Komisch - eigentlich ist es eines der natürlichsten Sachen auf der Welt. Trotzdem fühlt man sich als unrasierte Frau wie eine Rebellin Level 4000.
Ein kleiner Disclaimer vorab
Natürlich ist uns egal, was du mit deiner Körperbehaarung machst - dein Körper, deine Entscheidung. Hier geht es Hauptsächlich darum zu ergründen, warum sich vor allem weiblich gelesene Menschen unendlich nervige Kommentare anhören müssen, wenn sie sich gegen das Rasieren entscheiden.Warum eigentlich?
Es ist jetzt fast zwei Jahre her - ja, ich denke die Pandemie hat dem ziemlich in die Karten gespielt - dass ich meine Beine nicht mehr rasiert habe. Ich saß eines Tages mit dem Rasierer in der Badewanne und dachte mir: nö. Einfach keinen Bock. Erstens liege ich lieber im Blubber und entspanne dabei einfach mal. Zweitens schneide ich mich dabei eh nur wieder. Drittens sind die Beine am nächsten Tag wieder von tausend Pickelchen übersäht, die einfach nur brennen und unangenehm sind - und doch ernsthaft übler aussehen, als ein paar Härchen. Dann dachte ich noch: "Morgen. Morgen mach ich's vielleicht". Gefolgt von: "Aber wieso eigentlich? Wieso mache ich das überhaupt?"Mache ich das wirklich für mich, weil ich es so schöner finde?
Ganz ehrlich? So richtig, richtig, richtig ehrlich? Nein. Das wäre circa das allererste, was ich auf einer einsamen Insel aufhören würde - selbst wenn ich die Mittel dazu hätte, würde ich mich ganz sicher nicht rasieren, wenn außer mir kein anderer Mensch weit und breit ist. Hand aufs Herz: Würdest du's denn dann noch machen? Hm. Ich mache das (bisher) aus Schutz vor Vorurteilen und engstirnigen Kommentaren anderer.Doch auch wenn die Rasur sehr offensichtlich etwas ist, was ich nicht für mich mache - richtig locker wurde ich mit der Entscheidung nie.
Warum wirkt das wie eine krasse Lebensentscheidung?
Anscheinend ist der allgemeine Konsens vom Rasieren eh genervt. Sonst gäbe es nicht so unendlich viele Sprüche oder Sitcom-Einlagen, in der darüber geschmunzelt wird, dass der Winterpelz eigentlich so gemütlich und es schon schade sei, sich im Frühjahr davon wieder befreien "zu müssen". Wenn man eine männlich gelesene Person ist, ist das auch überhaupt kein Problem - hat man halt Körperbehaarung. Als weiblich gelesene Person wiederum muss man sich schon den ein oder anderen Kack anhören. Das Model Canel Aylin hat in einem Instagram-Post einmal die gängigsten Beleidigungen zu ihren Körperhaaren präsentiert. Ein Mensch, der absoluter Normschönheit entspricht - stellen wir uns mal vor, was sich Menschen anhören müssen, die weniger gesellschaftlichen Schönheitsidealen entsprechen.Bild: Schön flauschige Beinbehaarung | Quelle: Unsplash, Billie
Weil ich mir eben auch schon das ein oder andere anhören musste - sowohl von Freund*innen als auch eher Fremden - dachte ich mir: Machen wir doch einfach mal einen Faktencheck.
Allgemeine Vorurteile gegen unrasierte Frauen - und was sich dagegen sagen lässt
"Körperbehaarung an Frauen sieht so unnatürlich aus."
Solltest du dieser Meinung sein, musst du jetzt kurz mal tapfer sein, wenn ich dir sage: nein. Einfach nein. Menschliche Behaarung ist was ziemlich Natürliches. Auch bei weiblich gelesenen Personen. Weil es ja einfach so an uns existiert und auch wenn wir versuchen, es wegzumachen, kommt es immer und immer wieder. Extensions, Laserentfernung oder Bleaching: Sowas ist eher unnatürlich. Was nicht heißt, dass man das deswegen verurteilen sollte - es sind nur Gegenbeispiele."Echte Frauen rasieren sich."
Diese Vermutung schließe ich mal direkt an den Vorwurf der Unnatürlichkeit an. Aber erstmal: Was soll "echte Frauen" überhaupt heißen? Das ist so ein bullshittiger Ausdruck, von dem wir uns unbedingt verabschieden müssen. Dann auch ganz biologisch betrachtet: Wenn Mädchen während der Pubertät zu Frauen werden, kann sich das nicht nur mit Brustwachstum und schlechter Haut zeigen, sondern eben auch dadurch, dass Körperbehaarung dann erst richtig bemerkbar wird. Üppige Körperbehaarung galt dementsprechend auch lange Zeit als Symbol der Geschlechtsreife. Was sagt es also über das jetzige Ideal aus, das Eigenschaften der Prä-Geschlechtsreife bevorzugt......? Nur eine Frage. Eine rhetorische."Bah, das ist doch nicht hygienisch!"
Unser Körper ist ein verdammt ausgetüfteltes System. So ziemlich alles daran hat irgendeinen Sinn und was keinen mehr macht, verschwindet. Es braucht halt seine Zeit - Stichwort Blinddarm. Auch unsere Körperbehaarung ist weit weniger geworden, als sie es noch vor einigen Jahrtausenden war. Klar, immerhin haben wir mittlerweile zum Beispiel Klamotten, die uns gegen Kälte schützen und unsere Körpertemperatur regulieren. Wie du aber eventuell bemerkt hast: An manchen Stellen ist die Behaarung noch recht stark. Das wiederum kommt daher, dass diese Haare noch wichtige Aufgaben haben. Zum Beispiel unsere Augenbrauen und Wimpern - die sind zum Schutz unseres Sehapparates vor Schweißperlen oder Fremdkörpern da.Auch Intimbehaarung hat einige wichtige Aufgaben. Zum einen schützt sie beispielsweise die Vagina vor Schmutz und Krankheitserregern, dass auch die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Herpes genitalis Virus zu infizieren, geringer ist. Außerdem reguliert Körperbehaarung auch die Temperatur im Intimbereich und sorgt so für ein besseres Klima und dementsprechend auch weniger Schweiß, weswegen es Bakterien auch nicht so einfach haben.
Dann schützen Intimhaare auch noch vor starker Reibung und damit einhergehenden Hautirritationen. Und zum Argument, ein haariges Gefilde ums Geschlechtsteil herum würde unangenehm riechen: Ansichtssache. Wenn man sich gut riechen kann - im wahrsten biologischen Sinne von: "Wenn die Genpool-Mischung beider Menschen einen so gesund wie möglichen Sprössling verspricht" - dann sorgt Intimbehaarung auch noch für eine genetisch passendere Auswahl von Partner*innen. Denn: Unter den Haaren liegen Drüsen, die Duftstoffe, beziehungsweise Pheromone ausschütten. Diese bleiben - logisch - besser an Haaren als an einer kahlen, glatten Stelle hängen und können entsprechend besser Partner*innen anlocken. Dieser Geruch ist sehr fein und um Längen weniger streng als Käsefüße oder Mundgeruch.
"So mutig wie du bin ich leider nicht."
Verdammt, ich bin überhaupt nicht mutig. Ich habe mich einfach nicht mehr rasiert und bin dafür auf der Straße oder sonst wo in der Gesellschaft völlig paranoid. "Die starren mir bestimmt auf die Beine und denken __________________ [an der Stelle kannst du ein beliebiges dieser Vorurteile einsetzen]". Unterwegs mit Freund*innen habe ich auf jeden Fall auch den Drang, mich zu rechtfertigen, beziehungsweise darauf hinzuweisen, dass ich die Beine nicht aus Versehen seit Monaten nicht rasiert habe. Ist natürlich auch irgendwie komisch. Aber wie gesagt: Ich bin überhaupt nicht mutig. Ich fühle mich wahnsinnig unwohl - nicht weil's juckt (eben im Gegenteil) oder die Härchen aneinander reiben. Sondern wegen der Angst, was andere über mich denken könnten. Klar war ich deswegen auch schon das ein oder andere Mal kurz davor, zum Rasierer zu greifen. Ich will es aber einfach nicht einsehen, dass ich mein Äußeres an irgendeine bescheuerte Normvorstellung anpasse, die mir nicht mal was bringt, außer dass ich sicher vor irritierten Blicken und bescheuerten Kommentaren bin. Und diese Sturheit verdrängt die Angst, die ich habe, mich den Blicken und Meinungen anderer auszusetzen.Bild: Achselbehaarung will gepflegt werden | Quelle: Unsplash, Billie
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