X wie Xellia, Xeralid, Xipamid & Co.

X wie Xellia, Xeralid, Xipamid & Co.

egos4future - Von A bis Z

Von  Anne Walzog
Jeder Buchstabe ein Thema: Wir fassen die Basics zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zusammen. Diese Woche X wie Xellia, Xeralid, Xipamid & Co.

Zugegeben – als wir die Idee zu unserem egoFM Nachhaltigkeits-ABC hatten, haben wir natürlich nicht darüber nachgedacht, dass es bei dem ein oder anderen Buchstaben auch mal knifflig werden könnte, ein passendes Thema zu finden. Und gerade den Buchstaben X hatte niemand gleich auf dem Schirm – genauso wie das Thema Medikamente, wenn es um Nachhaltigkeit geht.

Medikamente werden nicht komplett abgebaut

Jede*r kennt es: Mund auf, Tablette rein, noch ein Schluck Wasser hinterher und gut ist. Für viele Menschen auf der Welt ist Medizin nicht nur alltäglich, sondern auch überlebenswichtig. Und wer zum Beispiel Kopfschmerzen, eine Mandelentzündung oder eine chronische Erkrankung hat und auf Medikamente angewiesen ist, denkt in diesem Augenblick wahrscheinlich als Letztes an die Umwelt. Doch da sowohl die Menschheit, als auch unsere Forschung weiter wächst und damit auch der Fortschritt im Bereich der Medizin, müssen wir uns früher oder später Gedanken über dieses Thema machen. Die Auswirkungen unserer Medikamente und chemischer Pflegeprodukte in der Umwelt sind zwar noch vergleichsweise wenig erforscht, aber klar ist:

Arzneimittel belasten unsere Abwässer

Die Liste an Chemikalien und Giftstoffen, die von uns über das Abwasser in die Umwelt gespült werden, ist lang. Erstmals wurden Reste unserer Medikamente in den 1990er in unseren Gewässern nachgewiesen. Schon vorher gelangten unsere chemischen Abwässer wieder in die Natur, aber erst seit einigen Jahren kann die Wissenschaft diese Rückstände auch nachweisen.

Egal, wie oft man Wasser filtert – die chemischen Rückstände bleiben

So zumindest der aktuelle Stand. Das heißt auch, dass die chemischen Rückstände irgendwann wieder in unserem Trinkwasser landen beziehungsweise aktuell schon aus dem Wasserhahn kommen. Die Menge ist dabei natürlich verschwindent gering – laut Bundesumweltamt sind die Konzentrationen unserer Arzneimittelrückstände im gefilterten Wasser im Bereich des eine millionstel oder milliardstel Gramm pro Liter. Wir wissen aber einfach noch zu wenig darüber, was das letztlich für den Menschen bedeutet. Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch eine Studie der University in Pittsburgh aus dem Jahr 2007:
"We know almost nothing about the impacts of human exposure to low-dose mixtures of pharmaceuticals, or of low-dose pharmaceuticals mixed with other low-dose synthetic pollutants, but the little we do know gives reason for serious concern. Scientific questions mainly adress negative impacts on aquatic species, but naturally other concerns arise about human health."

Auch wenn wir also noch nicht wissen, wie sich die Rückstände in der Umwelt auf den Menschen auswirken, so wissen wir doch, dass unsere Bevölkerung immer älter wird und damit auch der Konsum von Medikamenten in Zukunft weiter ansteigen wird. 

Was landet im Wasser?

Die nachgewiesenen pharmazeutischen Rückstände zum Beispiel in der Ostsee stammen laut einer UNESCO-Studie aus dem Jahr 2017 von Menschen und Tieren, die diese wieder ausgeschieden haben. Am meisten nachgewiesen wurden dabei entzündungshemmende Stoffe, Schmerzmittel und Herz-Kreislauf-Medikamente. Aber auch Koffein oder chemische Substanzen aus Seife und Shampoo landen im Abwasser. 

Feminisierte Fische und gestoppte Photosynthese

Auch wenn die Forschung auf diesem Gebiet noch recht am Anfang ist, konnten in einigen Bereichen schon direkte Auswirkungen der chemischen und pharmazeutischen Rückstände in der Umwelt nachgewiesen werden. Dabei wurde bisher aber auch festgestellt, dass Medikamente von Menschen einen geringeren Einfluss auf die Umwelt haben als Medikamente, die für Tiere gedacht sind und vor allem in der Massentierhaltung verabreicht werden. Dennoch können Humanarzneimittel wie Hormone und neuroendokrinen Substanzen ein Risiko für die Umwelt darstellen. So wurde beispielsweise schon in den 1990er-Jahren nachgewiesen, dass Rückstände hormoneller Empfängnisverhütung bei männlichen Fischen stromabwärts einer Kläranlage unter anderem zu einer Feminisierung dieser Fische sorgen kann. Dabei gibt es verschiedene Stufen der Feminisierung, wobei männliche Fische letztlich auch eine komplette Geschlechtsumwandlung durchmachen können. Genau nachweisbar ist diese komplette Umwandlung aktuell jedoch noch nicht, da sich die feminisierten Fische genetisch nicht mehr von weiblichen Fischen unterscheiden lassen. Allerdings konnte bei Fischschwärmen stromabwärts von Kläranlagen ein höherer Anteil an weiblichen Fischen festgestellt werden.

Auch Pflanzen nehmen unsere Medikamente auf

Bei einer anderen Studie wurden Algen verschiedene Medikamente konstant zugeführt. Dadurch wuchsen die Algen rund vier Prozent weniger. Der antiallergische Wirkstoff Diphenhydramin sorgte wiederum dafür, dass die Photosynthese der Algen zu 99 Prozent unterdrückt wurde. Natürlich wurden die Pflanzen für diese Studie einer anderen Konzentration an Medikamenten ausgesetzt, als sie aktuell in unseren Gewässern auftritt. Dennoch zeigt sie deutlich: Auch Pflanzen können pharmazeutische Stoffe nicht einfach aus dem Wasser filtern, sondern werden direkt davon beeinflusst.

Kipp keine Medizin in den Abfluss!

Natürlich können wir nicht auf Medikamente verzichten. Das heißt allerdings nicht, dass man nicht selbst etwas dagegen tun kann, dass Rückstände von Humanmedizin im Abwasser landen. Zunächst einmal ist es wichtig, dass du keinesfalls Medikamente im Klo runterspülst. Tatsächlich war das lange Zeit die gängige Methode vieler Menschen, abgelaufene oder übrig gebliebene Medikamente zu entsorgen - 2013 gaben 43 Prozent der Teilnehmer*innen einer Umfrage an, flüssige Arzneimittel gelegentlich in den Abfluss zu kippen. Stattdessen kannst du alte Medikamente im Restmüll entsorgen. Ratsam ist es dabei, die Medikamente beispielsweise in eine alte Zeitung einzuwickeln, sodass beispielsweise Kinder nicht gefährdet werden. Voraussetzung für diese Entsorgung ist allerdings, dass der Restmüll in deiner Stadt oder Kommune verbrannt wird. Besser ist es, nicht mehr benötigte Medikamente an Schadstoffsammelstellen abzugeben. Außerdem nehmen einige Apotheken abgelaufen, alte oder nicht aufgebrauchte Medikamente an.

Solltest du aus eigener Erfahrung bereits wissen, dass du bestimmte Medikamente nie ganz vor dem Ablaufdatum aufbrauchst, kannst du deine*n Arzt oder Ärztin auch bitten, ob sie*er dir, wenn möglich, ein Rezept für eine kleinere Packung verschreibt. In keinem Fall solltest du jedoch abgelaufene Medizin weiter konsumieren. 



Umgang mit belastetem (Ab)Wasser

Zudem wird in Deutschland bereits seit Längerem über einen Ausbau der Abwasserreinigung generell diskutiert. Das herkömmliche System der 3-Stufenreinigung kann circa 70 Prozent der pharmazeutischen Rückstände filtern. Mit einer vierten Reinigungsstufe (zum Beispiel durch eine Aktivkohlefiltration) könnte aber auch ein weiterer Teil der restlichen Rückstände aus dem Wasser entfernt werden. Die Wirksamkeit einer solchen vierten Stufe wird in Deutschland bereits durch Pilotprojekte erforscht, zum Beispiel in einer durch die EU geförderten Kläranlage auf dem Dach eines Krankenhauses. Kritiker*innen haben bei der vierten Stufe, die bei den Pilotprojekten bisher bis zu 90 Prozent der Rückstände filtern konnte, jedoch aktuell noch Bedenken. Einerseits konnten diese Kläranlagen das Abwasser eben noch nicht 100-prozentig säubern, anderseits haben sie einen großen CO2-Fußabdruck. Stattdessen sollte ihrer Meinung nach das Problem schon früher angegangen werden, zum Beispiel bei der Produktion, bei den Ärzt*innen oder bei uns als Konsument*innen. Das heißt einerseits Aufklärung zum Thema Entsorgung von Medikamenten, wie es die Stadt Essen bereits mit einer Initiative macht. Anderseits sollen Pharmafirmen auch selbst für die Abwasserreinigung zur Verantwortung gezogen werden. Da die aufwendige Reinigung des Wassers auch sehr kostspielig ist, steht die Forderung im Raum, dass sich diese Unternehmen an den Kosten beteiligen.

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