Die bekanntesten Fotografien und ihre Geschichten

Die bekanntesten Fotografien und ihre Geschichten

Von Che Guevara bis zum Sturm auf das Kapitol

Von  Viktoria Molnar
Wir erzählen dir, welche Stories tatsächlich hinter berühmten Fotografien stecken.

Egal, wie sehr wir versuchen, eine Situation optisch einzufangen - Fotos oder Videos werden uns immer nur einen Ausschnitt der Realität zeigen können. Manchmal entstehen dadurch neue, andere oder sogar falsche Realitäten. Schenken wir Fotos zu viel Glauben, so lassen sie sich leicht missbrauchen - Für Ideologien oder Propaganda zum Beispiel. Diejenigen, die den Auslöser betätigen, entscheiden über die Realität. Kollegin Vicky hat uns mal die vermeintlichen Realitäten hinter den bekanntesten Fotografien rausgesucht:

Das Überschwängliche: V-J Day in Times Square (1945) 

14. August 1945 - Times Square. Die Menschen auf den Straßen New Yorks jubeln und feiern. Die Stimmung ist ausgelassen. Kurz zuvor hatte der Japanische Kaiser mündlich bekannt gegeben, dass Japan im zweiten Weltkrieg kapitulieren würde. Das Ende des Krieges war besiegelt, die Nachricht ging um die Welt und der Tag ging als Victory over Japan Day in die Geschichte der USA ein. Wie viele seiner Kolleg*innen, steht der Fotograf Alfred Eisenstaedt mit seiner kleinen Leica Kamera auf der Straße, um die Ausgelassenheit und Freude der Menschen zu dokumentieren. Ein Matrose hält eine Krankenschwester eng umschlungen, das vermeintliche Paar küsst sich. Der Fotograf drückt den Auslöser und schießt vier Fotos, von denen eines in die Geschichte eingeht.


Doch anders als das Bild vermuten lässt, küssen sich hier keine Verliebten. Der Matrose hatte sich die Krankenschwester aus Übermut einfach gepackt und an sich gezogen. Nach dem Kuss gingen die Beiden ohne ein Wort zu wechseln wieder getrennte Wege. Die Identität der Küssenden konnte erst 2012 mit Sicherheit bestätigt werden. Die porträtierte Greta Zimmer Friedmann erklärte, die Situation sei für sie keineswegs romantisch gewesen - der Matrose habe sie einfach geküsst. Gleichzeitig mache sie ihm aber keinen Vorwurf, weil es ein Moment der puren Freude gewesen sei. Aus heutiger Sicht dokumentiert das Foto also nicht nur die Leichtigkeit, Hoffnung und Freude über das Ende des zweiten Weltkriegs. Auch das gesellschaftliche Verhältnis von Mann und Frau und der damit einhergehende Sexismus wird dargestellt, der heute ebenso relevant ist wie damals.

Das Heroische: Che Guevara - Guerrillero Heroico (1960) 

05. März 1960 - der Fotograf Alberto Korda steht mit seiner Kamera, einer Leica M2, auf einem Friedhof in Havanna, Kuba. Die Trauerfeier, an der er teilnimmt, gilt den 81 Menschen, die am Vortag bei einer Explosion ums Leben gekommen waren. Auch der Commandante Ernesto Che Guevara ist zugegen - als Industrieminister wird er später die Planwirtschaft in Kuba einführen. Der Fotograf Korda schießt kurz hintereinander zwei Fotos von Guevara, eines in Quer- und eines in Hochformat.
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Alberto Korda - Museo Che Guevara, Havana, Cuba

Das breite Bild zeigt den gelernten Arzt, den Freigeist, den Marxisten, leicht von unten. Seine Schulterlangen Haare trägt Guevara offen, darauf die ikonische Baskenmütze mit Stern, die er auch nach dem Guerillakrieg noch oft trägt - als Symbol für seine wahre Bestimmung: Die Revolution. Sein Blick wirkt abwesend und doch entschlossen. Che, wie ihn die Kubaner*innen nennen, wird nach seinem Tod zum Märtyrer und zum Vorbild von Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt. Und das obwohl er mit Fidel Castro eine gewalttätige Diktatur aufbaute, die das zuvor reiche Kuba in eine wirtschaftliche Krise und damit in die Armut stürzte.  

Das Bild Guevaras wurde erst nach dessen Tod berühmt und mit ihm der Mythos - unter dem Namen "Guerrillero Heroico" - heroischer Krieger, wie der Fotograf Korda es nannte.
Mit dieser Ideologie kam das Bild über einen italienischen Verleger nach Europa und wurde hier markttauglich gemacht: Um ein sechstel gestreckt, wirkte Guevaras Gesicht schmaler - wegen seines Asthmas hatte er Kortison einnehmen müssen, wodurch sein Gesicht im Original aufgedunsen war. Zusätzlich wurden die Ränder des Fotos abgeschnitten und Guevara in den Mittelpunkt gesetzt. Die Version des Bildes in den Farben Schwarz, Weiß und Rot, trug dazu bei den Mythos des Freiheitskämpfers zu schaffen, der heute vor allem in einem weiterlebt: dem Kapitalismus. Der Befreier, der Märtyrer Che Guevara blickt nun von T-Shirts, Tassen, Buttons, aber auch Fahnen, Bannern und Plakaten in die Welt. Ob das so im Sinne des Revoluzzers war?

Das Staunende: Earthrise (1968) 

Heilig Abend, 1968: der Auslöser einer Hasselblad-500-Kamera wird betätigt und fängt das ein, was als erstes Abbild unserer Existenz beschrieben werden könnte. 240.000 Meilen von der Erde entfernt. 

Apollo 8 war der zweite bemannte Raumflug des US-amerikanischen Apollo-Programms und der erste bemannte Flug zum Mond. Die Mission der Astronauten war es, den Mond zu fotografieren und lebendig zurückzukehren. Krater für Krater sollten sie die Oberfläche aus nächster Nähe für spätere Landungen dokumentieren. Nach Stunden der Arbeit, wurde den Astronauten klar, dass an diesem tristen, dunklen Ort mit großer Wahrscheinlichkeit Niemand jemals arbeiten, geschweige denn leben wollen würde. Als sie den Mond beinahe umrundet hatten und wieder Funkkontakt zur Erde aufnehmen wollten, eröffnete sich ihnen plötzlich ein nie zuvor gesehener Anblick im Seitenfenster:

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NASA/Bill Anders

Seitens der NASA besteht kein Interesse an einem Abbild der Erde. Das Unbekannte sollte entdeckt werden, der Mond, das Weltall. Die Erde war zweitrangig. Und trotzdem geht das Foto nach ihrer Rückkehr um die Welt und mit der Veröffentlichung änderte sich etwas im Bewusstsein vieler Menschen: Die Grenzen auf unserer Erde seien künstlich geschaffen, alle Menschen teilen sich diesen einen kleinen Planeten, den es zu schützen gilt. Erste Umweltschutzbewegungen entstehen und 1970 wird der erste Tag der Erde gefeiert, um die Wertschätzung für die Umwelt zu stärken.
  • Das Überschwängliche
    V-J Day in Times Square
  • Das Heroische
    Che Guevara - Guerrillero Heroico
  • Das Staunende
    Earthrise
  • Das Erschütternde
    "Napalm Mädchen" aus Vietnam
  • Das Stürmische
    Der Sturm auf das Kapitol

Das Erschütternde: Das "Napalm Mädchen" aus Vietnam (1972)

Vietnam im Juni 1972: Im Süden des Landes fallen vier Napalm Bomben auf ein kleines Dorf. Der Norden und der Süden Vietnams bekämpfen sich zu diesem Zeitpunkt schon seit mehr als 15 Jahren. In dem Stellvertreterkrieg der Großmächte des kalten Krieges, China und Sowjetunion gegen die USA, leiden etliche Zivilist*innen. So auch die Neunjährige Kim Phuc, die an diesem Tag im Juni, schreiend vor einer Rauchwolke flieht. Ihre Arme sind ausgebreitet - ihr Körper nackt. Die brennende Kleidung hat sie sich kurz zuvor vom Körper gerissen - Napalmbomben hatten diese entzündet.

Napalm, ein Stoff, der nicht wasserlöslich ist und deswegen nur schwer gelöscht und von der Haut abgewaschen werden kann, wurde im Vietnamkrieg häufiger eingesetzt. Bereits kleine Spritzer der Säure verursachen schwere Verbrennungen auf der Haut, die nur schlecht verheilen. Während Kim vor Schmerzen schreit, drückt Nick Ut, ein Pressefotograf, auf den Auslöser und schießt das Foto, welches sich in das kollektive Gedächtnis der Kriegs Ära einbrennt: Mit dem Foto, das als "Napalm Mädchen" berühmt wird, gewinnt Ut ein Jahr später den Pulitzer Preis.


Doch das Bild, welches ausgezeichnet wurde, entspricht nicht der originalen Aufnahme des Fotografen: Im Original steht ein Reporter auf der rechten Seite: Nicht etwa, um zu helfen, sondern um seinen Film zu wechseln und weitere Fotos zu knipsen. Dieser Mann wurde von Nick Ut herausgeschnitten und wodurch ein Teil der Realität verfälscht wurde, in der die anwesenden Reporter*innen erst einmal ihrer Arbeit nachgingen, Bilder und Notizen machten, anstatt sofort Hilfe zu leisten. Auch der Fotograf Nick Ut schoss zuerst seine Fotos und fuhr die Verwundeten erst dann ins Krankenhaus. Das Mädchen Kim musste 17 Mal operiert werden, bis sie sich wieder richtig bewegen konnte. Auch, wenn die Retusche des Fotos die Realität verfälschte, schrieb das Bild Geschichte - mit der zeitlosen Botschaft: Krieg ist Grauen, was heutzutage, immer noch genauso gilt wie damals.

Das Stürmische: Der Sturm auf das Kapitol (2021)

Am 06. Januar 2021 gegen Mittag grölen Trump-Anhänger*innen die Jahreszahl der US-Unabhängigkeitserklärung im Chor. Einige Minuten später ereignen sich unfassbare Szenen in Washington D.C. An diesem Tag sollten die Stimmen der Wahlleute im Kapitol ausgezählt und Joe Bidens Sieg formal bestätigt werden. Um das zu verhindern, rief Donald Trump seine Anhänger*innen bei einer Kundgebung auf, zum Kapitol zu marschieren. Noch während Trump spricht, findet sich eine riesige Gruppe Menschen am Vorplatz des Kapitols ein. Die Stimmung kippt schnell und der Mob beginnt Barrieren nieder- und Türen einzutreten, Fenster zu zerschlagen - heftige Kämpfe zwischen den Patriot*innen und der Polizei entfachen. Szenen, die an Krieg erinnern. Im Senatssaal weiß derweil niemand, was sich vor den Türen abspielt. Bis die wütenden Trump-Anhänger*innen schreiend durch die Gänge des Kapitols irren. 

Die Fotos der Randalierer*innen gehen um die Welt. Eines von ihnen prägt sich besonders ins kollektive Gedächtnis ein: Das von Jacob Chansley. Grölend, steht der gehörnte Mann mit Pelzmütze vor den Sicherheitskräften, bewaffnet ist er mit einem Speer, an dem die Flagge der Vereinigten Staaten hängt.


"Gerechtigkeit wird siegen, Baby. Freiheit!", grölt er. Chansley zählt zu einer der Symbolfiguren des Aufstands uns wird zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Fünf Menschen kommen in den vier Stunden an diesem Januartag zu Tode. Viele weitere werden schwer verletzt. Der Sturm auf das Kapitol geht als Angriff auf die US-Demokratie in die Geschichte ein.

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