Verkehrssicherheit & Verkehrspolitik

Verkehrssicherheit & Verkehrspolitik

Die kompletten Interviews aus egoFM Reflex

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Sabrina Luttenberger (Artikel)
Wie eine App für mehr Sicherheit für Fahrradfahrer*innen sorgen will und was in der Politik passieren muss, dass die Verkehrswende gelingt.


Mehr Sicherheit für Radfahrende

Auch wenn die Zahl der Fahrradfahrer*innen während der Pandemie gefühlt stark zugenommen hat, fühlen sich viele immer noch unsicher, vor allem im Stadtverkehr. Einen Überblick über die Verkehrssicherheit will deshalb das Projekt SimRa schaffen. David Bermbach vom Einstein Center Digital Future Berlin hat es entwickelt und erzählt im Interview, wo die häufigsten Gefahrenschwerpunkte liegen und was man für mehr Sicherheit für Fahrradfahrer*innen tun muss.

App erkennt Gefahrenschwerpunkte für Fahrradfahrer*innen

Das Projekt SimRa hat sich zum Ziel gesetzt, die Gefahrenschwerpunkte für Fahrradfahrer*innen herauszuarbeiten. Hierfür wurde eine App entwickelt, die durch GPS-Daten Fahrtrouten aufzeichnet. Durch die Nutzung von Beschleunigungssensoren stellt sie fest, wann plötzlich gebremst oder ausgewichen wird oder es sogar zu einem Sturz kommt und ermittelt so die Gefahrensituationen. Oft liegen die dort, wo Autos besonders schnell fahren, wo es keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt oder in Gewerbegebieten, in denen Autofahrer*innen nicht mit Fahrradfahrer*innen rechnen. Auch in kleinen Nebenstraßen, die oft als Abkürzungsstrecke verwendet werden, um Staus oder rote Ampeln zu umgehen, lauern Gefahren, erzählt David Bermbach. Das Ganze ist ein Citizen Science Projekt, das heißt, jede*r kann mitmachenDie Nutzer*innen der App werden nach der Fahrt dazu aufgerufen, die Gefahrensituationen zu kategorisieren, um die Gefahrenschwerpunkte zu erkennen und letztendlich die Sicherheit für alle zu erhöhen. Denn darauf liegt laut Projektleiter David Bermbach noch immer zu wenig Aufmerksamkeit.

 

Wie erhöht man die Sicherheit von Fahrradfahrer*innen?

An den Orten, an denen die Radinfrastruktur besser ausgebaut ist, gebe es auch weniger Gefahrenschwerpunkte, meint David Bermbach. Was es für mehr Sicherheit für Radler*innern bräuchte, wären daher ein umfassender Ausbau der Radinfrastruktur, genauso wie eine konsequente Straßenverkehrsordnung.
"Wir haben eine massiv unzureichende Radinfrakstruktur. […] Gleichzeitig gibt's aber auch diesen anderen Aspekt, dass auch einfach unsere Straßenverkehrsordnung mal konsequent durchgezogen werden müsste. Dass wirklich Fehlverhalten sanktioniert wird, dass da ein hoher Kontrolldruck ist, dass eben auch nicht Falschparker Kreuzungen zuparken und damit die Sichtachsen behindern." – Prof. Dr. David Bermbach


Verschiebung der Verkehrsanteile und Verkehrswende

In Deutschland werden nach wie vor große Straßenflächen für Autos geplant. Der Rest wird auf enger Fläche zusammengedrängt, was wiederum Konflikte und weitere Gefahren für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen provoziert. Eine Verschiebung der Flächen sei hier notwendig, erklärt David Bermach. Vorbilder sind hier die Niederlande, Schweden, Kopenhagen oder auch Paris, wo innerhalb kurzer Zeit viel Fläche umgewendet wurde. Denn Sicherheit sei DAS Tool, um Fahrradfahren für alle attraktiver zu machen.
"Elektromobilität löst ein paar Emissionsprobleme, es löst aber nicht die Verkehrsprobleme in den Städten, es löst keine Sicherheitsprobleme. […]. Letzten Endes muss das Ziel sein, dass […] ich mein zehnjähriges Kind oder meine 80-jährige Oma guten Gewissens durch die Stadt fahren lassen kann und dass sich die dabei auch sicher fühlen." – Prof. Dr. David Bermbach
20200902-ecdf-david-simra_20.jpg
Prof. Dr. David Bermbach
  • Prof. Dr. David Bermbach über Verkehrssicherheit
    Das komplette Interview aus egoFM Reflex
  • Prof. Dr. Andreas Knie über Verkehrspolitik
    Das komplette Interview aus egoFM Reflex

Welche Signale braucht es von der Politik für die Verkehrswende?

Um die Verkehrswende aber auch wirklich zu schaffen und uns klimafreundlicher fortzubewegen, braucht es Signale aus der Politik. Die Ampel-Koalition widmet dem Thema Radverkehr im Koalitionsvertrag gerade mal ein paar Zeilen. Ausbau und Förderung der Radinfrastruktur werden zwar versprochen, jedoch sind die Formulierungen vage. Weil ab 2035 keine Verbrennermotoren mehr zugelassen werden sollen, setzt die Ampel beim Autoverkehr vor allem auf die Förderung von E-Autos und den Ausbau der Ladeinfrastruktur.

Prof. Dr. Andreas Knie leitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung. Er meint, das, was ihm Koalitionsvertrag fehlt, ist die Tatsache, dass wir über das Auto diskutieren müssen. Es sei die Gretchenfrage der Verkehrswende. Deutschland denke noch zu stark durch die Brille der Automobilindustrie. Denn auch wenn die EU das Verbrennerverbot ausgesprochen hat, hat es die Bundesregierung noch nicht übernommen oder diskutiert. Ein Thema, das er wie David Bermbach als wichtig einstuft, sind die Verbote von Parkräumen. Man müsse generell den Raum, in dem sich Autos bewegen, neu definieren und organisieren. So komme man zur Verkehrswende.

Wie hilft das 9-Euro-Ticket bei der Verkehrswende?

Ein Aspekt, der ebenfalls zur Verkehrswende beitragen soll, ist die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Mit dem 9-Euro-Ticket merken Verkehrswissenschaftler*innen laut Andreas Knie im Moment, dass das zwar erstmal einen kurzfristigen, aber doch sichtbaren Effekt zu haben scheint.
"Natürlich sind die Effekte nicht nachhaltig im unmittelbaren verkehrswissenschaftlichen Sinne. [Aber] es fahren Leute, die vorher nicht gefahren sind […] und die Branche wird nicht mehr die gleiche sein. […] Die Menschen merken, wie einfach ÖPNV sein kann. Das heißt im Endeffekt wird man sagen können, dass das 9-Euro-Ticket der Einstieg in eine völlig grundlegende Reformierung des Nahverkehrs gewesen sein wird." – Prof. Dr. Andreas Knie

Design ❤ Agentur zwetschke