Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Dr. Jacopo Maria Pepe
Die USA verhängen neue Sanktionen, die Bundesnetzagentur setzt das Zertifizierungsverfahren aus und die Pipeline-Kritikerin Annalena Baerbock soll künftig Außenministerin werden. Steht das Projekt Nord Stream 2 diesmal tatsächlich kurz vor dem Aus?
Nord Stream 2 ist das Folgeprojekt von Nord Stream 1 und soll, genau wie der Vorgänger, Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren. Im Interview hat egoFM Gloria mit Dr. Jacopo Maria Pepe über das Projekt gesprochen. Er ist Wissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Themen globale Energie und Versorgungssicherheit und er kennt sowohl die Bedeutung, als auch die Auswirkungen der umstrittenen Gaspipeline.
Dr. Jacopo Maria Pepe über Nord Stream 2
Das komplette Interview zum Anhören
Die neue Pipeline soll die Gaslieferungen aus Russland verdoppeln - aber ist das überhaupt nötig?
Einerseits ist Deutschland eigentlich sowieso sehr gut im europäischen Gasmarkt integriert und auch hohe Nachfragen könnten theoretisch ohne die neue Pipeline aufgefangen werden. Andererseits bringt eine zusätzliche, moderne Pipeline natürlich auch Flexibilität und gewährleistet Sicherheit, falls es doch mal zu Engpässen kommen sollte. Für Pepe überwiegt diese zusätzliche Absicherung und er sagt deswegen klar, dass wir Nord Stream 2 brauchen.
Zu diesem Entschluss kamen auch die beteiligten Politiker*innen, denn inzwischen ist die Pipeline fertig gebaut und eigentlich betriebsbereit.
Aktuell fließt allerdings trotzdem noch kein Gas, da noch eine Zertifizierung der Bundesnetzagentur fehlt. Das Zertifizierungsverfahren wurde allerdings gestoppt, da die Voraussetzung, dass die Betreiberfirma nach deutschem Recht organisiert sein muss, nicht erfüllt ist – momentan gehört die nämlich noch zum russischen Gaskonzern Gazprom. Außerdem muss auch die Europäische Kommission das Projekt noch prüfen.
Mehr Hintergründe zur Entstehung und zum jetzigen Stand der Pipeline bekommst du in unserem egoFM Reflexikon.
Aktuell bestimmen geopolitische Fragen die Debatte um Nord Stream 2
Anfang der Woche haben die USA erneut Sanktionen verhängt. Das überrascht Dr. Jacopo Maria Pepe nicht, denn die deutsch-russische Gasbeziehung ist den USA schon lange ein Dorn im Auge, sagt er.
"Die Argumentation der Amerikaner ist - bei allen berechtigten Sorgen einer weiterhin bestehenden Abhängigkeit von Russland - natürlich ein bisschen vorgeschoben. Die Amerikaner sind selber interessiert am europäischen Gasmarkt der mittelfristig weiterhin eine große Nachfrage bei sinkender eigener Produktion aufweisen wird. Und sie [die Amerikaner] möchten natürlich eigenes Gas nach Europa verkaufen und da stehen sie natürlich in Konkurrenz mit Russland." - Dr. Jacopo Maria Pepe
Trotzdem ist es wichtig sich vor Augen zu führen, dass in Deutschland über die Hälfte des importierten Gases aus Russland kommt. Damit sind Deutschland und Europa im Allgemeinen - manche Länder mehr, mache Länder weniger - natürlich auf Russland angewiesen.
Wir haben übrigens auch schon mal mit Felix Jaitner vom Deutsch Russischen Austausch über das Pipelineprojekt gesprochen, wie er die Lage einschätzt, erfährst du hier.
Nicht nur die USA, auch die Ukraine und Polen sind gegen eine Inbetriebnahme der Gaspipeline
Die Beziehung zwischen der Ukraine und Russland ist von tiefen Konflikten geprägt. Betrachtet man allerdings ausschließlich die Energiebeziehung, steht beim Thema Nord Stream 2 vor allem der Verlust von Transitgebühren für die Ukraine im Vordergrund. Transitgebühren sind die Kosten, die beim Durchqueren eines Gebiets anfallen. Und wenn das Gas mit Nord Stream 2 direkt von Russland nach Deutschland kommen kann, fallen für die Ukraine Transitgebühren weg. Gleiches gilt für Polen. Mit einem Transitvertrag wurden bis 2024 zwar Kompromisse für die zentralsten Streitpunkte im russisch-ukrainischen Gastransit gefunden, wie es danach allerdings weitergeht und welche Bedeutung Nord Stream 2 in diesem Konflikt noch bekommt, ist unklar.
Abgesehen davon warnen Polen und die Ukraine außerdem, dass die Sicherheitslage in Europa durch Nord Stream 2 destabilisiert wird und Russland die Gaslieferungen in Zukunft als Druckmittel einsetzen könnte. Auch die EU-Kommission, das EU-Parlament und der Europäische Rat sind dem Projekt gegenüber von Anfang an kritisch gestimmt und befürchten eine zu große Abhängigkeit von russischem Erdgas und eine Konzentration der Versorgungswege. Trotzdem ist die Pipeline am Ende vor allem ein deutsch-russisches Projekt, weswegen weniger die EU, sondern mehr Deutschland Verantwortung tragen muss, sagt Pepe.
"Auch wenn die Pipeline in Betrieb kommt - es bleibt ein politischer Schaden und Scherbenhaufen. Und da muss Deutschland aber direkt mit der Ukraine und Polen die Wogen glätten. [...] Da muss Deutschland tatsächlich diplomatisches Geschick zeigen." - Dr. Jacopo Maria Pepe
Die Pipeline ist nicht zuletzt auch ein Klima-Thema
Umweltaktivist*innen und Grüne Politiker*innen haben sich in der Vergangenheit oft gegen Nord Stream 2 ausgesprochen und betonen, dass das Projekt die Energiewende verzögern wird. Andererseits ist Gas zumindest ein klimafreundlicher Energielieferant als es Kohle und Öl sind. Deswegen wird Gas auch als Brückentechnologie bezeichnet und gerne auf dem Weg zur Klimaneutralität genutzt. Auch Dr. Jacopo Maria Pepe ist der Meinung, dass Erdgas und dementsprechend auch Nord Stream 2 nützlich sein kann, um unsere Klimaziele zu erreichen.
Und trotzdem, bei all dem Für und Wider in Bezug auf Nord Stream 2 ist am Ende wohl vor allem eins entscheidend:
"Die Pipeline ist gebaut worden und diese nicht in Betrieb zu nehmen würde einfach eine Investitionsruine aus der Pipeline machen. [...] Ich glaube, dass am Ende des Tages Gas durch die Pipeline fließen wird, ich sehe da wenig Chancen, dass die Pipeline nicht in Betrieb genommen wird." - Dr. Jacopo Maria Pepe
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