Die Kometenbestauner aus Kiel finden die perfekte Balance aus komplex und einfach.
Kann es überhaupt Nachteile haben, immer gerne mal als beste Liveband der Nation bezeichnet zu werden?
Diesen Ruf haben sich die Leoniden zumindest in den Jahren vor der großen Zwangspause erspielt. Mit ordentlicher Prise Humor, ausgelassenen Tanzeinlagen und maximalst möglichem Einsatz, hat die Kieler Formation Halle nach Halle in Grund und Boden gespielt. Bei diesem großartigen Ruf sind die Studioalben der Jungs immer ein bisschen im Hintergrund geblieben. Das selbstbetitelte Debüt und Again kamen zwar gut weg, waren aber im Blick von vielen Menschen doch eher nur gute Gründe, endlich wieder in den Tourbus zu steigen.Damit soll jetzt Schluss sein, denn Complex Happenings Reduced to a Simple Design ist viel zu groß für subtiles im Hintergrund rumstehen.
Mitten im Zeitgeist
Man kann es sich beim brennenden Planeten auf dem Cover schon so ein bisschen denken – das dritte Album der Leoniden schreit gerade zu nach 2021. Complex Happenings ist zugleich Konzeptalbum und eben doch enorm vielseitig: Dieses Jahr gab es eben genug komplexe Dinge, die viel lieber simpel sein sollten. Allzu viel gute Laune in Reinform sollte man also definitiv nicht erwarten: In der Welt des Albums liegt die Erde zum Beispiel schon im vierten Song auf dem Sterbebett. Immerhin darf in "Funeral" noch die Liebe des Lebens kennengelernt werden. Die Leoniden schaffen es immer wieder aus beschissenen Anfangssituationen den Funken Hoffnung herauszukramen.Genau wie "New 68" die Frustration über Telegramgeschwurbel in eine Liebeserklärung an Klimaaktivist*innen umwandelt. Complex Happenings ist aber kein rein globales Album, es werden auch die persönlichen Komplexe angegangen: Da gibt's die üblichen zwischenmenschlichen Spannungszustände - in "L.O.V.E" ist Jakob so verschossen, dass er das Wort nicht einmal aussprechen kann – aber es wird auch mutig persönlich: Nach "Blue Hour" sollte wirklich jeder Mensch, der die Leoniden in die Partybandschublade gepackt sie dort schleunig wieder herausnehmen.
Richtig versöhnlich wird es dann aber sogar, wenn Jakob kurz selbstreferentiell wird und den großen Durchbruchhit noch einmal aufgreift: "Nevermind" war noch vom Heimwehfrust geplagt. Und in "Home" hat der Sänger eine neue Heimat gefunden – halt nicht an einem Ort, sondern neben einem Menschen.
Umfang: Komplex
Mit 21 Songs ist Complex Happenings fast genauso lang wie beide Vorgängeralben zusammen. Der Platte geht trotzdem an keiner Stelle die Puste aus. Die Leoniden haben das mit dem Rock immer eher so als Richtlinie gesehen. Und auch auf der neuen Platte wird gerne mal in poppigen Mitsingchorus übergegangen, man wechselt zwischen Collegerock und Pianopop und wenn sonst nichts mehr hilft, setzen die Bläsersätze ein.Die Vielseitigkeit ist enorm, das zeigen schon die Titeltracks. Ja richtig gelesen: Das Titelthema wird gleich fünfmal eingespielt. In den kurzen Interludes zeigen die Leoniden, dass sie wirklich jedes Genre beherrschen, egal ob Kanye West Pop, At The Drive in Hardcore oder sogar Rage Against The Machine Crossover. Und zum ersten Mal dürfen auch Gastmusiker*innen bei den Leoniden mitmischen: Mit Drangsal, Ilgen-Nur und Pabst ist die deutsche Indie-Festival-Elite mit am Start.
Mit ihrem dritten Album haben die Leoniden viel versucht und noch mehr geschafft: Complex Happenings Reduces to a Simple Design ist genau an den richtigen Enden komplex, um dann im perfekten Moment wieder ganz einfach zu sein.
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