U wie Ungerechtigkeit

U wie Ungerechtigkeit

egos4future - Von A bis Z

Von  Anne Mederacke
Jeder Buchstabe ein Thema: Wir fassen die Basics zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zusammen. Diese Woche: U wie Ungerechtigkeit.

Strom sparen, saisonal und regional einkaufen, recyceln, aufs Auto verzichten,... Wer sich vornimmt, in allen Bereichen des Lebens auf Nachhaltigkeit zu achten, setzt sich hier und da dann doch manchmal enormem Druck aus. Und Bilder und Zahlen aus den Medien machen es dann nicht besser: Der Klimawandel sorgt u.a. dafür, dass die Dooms Day Clock 100 Sekunden vor 12 steht, Wetterkatastrophen häufen sich, in unseren Meeren ist bald mehr Plastik als Fische,... Wer Schuld trägt, ist dabei klar: Menschen.

Grünes Leben - eine Preisfrage?

Um deinen Teil zur Besserung der Menschheit beizutragen, versuchst du nun schon dein Bestes, informierst dich und verzichtest auch gern an einigen Stellen auf gewohnten Klimasünder-Luxus. Trotzdem bleibt die Frage: Wie viel Nachhaltigkeit ist genug? Eine löbliche Selbstreflexion - aber auch eine ganz schön privilegierte. Nicht jede*r hat das nötige Kleingeld, Nachhaltigkeit im eigenen Leben umzusetzen. Im Schnitt kosten nachhaltige Produkte 75 bis 80 Prozent mehr als herkömmliche. Beim Thema Kleidung sind es teilweise sogar 150 Prozent. Dabei spielt auch die Frage der Beschaffung eine Rolle - nicht jede*r kann oder will in einem Ballungszentrum mit mehreren Auswahlmöglichkeiten leben. Und was macht es denn nun überhaupt für einen Unterschied, wenn du als unbedeutender kleiner Piepel beim Einkauf auf den CO2-Fußabdruck achtest, "die größten Klimasünder [aber] deutlich hinterherhinken"?


Die verzerrende Doppelmoral

Solche oder ähnliche Statistiken kennst du sicher: China und Indien gehören (neben den USA) zu den Ländern mit dem höchsten jährlichen CO2-Ausstoß und machen (Stand 2019) fast 40 Prozent unseres gesamten CO2-Ausstoßes aus. Der Fingerzeig geht deswegen auch häufig genau in die Richtung dieser Ländern: Hier müssen sich die Menschen ändern, hier liegt das Problem und der größte Hebel, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Dieser Fingerzeig kommt auch aus der Politik von den Oberhäuptern der Länder im globalen Norden: Sie halten dem globalen Süden einen Vortrag darüber, dass sie doch bitte schnellstmöglich ihren CO2-Ausschuss in den Griff bekommen sollten... Aber warum nimmt sich der globale Norden eigentlich diese Freiheit, andere Länder so herablassend belehren zu wollen - wo sie doch selbst der Ursprung des Problems sind?

Klima-Kolonialismus als Wurzel des Problems?

2021 ging dieser Begriff viral. Grund dafür war ein Video des indischen Historikers und Journalisten Vijay Prashad und seiner Rede bei der 26. Klimakonferenz in Glasgow (COP26), das kurze Zeit später auf Twitter geteilt wurde. In seiner Rede hält er der westlichen Welt den Spiegel vor und kritisiert diese zu Recht. Prashad erklärt während der Podiumsdiskussion, dass Gespräche über den Klimawandel auf Gipfeln wie dem COP26 nicht erfolgreich sein können, weil dabei in den meisten Fällen zwei sehr wichtige Themen außer Acht gelassen werden: Die koloniale Mentalität des globalen Nordens und koloniale Strukturen, die noch heute greifen. Insbesondere kritisiert er dabei auch die USA. Joe Biden selbst hatte bei der Konferenz China und Russland verurteilt, da weder Präsident Putin noch der chinesische Staatspräsident Xi Jinping anwesend waren:
"We showed up and by showing up we've had a profound impact on the way I think the rest of the world is looking at the United States and its leadership role [...]. I think it's been a big mistake, quite frankly, for China, it gets to China for not showing up. The rest of the world are going to look to China and say 'what value-added are they providing?" - Präsident Joe Biden

In Anbetracht dessen, dass die USA selbst zu den Ländern mit dem höchsten CO2-Ausstoß gehören und zusätzlich 25 Prozent der Ressourcen der ganzen Welt verbraucht, wird die von Vijay Prashard angesprochene koloniale Mentalität beim Thema Klima noch einmal sehr deutlich. Er sagte dazu:
"You want to lecture us, you want to tell us, that we are responsible for all the problems, because you'll never accept that you're the one principally to blame. [...] You like to say 'we're all in this together' and so on. We're not in this together. The United States - four or five percent of the world's population - still uses 25 percent of the world's resources. You outsource production to China and then you say china is the carbon polluter. China is producing your buckets, China is producing your nuts and bolts, China is producing your phones. Try to produce it in your own countries and see your carbon emissions rise." - Vijay Prashad

Auch eine Studie von Oxfam kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Rund 3,5 Milliarden Menschen der ärmsten Menschen der Welt sind lediglich für 10 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes verantwortlich (pro Kopf). Dennoch leben sie meist in den Ländern, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden. 10 Prozent der reichsten Menschen der Welt sind jedoch für 50 Prozent des pro Kopf CO2-Ausstoßes verantwortlich. Zu den reichsten Menschen zählen übrigens nicht nur Elon Musk und Co., sondern auch die meisten Menschen im globalen Norden. (Wo du dich prozentual auf der Welt einordnen kannst, kannst du zum Beispiel hier errechnen). Wenn wir beim Thema Klima über Ungerechtigkeit sprechen, müssen wir über Klima-Kolonialismus sprechen.


FridaysForFuture oder FridaysForToday?

In seiner Rede kritisiert Vijay Prashad auch die Klimagerechtigkeitsbewegung. Bewegungen wie Fridays for Future, Ende Gelände oder Extinction Rebellion erkennen zwar, dass der menschengemachte Klimawandel vor allem auch ein ethnisches und politisches Problem ist. Allerdings kritisiert Prashad, dass sich diese Bewegungen nur um die bedrohte Zukunft der mittelständigen Industrieländer sorgt - weniger aber der jetzt schon verheerenden Lebensverhältnisse in anderen Ländern. Er sagt, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung hier ihren Fokus ändern müsse:
"The climate justice movement is a movement that says 'We are worried about our future'. What future? What future? Children in the african continent, in asia, in latin america - they don't have a future. They don't have a present. They're not worried about the future, they are worried about their present. Your slogan is 'We are worried about our future' [...]. That's some middle-class bourgeois western slogan. You got to be worried about now."- Vijay Prashad

Nach Prashads Meinung wird die Klimagerechtigkeitsbewegung im globalen Süden und in ärmeren Ländern nie Anklang finden. Warum auch? Aktuell haben 2,7 Milliarden Menschen nicht genug zu essen - wenn Klimagerechtigkeitsbewegung aufrufen, den eigenen Konsum zu reduzieren, ist das ein Schlag ins Gesicht all jener, die jetzt schon kaum genug zum Überleben haben.

Hier kannst du dir die Rede ansehen:


"We want to tell you what our issues are, but are you willing to listen?"

Statt dem Fingerzeig ist es also u.a. unabdingbar, dass sich die Industrienation zunächst ehrlich und kritisch mit ihrem Konsum und dessen Folgen auseinandersetzen. Natürlich ist es trotzdem sinnvoll, auch selbst zu überlegen, wie ein nachhaltigeres Leben aussehen könnte. Allerdings dürfen wir dabei nicht das große Ganze aus dem Blick verlieren und bedenken, dass jeder Mensch eben auch andere Voraussetzungen hat - nicht nur in Deutschland. Die Ursachen des Klimawandels sind viel tiefgreifender und komplexer. Klimafreundliche Veränderungen im privaten reichen nicht aus - es brauch eine Veränderung der globalen Strukturen. Eine gute Nachricht gibt es aber trotzdem: Gerade die Klimagerechtigkeitsbewegung erkennt diese Strukturen immer mehr und geht nicht mehr nur für kleine Eisbären auf die Straße, sondern versucht mit Demonstrationen und Aktionen Aufmerksamkeit für die Probleme des globalen Südens (und damit der ganzen Welt) zu steigern. Zuhören statt belehren.

Es geht nicht nur um den Kampf gegen den steigenden CO2-Ausstoß, sondern um den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit.

Und viele Industrienationen gestehen sich zwar inzwischen ihre Verantwortung ein und haben versichert, ärmere Länder finanziell im Kampf gegen den Klimawandel und dessen Folgen zu unterstützen - versuchten aber dennoch den Begriff "Schadensersatz" zu vermeiden. Grund dafür ist die Angst, dass tatsächlich Klagen gegen die Nationen erhoben werden könnten, wenn diese erstmal zugegeben, dass ärmere Länder einen Schadensersatzanspruch haben. Deswegen war es 2021 bei der Klimakonferenz in Glasgow auch nicht möglich, einen Schadensersatzfonds zu errichten, in den die Industriestaaten einzahlen könnten. 

Jetzt geht Dänemark allerdings mit einem guten Beispiel voran: 

Das Land hat 100 Millionen Kronen für - und das ist das Besondere - den Ausgleich von Schäden und Verlusten, die die Klimakatastrophe bereits verursacht hat, zugesagt. Heißt: Schadensersatz. Das Geld geht an verschiedene Initiativen. Bei der diesjährigen Weltklimakonferenz soll zwar erneut über einen Schadensersatzfondsdiskutiert werden, damit solche Zahlungen zukünftig dort landen könnten. Dass es allerdings wirklich dazu kommt und die Mehrheit dem zustimmt, ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich.

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