Abitur!

Abitur!

Annas Kindheitserinnerung #89

Kürzlich trudelte sie in mein Mailpostfach ein. Still und heimlich und völlig unaufgeregt. Der Betreff: 20 Jahre!

Das hätte ja alles sein können. War es aber nicht. Die Einladung zum 20-jährigen Abitreffen traf mich mit so einer Wucht, dass mir fast die Luft weggeblieben ist: Ist es tatsächlich 20 Jahre her, dass ich im Blaumann auf dem Bierwagen stand (damals hat der Bauernhof in der Nähe Anhänger an die Traktoren gespannt, auf dem neben unzähligen Bierfässern auch wir Abiturienten standen um durch die Stadt zu fahren) um "Abi 99 - Die letzten ihrer Art" zu brüllen und drei Tage durchzufeiern?

Mit Ach und Krach habe ich das Abitur bestanden, was Wochen vorher nicht zu erwarten war. Denn ungefähr ein dreiviertel Jahr vor den schriftlichen Prüfungen kam mein Englischlehrer auf mich zu mit den Worten: "Dein Abitur ist gefährdet, Anna". Nach langen Gesprächen mit ihm, dem Direktor der Schule und meinen Eltern wurde mir der Ernst der Lage bewusst: Wenn ich das Ding nicht bestehe, muss ich noch ein weiteres Jahr auf der Schule bleiben und darauf hatte ich alles andere als Lust. Also habe ich mir einen Lernplan geschrieben, an den ich mich kleinlichst gehalten habe. Was hab ich gebüffelt! Mein Kopf hat geraucht! Meine Mutter hat mir immer mal wieder Brote geschmiert und Traubenzucker auf den Tisch gestellt.

Dann war's soweit.

Die schriftlichen Prüfungen liefen super! Dachte ich. Vier Punkte in Deutsch, zwei Punkte in Mathe waren allerdings alles andere als das.

Also mussten die mündlichen Prüfungen perfekt laufen was so viel bedeutete wie: unter 13 Punkten bin ich raus. Meine Ethiklehrerin nahm mich kurz vorher beiseite und meinte: "Anna, du lernst NUR die Stoa, kapiert?" Sie mochte mich offensichtlich und hat dem Prüfer mein Thema schon vorher gegeben.

Ich musste in drei Fächern ins mündliche Abitur, der Direktor der Schule saß bei jeder Prüfung mit drin um mir Tipps zu geben, wenn ich mal nicht weiter wusste.

Als ich anschließend auf dem Schulflur saß ohne die leiseste Ahnung, ob es zum Bestehen gereicht hat oder nicht, kam er raus, zwinkerte mir zu und lief ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei.

Abi 99! Geschafft!

Ich bin nach Hause gefahren und meine Mutter hat im Garten gerade die Wäsche abgehängt. Ich erinnere mich GENAU an ihren hoffnungsvollen Blick, gemischt mit Angst und Vorwürfen (sollte ich es nicht bestanden haben). "Ich hab's!", hab ich ihr zugerufen. Ihr ist fast der Wäschekorb aus den Händen gefallen.

Mit einem Durchschnitt von 3,5 kam ich nicht weit, egal, ich habe bestanden, das Lernen hatte sich gelohnt und das war alles, was zählte.

Und trotzdem frage ich mich auch heute noch, 20 Jahre später:

Was hat mir das Abitur überhaupt gebracht?

Mich an der Uni in Regensburg einzuschreiben, um vier Semester zu studieren bevor ich die Welt der Dauerpraktika kennengelernt habe, um meinen Traum zu verfolgen? Oder sieht Abitur im Lebenslauf einfach gut aus?

Fakt ist: Ich weiß nichts mehr von dem, was ich fürs Abi lernen musste. Aber ich weiß, dass wenn ich etwas schaffen will, ich es auch schaffen werde. Chakka!

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