Aldous Harding: Warm Chris

Aldous Harding: Warm Chris

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Zwischen Vorstadtidylle und existenziellem Kummer steht ein Pelikan.


Ein Gecko spaziert auf dem Rasen und überlegt, welche Lampe er als Nächstes einpacken soll.

Zwei Junkies wird der Stress in der Großstadt zu viel, sie träumen jetzt von einem entspannten Büro, draußen auf dem Land. Und eine Frau fällt von ihrem Pelikan und verläuft sich auf dem Rückweg nach Hause auch noch.

Macht auch nur irgendwas davon ansatzweise Sinn? Schwer zu sagen. In der Welt von Aldous Harding tut es das aber auf jeden Fall.

Die Neuseeländerin liefert mit Warm Chris das wahrscheinlich mysteriöseste Album des Jahres ab.


 


Spätzündender Superstar

Mit gerade einmal drei Alben hat sich Aldous Harding schon einen ordentlichen Ruf erspielt: Die Komplimente reichen von Jim Carrey des Indie Pops – was auch immer das bedeuten soll - bis zur neuen PJ Harvey. Die ganzen Lobeshymnen können erst ein bisschen verwirren: Denn Warm Chris, ihr viertes Album lässt sich zugegeben ein bisschen Zeit, bis es richtig zündet. Nicht weil die Platte anstrengend oder übermäßig verkopft wäre: Aldous Hardings macht Folkmusic, die zum sanften Träumen einlädt. Große Hooks mit Ohrwurmgefahr gibt es so gut wie gar nicht und wenn man nicht zu genau hinhört, fließen ihre Songs angenehm vorbei.

Erst wenn man mehrmals reinhört und wirklich bereit ist, sich im Sound zu verlieren, fällt auf, wie viele ungewohnte Abzweigungen Aldous Harding immer wieder einschlägt.


Zum Beispiel in "Staring at the Henry Moore": Beim zweiten Hören fällt vielleicht zum ersten Mal dieses merkwürdig knarzende Instrument auf, dass man nicht so recht zuordnen kann – bis man dann beim vierten Hören merkt, dass man einer quakenden Ente zuhört. Nicht der einzige Moment, bei dem Aldous Harding mit Genuss in die Irre führt. Allein ihre Stimme macht hin und wieder sogar mitten im Song beeindruckende Veränderungen durch. Der Song "Leathery Whip" hat zwar mit Jason Williamson von den Sleaford Mods einen richtigen Gast mit dabei, eigentlich braucht sie ihn aber nicht zwingend, denn Aldous klingt sowieso so, als würde sie grade ein Duett mit zwei parallelen Existenzen singen.

 

Choose Your Own Adventure

Man kann sich wunderbar in die Klangwelt von Warm Chris fallen lassen, ohne auch nur ein Wort der Texte zu verstehen. Und das ist auch gut so, denn Aldous Harding stellt hier gefühlt mehr Rätsel auf als jeder Batmanschurke. Die Sängerin versteckt ihre Botschaften hinter kryptischer Symbolik und teilweise absurden Bildern – und sie hat nicht den geringsten Anreiz, irgendetwas zu erklären. Auch was man fühlen soll, bleibt erstaunlich ambivalent: Zu Songs wie "Fever" kann man entspannt einen Cappuccino schlürfen oder aus dem Busfenster blicken und sein Leben komplett neu denken.

In der kryptischen Musik von Aldous Harding kann jeder Mensch seine ganz eigene Geschichten und Gefühle finden – und das macht Warm Chris zu einem unglaublich spannenden Album.

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Tracklist: Aldous Harding - Warm Chris


01 Ennui
02 Tick Tock
03 Fever
04 Warm Chris
05 Lawn
06 Passion Babe
07 She'll Be Coming Round the Mountain
08 Staring at the Henry Moore
09 Bubbles
10 Leathery Whip


Warm Chris von Aldous Harding wurde am 25. März 2022 bei 4AD veröffentlicht.

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