Was bedeutet es eigentlich "gegen den Strom" zu sein? Und gibt es DEN Mainstream überhaupt noch?
Was haben die Subkulturen der 70er Jahre mit aktuellen Bewegungen wie Fridays For Future zu tun?
Um über diese Frage zu sprechen, hat sich egoFM Gloria mit dem Kulturwissenschaftler Jochen Bonz digital getroffen.
Über Subkulturen
Jochen Bonz zu Gast bei Gloria
In welche Richtung fließt der Mainstream?
Gegen den Strom zu schwimmen setzt eine Art Fließrichtung des Mainstreams voraus, doch diesen einen Mainstream gibt es heute so eigentlich nicht mehr, meint Jochen Bonz:
"Ich glaube es ist gar nicht so leicht heute von Subkulturen zu sprechen, gerade weil es einfach diesen Mainstream nicht mehr gibt. In der Kultur- und Sozialwissenschaft, als es die Hochphase der Subkulturforschung in den 70er Jahren gab, hat man von der hegemonialen Kultur gesprochen - also von der vorherrschenden Kultur - und davon, dass sich Subkulturen gegen die gewandt haben. Gruppen wie die Mods oder die Punks in Großbritannien - und ich glaube das gibt's heute nicht mehr." - Jochen Bonz
Definiere Subkultur!
Auch die Bezeichnung als Subkultur sei nicht immer eindeutig. Sind Subkulturen beispielsweise dadurch definiert, dass sie gegen etwas sind oder können sie auch einfach so aus sich selbst heraus existieren...
"Die klassischen Popsubkulturen sind aus der Arbeiterklasse entstanden und haben sich immer zum einen gegen diese gewendet und zum anderen aber auch Elemente daraus übernommen. Und das war genau für die dann auch kennzeichnend." - Jochen Bonz
Zum Beispiel trugen Skinheads in Großbritannien die klassischen Stiefel der Arbeiterklasse, obwohl sie sich dieser gar nicht zugehörig fühlten. Bei einem anderen Phänomen, dem Techno, ist das Besondere dagegen, dass sich die Zugehörigkeit eigentlich nicht durch eine gemeinsame Anti-Haltung auszeichnet:
"Im Zentrum des Technos stand nicht gegen etwas zu sein, wie das für viele andere Subkulturen ja auch galt wie die Punks zum Beispiel oder für die Hippies, aber im Zentrum vom Techno stand einfach, dass man sich im Moment spürt. also das man sich selbst spürt, in der Erschöpfung zum Beispiel" - Jochen Bonz
Subkulturen sind flüchtig
Ein zentraler Aspekt an Subkulturen ist, dass sie in einem sehr spezifischem zeitlichen Kontext stattfinden.
"Subkulturen sind immer abhängig von dem Kontext in dem sie stattfinden, also von den gesellschaftlichen Verhältnissen, die eben bestehen [...] und dabei einen Nerv treffen. Das gilt zum Beispiel für die Hippies, dass da so eine Art andere Welt versprochen wurde, in der es wirklich um etwas zu gehen schien, was man in der übrigen Gesellschaft nicht gefunden hat." - Jochen Bonz
Der Wunsch nach Bedeutung und gemeinsamen Werten ist also besonders wichtig für die Entstehung einer Subkultur. Besonders fasziniert war Jochen Bonz in seiner Forschungsarbeit aber vom Techno der 90er, der es von der Subkultur in den heutigen Mainstream geschafft hat. Die obige Definition gemeinsamer Werte gilt für Techno zwar nicht unbedingt, trotzdem erschafft Techno eine eigene Welt und zeichnet sich dadurch aus, besonders offen und inklusiv zu sein:
"Techno ist die ideale Musik, um zu tanzen, gerade WEIL sie keine Bedeutung transportiert. Es geht nicht um Werte bei Techno. Bei Techno ging es darum, einfach auf dem Dancefloor zu sein und sich darin zu verlieren." - Jochen Bonz
Sind Subkulturen von gestern der Mainstream von morgen?
In einem Moment hat die sogenannte In-Group eine Musik gehört und die war aufgeladen mit Überzeugungen und Bedeutungen. Das ist aber wandelbar und die Bedeutungen ändern sich. Rockmusik hatte früher vielleicht einen Aspekt von Gegenkultur, ist heute aber vor allem mit Nostalgie aufgeladen.
"Subkulturen sind immer schon gekommen und verschwunden. [...] Jugendliche waren ne Zeit lang Hippies und dann waren sie Glamrocker und dann waren sie so etwas wie Punks oder New Wave Leute. Die waren nicht das ganze Leben lang Subjekte einer bestimmten Subkultur. Das gehört zu diesen Subkulturen dazu und es ist eher unsere heutige Vorstellung, dass man sein ganzes Leben lang Retromod oder so etwas bleiben muss." - Jochen Bonz
Kann man bei aktuellen Strömungen (noch) von Subkultur sprechen?
Eine der "mainstreamtauglichsten" politischen Bewegungen heute ist Fridays For Future. Mit den Demonstrationen gegen den Klimawandel und für eine bessere Klimapolitik und der Leitfigur Greta Thunberg trifft FFF eindeutig den Zeitgeist.
Durch gemeinsame Werte und eine Identifikation mit der Gemeinschaft vereint Fridays For Future zwar einige Aspekte einer Subkultur. Ein zentraler Punkt einer jeden Subkultur war und ist aber auch die Frage nach einem bestimmten Stil und Geschmack und vor allem die Identifikation damit. Das steht bei Fridays For Future nicht zentral im Mittelpunkt. Einen wichtigen Unterschied zu den Subkulturen des Pop gibt es für Jochen Bonz auch noch:
"Darüber hinaus sind sie dann mit ihrem Anliegen auch noch für die Politik sichtbar geworden. Und das Thema ist ja für uns alle - und das ist ein Unterschied zu den klassischen Subkulturen - total wichtig. Die Klimarettung ist etwas, wovon das Leben von uns allen und von den nachfolgenden Generationen abhängt. Und das war bei den klassischen Pop-Subkulturen natürlich nicht der Fall. Somit hat der Vergleich vielleicht einfach seine Grenzen." - Jochen Bonz
Auch Gruppen wie die so genannten Querdenker*innen oder auch PEGIDA nutzen Aspekte der Subkultur heute für sich.
Zumindest beobachtet Jochen Bonz die aktuellen Entwicklungen mit einem eher unguten Gefühl:
"Das hat auf jeden Fall auch Züge von Subkulturen - ganz unangenehme Züge von Subkulturen. [...] Das Problem ist ja: Sie tun so, als seien sie marginalisiert, aber sie sind es ja gar nicht. Das gipfelt im Tragen des Judensterns. Also dieser Gleichsetzung mit den massiv von Antisemitismus betroffenen Juden während der Zeit des Nationalsozialismus. Sich damit überhaupt gleichzusetzen in unserer heutigen Zeit - und das auch noch wenn man z.B. ein weißer Mann aus der Mittelschicht ist - das ist einfach ekelhaft." - Jochen Bonz
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