aber auch Angehörige mehr Verständnis zeigen.




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