Präsidentschaftswahl in Frankreich

Präsidentschaftswahl in Frankreich

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Giorgia Grimaldi

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Am Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahl statt. Aktuellen Meinungsumfragen zufolge könnte es wieder auf eine Stichwahl zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen hinauslaufen.

Giorgia Grimaldi ist freie Journalistin und berichtet als Frankreich-Korrespondentin für verschiedene deutschsprachige Medien aus ihrer Wahlheimat Marseille. Im Interview mit Gloria hat sie über die aktuelle Stimmung in Frankreich gesprochen, verschiedene Wahlprognosen eingeordnet und erklärt, was diese auch für Deutschland und Europa bedeuten würden.  

Präsidentschaftswahl in Frankreich

Im Gegensatz zu Deutschland wird in Frankreich direkt gewählt, die erste Runde findet diesen Sonntag statt. Sollte bei diesem Wahlgang, bei dem insgesamt 12 Kandidat*innen antreten, keine*r die absolute Mehrheit erzielen, kommt es am 24. April zu einer Stichwahl zwischen den beiden Anwärter*innen mit den meisten Stimmen.
  • Giorgia Grimaldi im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören

Giorigias Einschätzung nach ist es durchaus möglich, dass es genau wie 2017 wieder zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Emmanuel Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen kommt.

Realistische Chancen haben neben diesen beiden Anwärter*innen vor allem auch Jean-Luc Mélenchon, der allgemeinhin als Linkspopulist bezeichnet wird und dieses Jahr zum dritten Mal antritt. Er hat das klima- und migrationsfreundlichste Programm, fährt allerdings auch einen sehr europakritischen Kurs und möchte beispielsweise auch den Austritt Frankreichs aus der NATO, erzählt Giorgia. Danach kommen - wenn auch mit deutlich weniger Chancen - die Kandidat*innen Eric Zemmour, ein extrem rechter Populist, und Valérie Pécresse, Kandidatin der Republikaner. In den Umfragen ganz vorne liegen aktuell aber Emmanuel Macron und Marine Le Pen. 

Einer aktuellen Studie zufolge haben 35 Prozent der Wähler*innen allerdings vor, womöglich einen leeren Stimmzettel abzugeben und 26 gaben an, gar nicht erst wählen zu gehen. Außerdem gibt es eine Tendenz, eher die Extreme zu wählen. Trotzdem könnten die aktuellen Geschehnisse Macron in die Karten spielen, sagt Giorgia:
"In Zeiten von politischen Unruhen, Kriegen und Krisen setzen doch viele auf Vertrautes. Auch wenn sie vielleicht bisher nicht so wirklich mit Macrons Politik einverstanden waren, glaube ich, macht das vielen Leuten Angst, wenn es einen Regierungswechsel geben würde. Vor allem weil es ja doch die starke Tendenz gibt, dass - wenn es einen Wechsel gibt - es entweder stark nach rechts oder stark nach links ausschweifen würde und dementsprechend hat ihm [Macron] das schon in die Karten gespielt." - Giorgia Grimaldi

Allerdings merkt sie auch an, dass sich Macron selbst in eine brenzlige Lage gebracht hat: Denn eigentlich hatte er bis März betont, sich nicht offiziell als Präsident aufstellen zu lassen, bis die Lage zwischen Russland und Ukraine geklärt wäre, um in dieser Situation bis zum Schluss voll und ganz Präsident sein zu können - dann hat Russland allerdings begonnen, die gesamte Ukraine militärisch anzugreifen und Macron musste sich eben doch inmitten des Krieges positionieren und ist nun seit einem Monat nicht mehr nur Präsident, sondern auch Kandidat. Aufgrund des Krieges hält er sich im Wahlkampf aber sehr zurück und es gibt keine feierlichen Reden oder Zeremonien. Sein Auftreten in der Rolle des Kandidaten ist insgesamt sehr diskret, wie es Giorgia beschreibt, womit er den französischen Bürger*innen signalisieren möchte, dass er sich immer noch auf sein Amt und das Regieren konzentriert. 


Der amtierende Präsident Emmanuel Macron ist Mitglied der von ihm selbst gegründeten Partei La République en Marche, die grundsätzlich liberal und proeuropäisch angesiedelt ist. Mehr über die Entstehung der Partei und ihre politische Einordnung findest du hier.


Corona spielt bei der kommenden Wahl kaum eine Rolle. 

Die großen Themen dieser Wahl sind der Angriffskrieg gegen die Ukraine, Klima, Sicherheit und Migration, aber auch Energie und steigende Energiepreise. Während in Deutschland beim Thema Energie aber vor allem die Erneuerbaren vorangebracht werden sollen, setzt Frankreich auf dem Weg zur Klimaneutralität auch fest auf Atomkraftwerke. Das wird zwar diskutiert, die französische Bevölkerung ist aber daran gewöhnt, dass ein Großteil ihrer Energie aus Atomkraftwerken kommt - dementsprechend ist die Atomkraft-Debatte bei Weitem nicht so aufgeladen wie in Deutschland.
"In Frankreich wird einfach grundsätzlich eine andere Strategie gefahren, was die Energieversorgung angeht, das sieht man allein schon daran, dass 70 Prozent des französischen Energiehaushaltes aus Atomkraftwerken bezogen wird. Das ist schon lange so und wird auch von vielen Franzosen*Französinnen und auch von der Regierung als Stärke gesehen, als Zeichen für Unabhängigkeit - was sich ja eben in der jetzigen Situation auch so auslegen lassen könnte." - Giorgia Grimaldi 

Emmanuel Macron wird bei einer Wiederwahl künftig auf einen Energiemix aus Atomkraft und erneuerbaren Energien setzen, will aber auch sechs weitere Atommeiler bauen lassen. Einerseits stößt er damit auch Kritik, vor allem aufgrund der ungeklärten Atommüll-Problematik, andererseits bekommt er für dieses Vorhaben aber auch viel Zustimmung, da es eben Unabhängigkeit garantiert. Mehr Infos dazu, ob Nuklearenergie eine gute Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität darstellt, findest du hier.

Die deutsch-französischen Beziehungen

Die deutsch-französische Freundschaft hat für das vereinte Europa immer eine zentrale Rolle gespielt. Seit der Nachkriegszeit gab es sogenannte Tandems – das berühmteste bildeten Konrad Adenauer und Charles De Gaulle, aber auch Angela Merkel hat mit mehreren französischen Präsidenten immer eng zusammengearbeitet und der erste Auslandsbesuch von Olaf Scholz als Kanzler ging nach Paris - an sich steht es um die deutsch-französischen Beziehungen also trotz vieler Umbrüche in den letzten Jahren ganz gut. Das könnte sich allerdings am Sonntag verändern:
"Macron ist unter den derzeitigen Kandidat*innen der Einzige, der wirklich weiterhin diese proeuropäische Schiene aktiv fährt und auch weiterhin fahren möchte. Also er möchte davon nicht abrücken, das wird auch weiterhin seine politische Linie sein. Und egal ob es jetzt Le Pen, Mélenchon, Zemmour oder Pécresse werden würde - und das sind ja die mit den größten Chancen - würde sich das auf jeden Fall ändern, da sie sehr viel europakritischer ausgerichtet sind und somit auch deutschlandkritischer. [...] Die deutsch-französischen Beziehungen würden sich in jedem Fall ändern, wenn der nächste Präsident nicht Emmanuel Macron heißt." - Giorgia Grimaldi

Giorgia hat insgesamt das Gefühl, dass viele Wähler*innen am Sonntag nach dem Ausschlussverfahren vorgehen könnten. Denn die Menschen, die weder eine rechtsextreme, noch eine linksextreme Politik möchten, sind quasi gezwungen, Macron zu wählen. Außerdem hält sie es für sehr realistisch, dass es zu einer Stichwahl zwischen Macron und Le Pen kommt - immerhin hat Le Pen genau darauf die letzten Jahre hingearbeitet.

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