Die Musiker*innen Ilgen-Nur und Joy Denalane gaben dem deutschen Rolling Stone ein Interview zum Thema Rassismus und Sexismus. Eigentlich sollte das Interview auf dem Cover landen. Eigentlich.
...doch dann kam Bruce Springsteen
Und das aktuelle Cover mit ihm schwirrt aktuell durch die sozialen Netzwerke - zusammen mit dem roten Cover von Ilgen-Nur und Joy Denalane. Doch um Springsteen geht es hier nicht. Was genau ist passiert, dass ein Rolling Stone-Cover plötzlich so viele Wellen im Internet schlägt?Ein vielversprechendes Interview
In ihrem Interview mit dem Magazin sprechen die beiden Musikerinnen über Rassismus, Sexismus und Homophobie in der Musikindustrie. Und auch über alte weiße Männer beim Rolling Stone. Außerdem loben sie das Magazin, dass es für genau solche Themen Platz schafft und der Diskussion damit einen Raum gibt. Die beiden Musikerinnen gehen davon aus, dass ihr Interview die Coverstory der nächsten Ausgabe sein wird - auch während des Fototermins ist die Rede von einem "Cover-Shooting" wie das Onlinemagazin Über Medien berichtet. Doch bei der Herausgabe des aktuellen Heftes wird schnell klar - der Rolling Stone macht einen Rückzieher und verfällt in alte Muster. Wieder einmal ziert mit Bruce Springsteen ein weißer Mann das Titelblatt.
.@joydenalane und Ilgen-Nur sprechen mit @rollingstoneDE über Rassismus, Sexismus und die Dominanz weißer Männer auf den Covern. Aber dann wurde Bruce Springsteens Album „Born To Run“ plötzlich 45 … https://t.co/MYEOnD0Ie8
— Übermedien (@uebermedien) August 2, 2020
Wieso der plötzliche Sinneswandel?
Kurzfristig entschied sich die Redaktion des Rolling Stone um und wählte also Bruce Springsteen für das Cover aus, um den 45. Geburtstag seines Albums Born To Run zu feiern. Nachdem sie im Interview ausführlich mit Ilgen-Nur und Joy Denalane darüber sprechen, dass sowohl Frauen als auch PoC in der Musikindustrie und bei Magazinen wie dem Rolling Stone immer noch nicht genug repräsentiert werden, hält der Rolling Stone genau daran aber fest. Als Grund, warum das Cover geändert wurde, nennt Chefredakteur Sebastian Zabel gegenüber Über Medien:
"Der eine ist profan: Bruce Springsteen gehört wie wenige andere zur DNA des 'Rolling Stone', er wird von unseren Lesern sehr geschätzt, in schwierigen Zeiten hängt viel davon ab. Das Coverfoto ist im Übrigen ein eher selten benutztes, wenig bekanntes Bild, wir mochten es sehr gerne. Der andere Grund ist, dass wir nicht hundertprozentig von der Kraft des Fotos mit Joy Denalane und Ilgen-Nur überzeugt waren."
Vertane Chance?
Ob das knallrote Cover von Joy Denalane und Ilgen-Nur weniger überzeugend und kraftvoll ist, kannst du selbst entscheiden. Klar ist jedoch, dass Künstler wie Bruce Springsteen eine sichere Bank sind - gerade wenn es um Verkaufszahlen geht. Und ja - ein Heft mit einem großen, bekannten Künstler auf dem Cover verkauft sich am Bahnhofskiosk einfach besser - gerade auch, wenn die Zielgruppe eher männlich und weiß ist. Dass der Rolling Stone daher gerne auf genau solche Künstler*innen zurückgreift, erkennt man schnell, wenn man sich durch das Archiv der letzten Magazin-Titelbilder klickt. Und das die Verkaufszahlen natürlich eine wichtige Rolle spielen, zeigen Beispiele wie die Spex, die 2018 ihren Printbetrieb einstellen musste, und im Juni diesen Jahres auch ihr Onlinemagazin.
Zur Wahrheit gehört leider auch: der progressive Rolling Stone, der mit den Frauen und POC auf dem Cover hieß Spex und musste 2018 aufgeben. Der RS ist Musikjournalismus für alte weiße Männer, weil die noch Zeitschriften abonnieren.
— Magnapinna (@JP_Stich) August 2, 2020
Was unterm Strich bleibt
Joy Denalane und Ilgen-Nur haben mit ihrem Interview beim Rolling Stone eine große Plattform bekommen und die Möglichkeit, wichtige Themen anzusprechen. Auch erreichen sie Leser*innen, die sich möglicherweise noch nicht mit Themen wie Rassismus und Frauenfeindlichkeit in der Musikindustrie auseinandergesetzt haben. Aktuelle, wichtige Themen die gerade jetzt wieder viel diskutiert werden. Aber sie tun dies eben nur in der zweiten Reihe. An erster Stelle steht immer noch ein altes Album, das mehr Nostalgie und Sicherheit ausstrahlt, anstatt eine kritische Auseinandersetzung mit der Musikindustrie zu fördern. Zwei Frauen auf der Titelseite des Rolling Stones wären eine besondere Ausnahme gewesen - und damit auch ein Statement.
Artikel teilen: