Musik für Gehörlose

Musik für Gehörlose

Ein Interview mit einer Dolmetscherin für Konzerte

Sie begleitet sie zum Amt, ist bei ärztlichen Terminen dabei und hilft beim Studium: Sabine Goßner ist Dolmetscherin für Gebärdensprache und übersetzt nicht nur den Alltag für Gehörlose, sondern auch Konzerte.

Eine Welt ohne Musik – für die meisten von uns ist das unvorstellbar. Für Gehörlose ist das allerdings die Realität. Damit aber auch sie eine der schönsten Sachen der Welt erleben können, übersetzt Sabine Goßner Konzerte.

Angefangen hat bei ihr alles, als Musikdolmetschen in Deutschland noch gar nicht bekannt war.

Goßner arbeitete am Film Jenseits der Stille mit, der sich mit dem Aufwachsen einer Tochter von Gehörlosen beschäftigt und übersetzte für eine Szene den Song „I Will Survive“. Seitdem begleitet sie Hörgeschädigte nicht nur zu Erledigungen und Terminen, sondern wird auch von Veranstaltern für Konzerte engagiert. Doch gehen Gehörlose überhaupt zu Konzerten, wenn sie vielleicht maximal den Bass spüren können?

Dazu sagt Sabine Goßner, dass es durchaus manche Gehörlose gibt, die sich nicht für Musik interessieren und deshalb auch keine Konzerte besuchen – die gibt es aber auch unter Hörenden. Viele Hörgeschädigte sind da allerdings anderer Meinung und gehen sogar gerne in Clubs, da sie eben doch mehr als nur den Bass spüren:

"Wenn man Musik gut dolmetscht, finden Gehörlose es sehr interessant, weil es eine andere Welt ist. Das hat natürlich Grenzen, ist aber trotzdem sehr spannend."

Es ist allerdings ein ganz schön komplexer Prozess vom Lied bis zur Übersetzung, deswegen vermeidet Sabine Goßner gerne spontane Übersetzungen. Die seien nicht sauber genug und würden nur richtig funktionieren, wenn sie den Song ohnehin schon gut kennt.

Wenn sie die Übersetzung eines Songs vorbereitet, hört sie erstmal auf die Grundstimmung, die in dem Song herrscht.

Ist er traurig, sehnsüchtig oder glücklich? Das drückt sie dann zum einen mit ihrer Körpersprache und Mimik aus, zum anderen ändert sie die Gebärden aber auch entsprechend. Eine Bitte sieht beispielsweise anders aus als ein Befehl. Was wir also normalerweise durch Tonfall und Lautstärke erkennen, wandelt sie in Sichtbares um. Und das ist nicht immer einfach:

"Um die Stimmung zu vermitteln, muss ich sie selber fühlen und das kann schon mal sehr anstrengend werden, wenn ich mehrere Lieder hintereinander dolmetsche, die gegensätzliche Stimmungen erzeugen."

Auch den Text dolmetscht sie nicht Wort für Wort, sondern arbeitet eher mit gebärdensprachlichen Bildern.

Sie setzt also verschiedene Metaphern und bildliche Beschreibungen in Gebärden um und ändert sie gegebenenfalls. Dabei ist es wichtig, dass die Gebärden groß und prägnant genug sind, dass alle Gehörlosen im Publikum sie erkennen können. Außerdem spielt bei Musik vor allem das Timing eine große Rolle. Eine Gebärdenphrase darf nicht viel länger dauern als der Text, den sie darstellt, sonst würde der Rhythmus und Teile des Songs verloren gehen.

Eine weitere Schwierigkeit besteht im Übermitteln von Doppeldeutigkeiten:

"Ich muss sehen, dass die Bilder funktionieren, denn manche Wortspiele versteht man einfach nicht mehr wenn man sie in Gebärdensprache übersetzt. Bei Doppeldeutigkeiten muss ich dann versuchen sie anders auszudrücken."

Das wird alles noch einmal komplizierter, wenn Sabine Goßner englische Texte dolmetscht.

Denn auch hier spielen nicht nur die Wörter eine Bedeutung – es ist vielmehr das, was sie ausdrücken. Durch kulturelle Unterschiede und andere Ansichten können bestimmte Sachen in einer anderen Sprache eine andere Bedeutung haben.
Wenn sie eine Sprache also gar nicht oder nur sehr bruchstückhaft beherrscht, lässt sie lieber die Finger von der Übersetzung.

Generell gilt: man kann nicht alle Lieder gleich gut dolmetschen.

Wenn einem ein Song nicht gefällt oder man sich nicht damit identifizieren kann, dann ist es umso schwieriger ihn zu übersetzen.

"Deshalb arbeite ich gerne mit mehreren Kollegen zusammen. Jeder hat ein paar Lieder, die ihm mehr liegen, also wechseln wir uns ab und man kriegt ein tolles Gesamtergebnis."

Aber warum hört man so selten von Musikdolmetscher*innen für Gehörlose?

Einfach weil es sie nicht oft gibt. In Amerika ist es seit 1990 Gesetz, dass bei einem Konzert ein*e Dolmetscher*in für Hörgeschädigte anwesend sein muss, alles andere ist Diskriminierung. In Deutschland gibt es so ein Gesetz nicht, was in den USA also schon lange gesetzlich verpflichtend ist, ist hierzulande noch eine große Lücke, die es zu füllen gilt.



Wie es aussieht, wenn Sabine Goßner Musik dolmetscht, siehst du im Video:

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