Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Karolin Schwarz
Von Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Hass, Hetze, Falschinformationen und Verschwörungsmythen erreichen im Netz sekundenschnell zehntausende Menschen - und der Messenger-Dienst Telegram spielt dabei eine immer größere Rolle.
Die Journalistin und Autorin Karolin Schwarz hat 2020 das Buch Hasskrieger: Der neue globale Rechtsextremismus veröffentlicht. Im Gespräch mit Gloria spricht sie darüber, warum Telegram in bestimmten Kreisen so beliebt ist und wie Deutschland mit dem Messenger-Dienst umgehen kann und sollte.
Wie gefährlich ist Telegram für unsere Demokratie?
Vor einigen Wochen haben wir bereits mit Tajana Graovac vom No Hate Speech Movement über Hass im Netz gesprochen, damals ging es aber vor allem um die Plattform Facebook. Facebook, Instagram und Twitter unterscheiden sich aber in einer Sache grundlegend zu Telegram: Während die Angebote der Meta Platforms Inc. zumindest in der Theorie gewillt sind, gegen bestimmte Inhalte vorzugehen, heißt es bei Telegram bereits in den FAQs deutlich: "Alle Telegram- und Gruppenchats sind die Privatsache der jeweiligen Nutzer. Wir bearbeiten keine diesbezüglichen Anfragen." Lediglich Kanäle oder Bots, die Pornographie, Verletzungen von geistigem Eigentum oder terroristische Inhalte enthalten, wurden in der Vergangenheit hin und wieder gelöscht.
Karolin Schwarz über Telegram
Das komplette Interview zum Anhören
Der Messenger inszeniert sich bewusst als nicht regulierte Alternative
Telegram sagt, dass sie grundsätzlich nicht mit Regierungen kooperieren und Daten der Nutzer*innen auch zur Strafverfolgung nicht herausgeben. Um Telegram zur Herausgabe solcher Daten zu zwingen, wären mehrere Gerichtsbeschlüsse aus verschiedenen Ländern erforderlich - das ist bisher allerdings noch nicht passiert: "Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben, einschließlich aller Regierungen", heißt es dazu bei Telegram. Außerdem herrscht bei dem Messenger-Dienst keine Klarnamenpflicht und auch die Handynummer kann teilweise verborgen werden, sodass Nutzer*innen komplett anonym kommunizieren können.
Einerseits gibt der Messenger-Dienst damit beispielsweise Regierungskritiker*innen in nicht-demokratischen Staaten Sicherheit und ermöglicht es ihnen, frei zu kommunizieren und sich zu organisieren - das ist extrem wichtig. Andererseits macht genau das Telegram eben auch so gefährlich, da Hass, Hetze, Falschinformationen und Verschwörungsmythen ungehindert verbreitet werden können. Einige Expert*innen bezeichnen den Messenger-Dienst deswegen auch als "strategische Radikalisierungsspirale".
Auf Telegram erreichen antisemitische, rassistische, rechtsextremistische und ähnliche Inhalte in Kanälen und Gruppen sekundenschnell hunderttausende Menschen. Und das führt immer wieder auch zu Handlungen außerhalb des Netzes, aktuell zum Beispiel in Form von gewalttätigen Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen.
Der Messenger-Dienst ist natürlich nicht die einzige Plattform, auf der Radikalisierung stattfindet, aber: Sehr viele Menschen sind genau dorthin abgewandert, sagt Karolin.
Dass Telegram in bestimmten Kreisen so beliebt ist, liegt maßgeblich an dem Versprechen, dass Telegram wenig moderierend eingreift und keine Daten weitergibt. Auf anderen Plattformen müssen Nutzer*innen davon ausgehen, dass bestimmte Inhalte gelöscht und unter Umständen strafrechtlich verfolgt werden. Nicht so bei Telegram - dort kann von Drogenhandel bis Rechtsextremismus fast alles ungehindert stattfinden.
"Weil andere Plattformen gelöscht haben, zum Beispiel Querdenken-Gruppierungen aber auch bestimmte - auch antisemitische - Narrative, hat man sich dort [bei Telegram] gefunden. Und durch Funktionen wie Weiterleitungen, die es eben auf Telegram gibt, ging es relativ schnell, dass sich auch 'andere Kanäle' sehr sehr schnell vergrößern konnten, in einer Weise, die man auf anderen Plattformen so nicht sehen kann." - Karolin Schwarz
Seit Beginn der Pandemie sind nach und nach immer mehr Menschen bei Telegram gelandet, die Infrastrukturen gab es aber bereits zuvor und die App spielt nicht erst seit Beginn der Pandemie eine Rolle in diesen Kreisen.
"Man sieht das immer wieder, dass die Politik, teilweise aber auch Sicherheitsbehörden und die Gesellschaft, diesen Entwicklungen etwas hinterherrennen und dass das dazu führt, dass wir neue Entwicklungen auch gar nicht so richtig antizipieren können, weil wir in der Debatte manchmal eben ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre hinterherhängen." - Karolin Schwarz
Auch auf Twitter hat sich Karolin vor kurzem dazu geäußert:
Journalistische Beiträge über Telegram, in denen es heißt, deutschsprachige Rechtsextreme und Verschwörungsideologen seien seit 2020 erst vermehrt zu Telegram gewandert. Es lässt sich leicht recherchieren, dass das so nicht stimmt.
Telegram ist aktuell quasi ein rechtsfreier Raum und das liegt nicht nur daran, dass die Regierung die Auswirkungen von Telegram unter Umständen zu lange unterschätzt hat. Denn eigentlich gilt in Deutschland das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), dass Nutzer*innen von sozialen Netzwerken mehr Rechte zusichert und es erleichtert, rechtswidrige Kommentare und Postings bei den Anbietern zu melden. Das Problem ist aber: Telegram gilt als Messenger - also als bloße App zum Chatten - und nicht als soziales Netzwerk. Deswegen greift das NetzDG aktuell nicht. Aus Sicht des Bundesamtes der Justiz ist Telegram aber ein soziales Netzwerk und auch Karolin Schwarz findet die Einordnung als Messenger-Dienst falsch:
"Wenn man sich einige Funktionalitäten anguckt wie eben diese Kanäle aber auch die riesengroßen Gruppen, dann hat das nichts mehr mit einem Messenger zu tun, wie wir das von Signal oder WhatsApp kennen. Ich glaube das ist wichtig bei der Einordnung. Man kann Telegram nicht wie WhatsApp oder den Facebook Messenger behandeln." - Karolin Schwarz
Außerdem ergänzt sie, dass selbst der Telegram-Gründer Pawel Durow seine App in der Vergangenheit mit Twitter verglichen hat. Das Bundesamt für Justiz hat Telegram deswegen im April aufgefordert, das NetzwerkDG durchzusetzen und im Juni einen Bußgeldbescheid ausgestellt, weil die Plattform nicht reagiert hatte. Allerdings ist auch nicht bekannt, wo Telegram sitzt (unter Umständen irgendwo in Dubai) weswegen weitere Schritte schwer durchzusetzen sind.
Wenn Telegram auch in Zukunft nicht mit der Bundesregierung kooperiert, steht als letzte Option auch im Raum, Telegram lokal zu sperren.
Karolin Schwarz ist allerdings klar gegen eine solche Sperrung. Sie sagt, dass viele Menschen Telegram eben auch als Kommunikationsmittel nutzen, ohne Hass oder Verschwörungen zu verbreiten und eine Löschung deswegen ein Eingriff wäre, der so nicht zu rechtfertigen ist. Um Telegram in Deutschland zu einer sicheren Plattform zu machen, braucht es andere Schritte: Zum Beispieltransparente Regeln und einen Zustellungsbevollmächtigten im Rahmen des NetzwerkDGs. Außerdem muss über die teilweise fehlende Rechtsdurchsetzung in Deutschland gesprochen werden, die vor allem in der Überlastung der Gerichte begründet ist.
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