Beirut: Gallipoli

Beirut: Gallipoli

Der Lieblingstonträger der Woche

Mit den Beirut'schen Quintessenzen (Orgel, Bläser und viel, viel auditiver Sehnsucht) lullt dich Zach Condon auch noch mit dem fünften Werk bestens ein.

Von New York und Berlin an die Stiefelspitze Italiens.

Frontmann Zach Condon hat wieder einige Meilen zurückgelegt, bis er die passende Inspiration fürs neue Album gefunden hat: Mit Gallipoli hat er schließlich einen Ort gefunden, dessen Atmosphäre der seiner Musik sehr nahe kommt. Denn ähnlich wie diese den Hörer immer gut 80 zurück schmeißt, scheint auch in Gallipoli die Zeit auf eine gewisse Art und Weise stehen geblieben zu sein. Örtliche Referenzen zieht der Amerikaner allerdings auch wieder zu anderen Teilen Europas.

Bei Beirut gehört es ja schon zum guten Ton, bestimmten Orten Songs zu widmen.

In der Vergangenheit waren wir so schon in "Gibraltar", "Perth", "Santa Fe", "Venice", "Nantes", "Cherbourg", "Brandenburg", "Bratislava", "East Harlem" und auch am "Prenzlauerberg". Auf dem neuen Werk finden wir uns neben "Gallipoli" auch auf Mainau Island und Korfu wieder. Wenn du das nächste Mal also erkennst, dass du eigentlich viel zu pleite für Urlaub bist, kannst du dir einfach alles sparen, besagte Songs eine Playlist schmeißen et voilà hast du deine Weltreise für lau - die Songs von Beirut kommen einem tatsächlichen Besuch des Ortes nämlich ziemlich nah, sofern dein Hirn die Signale richtig ins Kopfkino umwandeln zu versteht.

Denn obwohl wir noch nie in Gallipoli waren, hätten wir auch ohne zu googeln sagen können, dass das italienische Gallipoli von einer kargen Landschaft umarmt wird, während das Stadtbild von dicht an dicht gebauten, steinigen Häusern und staubigen Straßen geprägt ist - die an das scheinbar klarste Meer Europas grenzen, das du im "Gallipoli"-Kopfkino exakt zwischen Minute 2:52 und 2:53 erblickst. Vermittelt wird dieser Trip vom Aufbau, beziehungsweise der Instrumentalisierung des Songs: ein zaghaftes Intro mit fern wirkenden Synths und die hallenden Trompeten trifft auf Zachs bestimmten, festen Gesang und schließlich auf eine instrumentale Klangexplosion.

"On Mainau Island" wirkt mit kreischenden Synthesizern und polternden Percussions nicht unbedingt nach einer Schönwetterüberfahrt auf die kleine Insel im Bodensee. Auch "Corfu" klingt ziemlich rough: die eindringlichen Trommelschläge und Rasseln übersetzen bestens die raue und steinige Küste Korfus ins Auditive, während sich das Keyboard fürs Vermitteln des türkisen Meeres einsetzt. Bei beiden Songs werden die Instrumente so bildlich geführt, dass einem erstmal gar nicht auffällt, dass sie gänzlich instrumental sind.

Im totalen Lausch - gebannt vom Klang.


Überhaupt klingen die Songs auf Gallipoli sehr roh und Lo-Fi, beziehungsweise schlichtweg unbehandelt, natürlich. Obgleich sich dadurch der Beirut'sche Sound seit eh und je auszeichnet, fällt es jetzt, in unserer arg durchproduzierten Pop-Zeit, mehr auf denn je. 

Gemeinsam mit seinen Bandkollegen Nick Petree (Drums) und Paul Collins (Bass) tüftelten sie so lange im Studio, drehten jeden Ton sozusagen einzeln um, um den perfekten Klang zu kreieren – die technischen Fehlfunktionen sollten aber nicht vertuscht, sondern, gerade im Gegenteil, hervorgehoben werden:
"Ich wollte jedes Ächzen und Stöhnen der Instrumente, jede verstimmte Note, jedes Amp-Knistern, jede technische Fehlfunktion aus den dunklen Ecken meiner Lieder ins Licht zerren."
Für Versöhnung, beziehungsweise Harmonie im Experimentellen sorgt - wie immer - Zach Condons alte elektronische Orgel der Marke Farfifa, mit der er schon Gulag Orkestar (2006) und The Flying Club Cup (2007) komponiert hat. Auch mit dabei: viele, viele Bläser.

Beirut schafft es mit Gallipoli außerdem mal wieder gekonnt, die Erzählmaus aus der Grundschule auf das Albumprinzip zu übertragen: ein sich spannungstechnisch aufbuckelnder Anfang endet im Höhepunkt ("Landslide") um dann nach einem zackigen Abstieg zu enden. Ab "Family Curse" werden die Songs so stetig ruhiger. Während eigentlich schon der (sehr schön) langatmige Song "We Never Lived Here", der geradezu elektronisch ist (zumindest relativ), der perfekte Schluss wäre, wird noch ein kleiner Mauseschwanz als  mit "Fin" hinzugefügt. 

Mit Gallipoli kannst du die Segel spannen, auf einem Luftschiff gen Sehnsucht. Klingt beschissen kitschig, aber in Bezug auf die Beirut'sche Basteltechnik kann man sowas schon mal sagen.




Tracklist: Beirut - Gallipoli

01. When I Die
02. Gallipoli
03. Varieties of Exile
04. On Mainau Island
05. I Giardini
06. Gauze für Zah
07. Corfu
08. Landslide
09. Family Curse
10. Light in the Atoll
11. We Never Lived Here
12. Fin

Gallipoli von Beirut wurde am 1. Februar 2019 via 4ad/Beggars Group / Indigo veröffentlicht.

Design ❤ Agentur zwetschke