Chrissy Jacker-Hundt im Interview mit egoFM Sebastian
"Werbung will doch nur manipulieren!" Warum Marketing-Expertin Chrissy diese Aussage ablehnt und wie sich Werbung in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird, erklärt sie im Interview.
Christina Jacker Hundt, aka Chrissy, ist seit über zehn Jahren im Marketing tätig. Sie kennt sich außerdem mit Konsument*innenpsychologie aus und weiß genau, wie Werbung mit Psychologie zusammenhängt. Auf ihrem Blog Chrissy's Marketing Corner bloggt sie darüber und erklärt psychologische Effekte im Werbebereich. Über Phänomene wie Sex Sells und Feminismus im Marketing schreibt sie gerade ihre Doktorarbeit. Wie diese zwei Aspekte die Werbung verändert haben und welche psychologischen Instrumente sich Unternehmen für ihr Marketing zunutze machen, darüber spricht sie mit egoFM Sebastian.
Keine Werbung ohne Psychologie
Chrissy Jacker-Hundt im Interview mit Sebastian
Foto: Chrissy Jacker-Hundt
Marketingbrille aufgesetzt
Ob auf dem Smartphone in kostenlosen Apps oder auf Social Media Plattformen, im Fernsehen während der Werbeblöcke oder durch Plakate und Litfaßsäulen auf der Straße - wir sind fast ständig mit Werbung konfrontiert. Manche Werbespots können wir irgendwann auswendig mitsprechen oder wenn die Werbetreibenden richtig auf die Tube gedrückt haben, sogar mitsingen. Andere Werbung nehmen wir gar nicht bewusst wahr, weil sie auf Instagram zum Beispiel gut im Feed verschwimmt. Chrissy dagegen sieht Werbung eigentlich immer durch ihre Marketingbrille, sagt sie. Ähnlich wie eine Filmregisseurin, die mit anderen Augen ins Kino geht, schaut sie sich zum Beispiel gezielt Werbespots an, zum Beispiel die vom Super Bowl. Dadurch bekommt sie die Entwicklung mit, die Werbung in den letzten Jahren gemacht hat. Auch wenn Werbespots im TV eine Art "Hintergrundmedien" seien, die aber trotzdem nicht unterschätzt werden sollten, weil sie vor allem dem Markenaufbau helfen, nennt sie einen großen Unterschied, der Werbung in sozialen Medien mittlerweile von Fernsehwerbung abhebt:
"Mit einer der wesentlichsten Unterschiede ist, dass im Social Media Advertising das Produkt sofort erhältlich ist. Das heißt, ich seh ne Werbung, ich klicke, ich kaufe. Diesen Vorteil hat man im klassischen Marketing, in der Werbung im TV, im Radio eher seltener." – Chrissy Jacker-Hundt
Zusammenhang von Psychologie und Werbung
Neben ihrer Tätigkeit im Marketing bei einem Unternehmen hat Chrissy noch einen Lehrauftrag für Markt-, Werbe- und Konsumentenpsychologie an einer Hochschule. Diese Inhalte gibt sie auch auf ihrem Blog weiter und macht klar:
"Marketing ohne Psychologie funktioniert nicht."
Beim Marketing stünden hochpsychologische Prozesse dahinter, von physiologischen bis hin zu kognitiven. Das sind dann zum Beispiel im Onlinemarketing sogenannte "Call To Actions", bei denen eine Werbung ihre Konsument*innen zu etwas auffordert, das Highlighten und Wiederholen von Rabattaktionen oder auch eine emotionale Botschaft, die mit einem Produkt in Kontext gesetzt wird. Oft, vermutet Chrissy, würden die Unternehmen gar nicht bewusst wahrnehmen, dass sie hier wirklich Psychologie anwenden.
"Preispsychologie ist auch so ein Paradebeispiel: Warum ist es jetzt 2,99 und nicht 3 Euro. Viele machen es einfach gängig, aber dass es tatsächlich was damit zu tun hat, dass der Konsument sich immer auf die erste Ziffer bezieht […] das hinterfragen viele gar nicht mehr so oder wie wertvoll ist ein Rabatt. […] Es gibt tatsächlich auch Regelungen, ab wann ein Konsument oder eine Konsumentin einen Rabatt als wertvoll erachtet oder ab wann er zu hoch ist und somit unglaubwürdig." – Chrissy Jacker-Hundt
Vielleicht hast du schon mal eine Werbung von früher gesehen. In den 50er-Jahren warb eine Firma zum Beispiel für einen Pudding damit:
"Sie wissen ja, eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?" - Werbung Dr. Oetker, 1954
Auch wenn es heute unvorstellbar für uns klingt, spiegelt dieser Spot die Zeit von damals ziemlich gut wider. Auf YouTube gibt es ganze Compilations mit ähnlichen Werbungen, die uns heute nur noch den Kopf schütteln lassen. Auch wenn bestimmte Stereotype noch heute in der Werbung benutzt werden – laut Chrissy braucht man sie im bestimmten Maße, damit Werbung wirkt – ist sie froh, in einer sehr aufgeschlossenen Gesellschaft zu leben. Werbung bestimmt also nicht unsere Werte, vielmehr werde sie von uns als Gesellschaft beeinflusst.
"Wir leben in einer sehr queeren Gesellschaft […] und erwarten es dann letztendlich auch in der Werbung und es wird inzwischen auch aufgegriffen und das ist auch gut so […]. [Werbung] kann Werte verstärken und als Plattform dienen, um Werte zu transportieren, aber im Grunde ist Werbung immer ein Spiegel unserer Zeit." – Chrissy Jacker-Hundt
Transparenz von Influencer*innen
Noch vor ein paar Jahren war es auf YouTube und Instagram normal, dass Influencer*innen bestimmte Produkte in den Himmel gelobt haben, ohne zu erwähnen, dass sie dafür von den Hersteller*innen bezahlt werden. Mittlerweile gilt allerdings eine Kennzeichnungspflicht, die sie dazu verpflichtet, transparent zu machen, ob die Werbung nun bezahlt ist oder sie etwas kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen haben. Chrissy lobt diese Entwicklung. Früher, erzählt sie, hätten sich Marketer*innen schöne Geschichten ausdenken müssen, damit sich ein Produkt ganz natürlich in den Content der Influencer*innen einfügt. Die heutige Transparenz käme bei Follower*innen aber viel besser an, denn sie schätzen die Ehrlichkeit und Authentizität. Deshalb lehnt Chrissy zum Beispiel auch den Vorwurf ab, Werbung würde doch nur manipulieren.
"Da brech ich auch immer eine Lanze für die Werbepsychologie, die zumindest für mich nicht da ist, um Menschen zu manipulieren, sondern wirklich um Content an User*innen heranzutragen, der für sie relevant ist."– Chrissy Jacker-Hundt
Von Wertemarketing und Greenwashing
Transparenz und eine offene Gesellschaft finden also mittlerweile in der Werbung ihren Platz. In den letzten Jahren hat sich dahingehend viel getan, aber Chrissy glaubt auch, dass sich in Zukunft noch viel mehr verändern wird. Vor allem Wertemarketing werde eine immer größere Rolle spielen. Gerade weil für die Generation Z Gleichberechtigung auf allen Ebenen so wichtig sei, würden Unternehmen noch deutlicher Flagge bekennen und für etwas einstehen und etwas transportieren, was Wert hat. Als Fachbegriff nennt sie vor allem "genderneutrales Femvertising", also Werbung mit frauenfreundlichen Botschaften, aber vor allem auch Botschaften zur Gleichstellung der Geschlechter. Aber läuft man dann nicht Gefahr, das Ganze nur aus taktischen Gründen zu machen? Darüber hat Chrissy eine klare Meinung:
"Es sollte schon in der Unternehmenskultur verankert sein und authentisch sein. Die User*innen werden das merken, wenn das nicht authentisch ist […]. Wenn man Wertemarketing betreibt, dann sollte es auch authentisch sein und […] kein Queerwashing, kein Greenwashing." – Chrissy Jacker-Hundt
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