Hall of Fame: PJ Harvey

Hall of Fame: PJ Harvey

Musikalische Meilensteine aus der egoPerspektive

Polly Jean Harvey ist immer ihren eigenen Weg gegangen - und die Musikwelt lag ihr zu Füßen. Bis heute ist sie die erste und einzige Künstlerin der Geschichte, die zweimal mit dem britischen Mercury Prize ausgezeichnet wurde.


quartett-pj-harvey_klein.jpg
  • egoFM Hall of Fame: PJ Harvey
    Musikalische Meilensteine aus der egoPerspektive

Wer ist diese junge Sängerin und Gitarristin, die in Fernsehinterviews über Schafhoden redet, als wären es Hühnereier? Das amerikanische TV-Publikum schwankt zwischen Entsetzen und Begeisterung, als es PJ Harvey 1993 in der Tonight Show mit Jay Leno erlebt. Und auch in ihrer Heimat Großbritannien hat PJ Harvey schon den Ruf einer ganz besonderen Künstlerin - sie hat eine genaue Vorstellung von Musik.

"Schön" ist das alles nicht unbedingt, dafür aber wahnsinnig interessant.


Faszination PJ Harvey

Polly Jean Harvey ist weder damals noch später eine Frau, die für ihre Verkörperung des gesellschaftskonformen Bildes von Weiblichkeit angebetet wird. Vielmehr ist es ihre selbstbewusste Art und ihre Herangehensweise an Musik, die viele für bahnbrechend halten. PJ Harvey ist die Songwriterin, die der Welt noch gefehlt hat.

In den 70ern wächst Polly Jean in Dorset, England, bei ihren Eltern auf, die der Hippie-Bewegung angehören - zuhause läuft Jazz, Blues und Rock'n'Roll Musik. PJ lernt Gitarre und spielt bald in mehreren Bands. Ihre erste eigene Band gründet sie gemeinsam mit Rob Ellis und Ian Olliver 1991. Nach zwei Alben geht das Trio getrennte Wege. Auf ihrem Solo-Debüt To Bring You My Love (1995) befreit sich PJ Harvey aus der für sie zu engen Genre-Schublade des Indie-Rock und gibt ihrem Sound einen Blues-Anstrich. 

Atmosphärisch ist ein Wort, das die Musik von PJ Harvey schon damals ziemlich treffend beschreibt. Sie schöpft die klanglichen Facetten - nicht nur der Instrumente - sondern auch ihrer Stimme voll aus, um den Hörer*innen einen Schauder über den Rücken zu jagen.

Die Beziehung zu Nick Cave

Anfang der 90er verliebt sich Polly Jean Harvey in einen Musiker, der mindestens genauso charismatisch und teuflisch gut ist, wie sie selbst - Nick Cave. Bis heute wird die Beziehung von Nick Cave und PJ Harvey zu so was wie dem Märchenpaar des Indie-Rock verklärt - für immer hält die Verbindung der beiden in der Realität nicht stand.

Nick Cave verarbeitet die Trennung im Album - The Boatman's Call (1997) - auch PJ Harvey hat Ende der 90er einen hohen kreativen Output: Sie arbeitet mit ihrem langjährigen Kollaborateur John Parish an dem gemeinsamen Album Dance Hall at Louse Point (1996), danach erscheinen Is This Desire (1998) und später das vielleicht wichtigste Album ihrer Karriere, Stories From The City, Stories From The Sea (2000).


Doppelt hält besser

Im Jahr 2000 haut PJ Harvey die britische Musikwelt mit ihrem Album Stories From The City, Stories From The Sea vom Hocker und bekommt 2001 den berühmt-berüchtigten Mercury Prize. Das Album vereint die für sie typischen Merkmale raffinierten Songwritings mit nachdenklichen Texten und musikalischen Arrangements, die sich der Spannung von Disharmonien bedienen. In den 2000ern erscheinen drei weitere Alben von PJ Harvey - Uh Uh Her (2004), White Chalk (2007) und das politische Let England Shake (2011), das ihr den zweiten Mercury Prize einbringt. 

Für Let England Shake schreibt PJ Harvey ihre Texte und die Songs zuerst auf der Akkordzither und probiert sich dann an neuen Klangwelten aus:
"It's quite a delicate sound, but it's also like having an entire orchestra at your fingertips. I began by writing quite a lot on the autoharp, and then slowly as time went by, (because this album was written over two and a half years)… my writing started moving into experimenting with different guitars, and using different sound applications, ones that I had never really experimented with." - PJ Harvey


Ein Album für die Öffentlichkeit

Mit zwei Mercury Prize Trophäen in der Tasche hätte PJ Harvey als Künstlerin schon erreicht, wovon viele ihrer Mitmusiker*innen in Großbritannien träumen. Aber PJ Harvey denkt weiter - und auch für ihr neues Album möchte sie wieder ihren Horizont erweitern.

Sie begleitet den Journalist und Filmemacher Seamus Murphy auf seine Reisen nach Afghanistan, Washington und in den Kosovo und sammelt dort Stoff und Inspirationen für ihre Songs auf The Hope Six Demolition Project - ihrem neunten Solo-Album.

Zurück in England lässt PJ Harvey im Keller des Somerset House in London einen Raum bauen, der es ihr und ihrer Band ermöglicht, die neuen Songs vor den Augen der Öffentlichkeit aufzunehmen - dank Schallschutz und verspiegelten Schaufenstern können Bewunder*innen und Interessierte bei den Aufnahmen dabei sein, ohne die Musiker*innen zu stören. Die Installation Recording in Progress dauert einen Monat, am Ende steht ein fertiges Album.



Den gesamten Prozess hat Seamus Murphy in einer Doku namens A Dog Called Money festgehalten. Auch ein Song auf The Hope Sixth Demolition Project heißt so. Wie überall auf der Platte lässt PJ Harvey die Menschen, denen sie begegnet ist, durch sie sprechen:
"Everything is staged, that's just what it is. People are just paid and bought. And I'm tired of it." - PJ Harvey im Song "A Dog Called Money"

Die Doku über The Hope Six Demolition Project zeigt eindrucksvoll, was PJ Harvey über den Lauf ihrer Karriere geworden ist: eine Grenzgängerin, die in ferne Länder reist und von dort Geschichten mitbringt, um der Welt die Augen zu öffnen.



Wer sich noch einen platz in unserer Hall of Fame ergattern konnte, erfährst du übrigens hier.

Design ❤ Agentur zwetschke