LGBTQIA*-Aufklärung ist keine Indoktrination

LGBTQIA*-Aufklärung ist keine Indoktrination

Meinung: Wir müssen Heteronormativität hinterfragen

Von  Anna Taylor
Es ist wichtig, dass wir mehr über LGBTQIA* reden und aufklären - ohne dass dabei von Gegner*innen gleich wieder rumgeheult wird, dass irgendwem irgendetwas aufgezwungen wird.

So sicher wie das Amen in der Kirche

Jedes Mal, wenn wir irgendeinen Beitrag über LGBTQIA* auf Facebook posten, findet sich früher oder später mindestens ein Kommentar à la "Jajaja ist ja toll, aber muss man immer über sowas reden? Heteros laufen ja auch nicht rum und erzählen allen von ihrer Sexualität!" - Hmmhmmhmm, wirklich nicht? Schauen wir uns nur mal die Werbeindustrie oder unsere Popkultur an. Gefühlt jede dritte Werbung spielt mit dem Konzept eines heterosexuellen Balzverhaltens (sei es das Prinzip "Dieses Deo macht Männer zum Objekt weiblicher Begierde" oder "Engagier uns als Handwerker, wir verlegen Rohre höhö und falls die Anspielung zu subtil war, packen wir noch halbnackte Frauenkörper auf unsere Autos höhöhöhö"). Dann denk nur mal an die größten Filme und Serien unserer Zeit: Wie viele davon kommen ohne irgendein vorhersehbares, unglaublich lahmes hetero Liebesgedudel aus? Na? Kaum ein Werk! Und ich rede hier nicht von Liebesfilmen per se - gefühlt jede verdammte Geschichte muss mit irgendwie sowas in der Art noch "gewürzt" werden. Und dann sind es aber immer noch hauptsächlich Heteros die sich beschweren, wenn irgendein LGBTQIA*-Thema Platz in der Öffentlichkeit einnimmt.

Was mich daran so unglaublich nervt? 

Sobald auch nur ein queeres Fünkchen in Werbung / Film / Fernsehen / sonst wo angedeutet wird, geht sofort das Wort "Indoktrination" um. In diesen Fällen haben hetero Ultras dann Angst, etwas anderes, was nicht ihren sexuellen Vorlieben entspricht, würde sich durch bloßes Angesprochen werden in die Köpfe der Menschheit pflanzen und dadurch alle automatisch - in diesem Fall - homosexuell machen. Lies diesen Satz nochmal. Das ist totaler Bullshit. Genauso wenig wie du plötzlich Lakritz magst, nur weil irgendjemand im Film das liebt. Vorausgesetzt du mochtest das vorher nicht, versteht sich. 

Dieser Fehlschluss ist aber nicht mal das, was mich am meisten stört. Mich stört, dass dann gerne mal Kinder noch hochgehalten werden, als arme Wesen, die mit Sexualität allgemein konfrontiert werden. Warum mich das nervt? Weil es heuchlerisch ist. Wo ist der Aufschrei, dass zum Beispiel solche Kinderklamotten existieren:

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Und wo sind die "Hör auf, unsere Kindern zu sexualisieren"-Schreier*innen, wenn Händchen haltende Kleinkinder - eines weiblich, eines männlich - gefragt werden, ob sie Freund und Freundin sind? Die gibt es nicht oder zumindest arg selten, weil wir in einer heteronormativen Gesellschaft leben, in der sowas okayer ist, als irgendetwas ansatzweise Homosexuelles.

Was ist denn nun schon wieder Heteronormativität?

Sehr vereinfacht ausgedrückt: Hinter dem Begriff steht eine Weltanschauung, die Heterosexualität als das "Das Normale" sieht und dadurch zur Norm macht. In einem heteronormativen Geschlechtermodell gibt es nur zwei Geschlechter und alle Menschen lassen sich in ein binäres System bestehend aus Mann oder Frau einteilen. Alle anderen Sexualitäten oder Geschlechtsidentitäten sind damit höchstens die Ausnahme und nicht normal.

Wie äußert sich diese Heteronormativität?

Heteronormativität äußert sich zum Beispiel dadurch, dass sich in Filmen / Serien heterosexuelle Liebesgeschichten ohne großen Bohei in die Story einfügen können. Sobald der*die Protagonist*in aber beispielsweise homosexuell ist, machen Heterosexuelle gleich einen riesen Aufstand. Damit handeln diese anders, als sie es eigentlich selbst gerne hätten: Anstatt Homosexualität einfach als etwas völlig Natürliches existieren zu lassen, geht es da gleich wieder ums "Aufzwingen" oder gar "Indoktrination".
Besonders heftig wird dieser Aufstand, wenn es sich um Kinderfilme handelt. Ich würde es sogar verstehen, wenn man sich generell darüber aufregt, dass Kinder von Klein auf schon darauf genormt werden, dass Liebe das ultimative Ziel des Lebens ist und alle Menschen bitte in Beziehungen sein müssen, aber es wird eben ein Unterschied gemacht: Solange Kinder mit heterosexueller Liebe konfrontiert werden, scheint alles okay zu sein. Nur halt nicht, wenn irgendwas abseits Mann liebt Frau und umgekehrt dargestellt wird. Ein tolles Beispiel dafür war der Aufstand, den der neue, bisexuelle Superman mit sich gebracht hat. Heuchelei par excellence - wieso dürfen Clark Kent und Lois Lane sexuell miteinander sein, das Resultat daraus - ihr Sohn John - aber keinen anderen Mann küssen? Man sieht bestens: Dass es um Sex geht ist kein Problem. Es wird erst eines, wenn es kein hetero Sex ist.

Ein weiteres Problem: heteronormativer Sexualkundeunterricht

Sexualkundeunterricht kommt in der Schule sowieso viel zu kurz. Doch anstatt tatsächlich dabei aufgeklärt zu werden, beispielsweise über Geschlechtskrankheiten, die Vagina oder eben die Vielfalt der Liebe, bekommt man meistens lediglich ein Kondom auf den Tisch geklatscht, das man über eine Banane stülpen soll (für den Fall, dass es tatsächlich zum sexuellen Interkurs mit der Frucht kommt. Denn seien wir mal ehrlich: Mit einem Penis haben sie nicht allzu viel gemein, aber egal, anderes Thema und klar, Kondome sind wichtig, aber eben nur ein kleiner Teil des großen Ganzen). Es ist aber wichtig, nicht nur über Heterosexualität aufzuklären, sondern auch über Homosexualität. Warum? Damit das normalisiert wird. Und warum das?? Weil homosexuelle Jugendliche eine vier- bis siebenmal höhere Suizidrate haben. Der Grund ist unter anderem die große Angst vor dem Coming Out oder Sorge, in der heteronormativen Gesellschaft als "nicht normal" angesehen, verstoßen oder Opfer homophober Attacken zu werden.

Aus dem Grund wäre dann aber auch nicht nur eine vielfältigere Sexualkunde wichtig, sondern ein generell diverserer Schulunterricht. Ob Bio, Mathe, Deutsch, Sozialkunde, Geschichte oder was es sonst noch was gibt: Das Thema LGBTQIA* spielt im wahren Leben überall eine Rolle. 

Doch sobald sich dann mal ein Wissensmedium für Kinder mit der Vielfalt des Themas befasst, fangen sie wieder an: die Menschen, die von eine Indoktrination oder einem "Umerziehen" sprechen. Jüngstes Beispiel: Die Sendung mit der Maus als dort vor ein paar Wochen in einer Episode über das Thema LGBTQIA* aufgeklärt wurde. Was da los war - wenn du das nicht mitbekommen hast, hattest du wohl ein paar Wochen lang kein Internet. Damit wurde einfach glasklar, was auch der queere Aktivist Matt Bernstein sagt: Das Problem, das viele Menschen mit der Darstellung oder dem Aufklären über Homosexualität haben, ist nicht die vermeintliche Indoktrination, sondern ein Problem mit LGBTQIA* an sich. Denn diese Aufklärung ist kein Zwang, sondern - Überraschung - schlichtweg Aufklärung.

"Your issue is not with indoctrination, it is with LGBTQIA people. [...] Teaching kids that a group of people exists is not 'indoctrination'. It's education." - Matt Bernstein

Der Punkt:

Durch Repräsentation und Aufklärung wird niemandem Homosexualität aufgezwungen

Wer Angst hat, dass eine diverse Bildung dazu führt, dass Menschen sich für ein Weltbild entscheiden, das einem persönlich nicht taugt, ist Ritter*in der Engstirnigkeit und Feind*in der individuellen Entwicklung. Und dann ist es vielleicht aller höchste Zeit, die eigenen Ängste mal mit einem Profi (Therapeut*in) zu durchleuchten, bevor man diese auf andere Personen projiziert - oder gar aufzwingt...

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