Wir erzählen dir, welche Stories tatsächlich hinter berühmten Fotografien stecken.
Egal, wie sehr wir versuchen, eine Situation optisch einzufangen - Fotos oder Videos werden uns immer nur einen Ausschnitt der Realität zeigen können. Manchmal entstehen dadurch neue, andere oder sogar falsche Realitäten. Schenken wir Fotos zu viel Glauben, so lassen sie sich leicht missbrauchen - Für Ideologien oder Propaganda zum Beispiel. Diejenigen, die den Auslöser betätigen, entscheiden über die Realität. Kollegin Vicky hat uns mal die vermeintlichen Realitäten hinter den bekanntesten Fotografien rausgesucht:
Das Überschwängliche: V-J Day in Times Square (1945)
14. August 1945 - Times Square. Die Menschen auf den Straßen New Yorks jubeln und feiern. Die Stimmung ist ausgelassen. Kurz zuvor hatte der Japanische Kaiser mündlich bekannt gegeben, dass Japan im zweiten Weltkrieg kapitulieren würde. Das Ende des Krieges war besiegelt, die Nachricht ging um die Welt und der Tag ging als Victory over Japan Day in die Geschichte der USA ein. Wie viele seiner Kolleg*innen, steht der Fotograf Alfred Eisenstaedt mit seiner kleinen Leica Kamera auf der Straße, um die Ausgelassenheit und Freude der Menschen zu dokumentieren. Ein Matrose hält eine Krankenschwester eng umschlungen, das vermeintliche Paar küsst sich. Der Fotograf drückt den Auslöser und schießt vier Fotos, von denen eines in die Geschichte eingeht.#TBT to this iconic photo, "V-J Day in Times Square", which turned 74 years old yesterday! pic.twitter.com/kTEICti6k7
— Times Square (@TimesSquareNYC) August 15, 2019
Doch anders als das Bild vermuten lässt, küssen sich hier keine Verliebten. Der Matrose hatte sich die Krankenschwester aus Übermut einfach gepackt und an sich gezogen. Nach dem Kuss gingen die Beiden ohne ein Wort zu wechseln wieder getrennte Wege. Die Identität der Küssenden konnte erst 2012 mit Sicherheit bestätigt werden. Die porträtierte Greta Zimmer Friedmann erklärte, die Situation sei für sie keineswegs romantisch gewesen - der Matrose habe sie einfach geküsst. Gleichzeitig mache sie ihm aber keinen Vorwurf, weil es ein Moment der puren Freude gewesen sei. Aus heutiger Sicht dokumentiert das Foto also nicht nur die Leichtigkeit, Hoffnung und Freude über das Ende des zweiten Weltkriegs. Auch das gesellschaftliche Verhältnis von Mann und Frau und der damit einhergehende Sexismus wird dargestellt, der heute ebenso relevant ist wie damals.
Das Heroische: Che Guevara - Guerrillero Heroico (1960)
05. März 1960 - der Fotograf Alberto Korda steht mit seiner Kamera, einer Leica M2, auf einem Friedhof in Havanna, Kuba. Die Trauerfeier, an der er teilnimmt, gilt den 81 Menschen, die am Vortag bei einer Explosion ums Leben gekommen waren. Auch der Commandante Ernesto Che Guevara ist zugegen - als Industrieminister wird er später die Planwirtschaft in Kuba einführen. Der Fotograf Korda schießt kurz hintereinander zwei Fotos von Guevara, eines in Quer- und eines in Hochformat.Alberto Korda - Museo Che Guevara, Havana, Cuba
Das breite Bild zeigt den gelernten Arzt, den Freigeist, den Marxisten, leicht von unten. Seine Schulterlangen Haare trägt Guevara offen, darauf die ikonische Baskenmütze mit Stern, die er auch nach dem Guerillakrieg noch oft trägt - als Symbol für seine wahre Bestimmung: Die Revolution. Sein Blick wirkt abwesend und doch entschlossen. Che, wie ihn die Kubaner*innen nennen, wird nach seinem Tod zum Märtyrer und zum Vorbild von Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt. Und das obwohl er mit Fidel Castro eine gewalttätige Diktatur aufbaute, die das zuvor reiche Kuba in eine wirtschaftliche Krise und damit in die Armut stürzte.
Das Bild Guevaras wurde erst nach dessen Tod berühmt und mit ihm der Mythos - unter dem Namen "Guerrillero Heroico" - heroischer Krieger, wie der Fotograf Korda es nannte. Mit dieser Ideologie kam das Bild über einen italienischen Verleger nach Europa und wurde hier markttauglich gemacht: Um ein sechstel gestreckt, wirkte Guevaras Gesicht schmaler - wegen seines Asthmas hatte er Kortison einnehmen müssen, wodurch sein Gesicht im Original aufgedunsen war. Zusätzlich wurden die Ränder des Fotos abgeschnitten und Guevara in den Mittelpunkt gesetzt. Die Version des Bildes in den Farben Schwarz, Weiß und Rot, trug dazu bei den Mythos des Freiheitskämpfers zu schaffen, der heute vor allem in einem weiterlebt: dem Kapitalismus. Der Befreier, der Märtyrer Che Guevara blickt nun von T-Shirts, Tassen, Buttons, aber auch Fahnen, Bannern und Plakaten in die Welt. Ob das so im Sinne des Revoluzzers war?
Das Staunende: Earthrise (1968)
Heilig Abend, 1968: der Auslöser einer Hasselblad-500-Kamera wird betätigt und fängt das ein, was als erstes Abbild unserer Existenz beschrieben werden könnte. 240.000 Meilen von der Erde entfernt.Apollo 8 war der zweite bemannte Raumflug des US-amerikanischen Apollo-Programms und der erste bemannte Flug zum Mond. Die Mission der Astronauten war es, den Mond zu fotografieren und lebendig zurückzukehren. Krater für Krater sollten sie die Oberfläche aus nächster Nähe für spätere Landungen dokumentieren. Nach Stunden der Arbeit, wurde den Astronauten klar, dass an diesem tristen, dunklen Ort mit großer Wahrscheinlichkeit Niemand jemals arbeiten, geschweige denn leben wollen würde. Als sie den Mond beinahe umrundet hatten und wieder Funkkontakt zur Erde aufnehmen wollten, eröffnete sich ihnen plötzlich ein nie zuvor gesehener Anblick im Seitenfenster:
NASA/Bill Anders
Seitens der NASA besteht kein Interesse an einem Abbild der Erde. Das Unbekannte sollte entdeckt werden, der Mond, das Weltall. Die Erde war zweitrangig. Und trotzdem geht das Foto nach ihrer Rückkehr um die Welt und mit der Veröffentlichung änderte sich etwas im Bewusstsein vieler Menschen: Die Grenzen auf unserer Erde seien künstlich geschaffen, alle Menschen teilen sich diesen einen kleinen Planeten, den es zu schützen gilt. Erste Umweltschutzbewegungen entstehen und 1970 wird der erste Tag der Erde gefeiert, um die Wertschätzung für die Umwelt zu stärken.
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