Keine Lust mehr auf Drama – Lorde hängt lieber in der Sonne rum.
"Bin ich jetzt eigentlich Jesus, oder doch nicht?"
Solche Fragen muss sich eigentlich niemand stellen. Lorde wohl scheinbar schon. Die Neuseeländerin hat schließlich den Lebenslauf eines wahrhaftigen Messias: Mit 17 durch Pure Heroine die Popmusik komplett auf Links gedreht und so erst späteren Megastars wie Billie Eilish den Weg geebnet. Mit 21 und Melodrama die ganze Welt zum Weinen und Tanzen gebracht. Nebenher noch Sexismusprobleme bei den Grammys offengelegt und Jack Antonoff zum Starproduzenten gemacht. Ist das noch menschlich oder etwa fast schon göttlich? Diese Frage ist Lorde wohl selber zu kompliziert geworden. Eine Auszeit muss her.Und scheinbar klappt das am neuseeländischen Strand richtig gut, denn Solar Power klingt so, als wäre die ganze Platte mit Sand zwischen den Zehen entstanden.
Gottkomplexe am Strand
Wenn man Lorde umgeben vom Freundeskreis scheinbar ohne Sorgen am Strand tanzen sieht, könnte man fast meinen, die Neuseeländerin hätte sich der Hippiebewegung angeschlossen. Und der Titeltrack handelt auch von der Rückkehr zur Natur und der Abkehr von allem digitalen. Lorde, oder auch "Prettier Jesus", wirft ihr Handy ins Meer, singt A Tribe Called Quest-Klassiker mit und lässt sich von der Sonne wieder neue Lebenskraft verleihen – eine traumhafte Vorstellung, ziemlich auf einer Linie mit den Hippies der 60er Jahre.Einen gravierenden Unterschied gibt es dann doch: Während sich Hippie Ikonen wie The Mamas and The Papas immer das Traumziel Kalifornien besungen haben, ist Lorde genau davor geflohen.
In "California" besingt sie die ambivalenten Gefühle, die ihr rasanter Aufstieg zu Teeniezeiten mit sich gebracht hat. Neben Komplimenten fliegen eben auch Giftpfeile in ihre Richtung und so sagt sie nein zur Californian Love und flieht an die neuseeländischen Strände zurück.
Obwohl Solar Power erst so klingt, ist die Platte eben doch mehr als nur seichtes Gute Laune Album: Lorde zeigt sehr deutlich auf, warum sie die Auszeit am Strand so sehr nötig und so sehr schätzen gelernt hat. Und so wird aus dem scheinbar verwöhnten Wohlfühlpop eine nachdrückliche Mahnung, auf sich selbst zu achten – egal wo die Probleme herkommen.
Vom Louvre in die Sonne
Früher waren ihre Texte Geschichten aus dem Leben einer Teenagerin oder jungen Erwachsenen, in die sich jeder sofort hineinfühlen konnte. Solar Power erzählt jetzt die Geschichten einer jungen Erwachsenen, die eben in den letzten Jahren noch die Popmusik auf den Kopf gestellt hat. Da fällt es vielleicht auf den ersten Hörer schwerer, sich damit zu identifizieren - trotzdem spürt man in den Lyrics immer noch den gleichen Charme, den gleichen Witz und die gleiche Ehrlichkeit wie zu Pure Heroine-Tagen. Zum Beispiel wenn sie in "Stoned at the Nail Salon" über ihre Karriereselbstzweifel singt und sich komplett verletzlich und unsicher zeigt, wenn sie in "Big Star" ihrem verstorbenen Hund ewige Liebe verspricht oder wenn sie in "Secrets Secrets from a Girl (Who's Seen it All)" dem jüngeren Ich ein paar Tipps auf den Weg gibt.Aber auch bei den persönlichen Songs steht immer die Sonne und die Kraft der Natur über allem, was Solar Power ausmacht. Und da macht Lorde auch vor globalen Angelegenheiten keinen Halt. "Fallen Fruit" und "Leaders of the New Regime" sind die wohl politischsten Songs, die Lorde je geschrieben hat. Trotzdem klingt nichts davon aufgesetzt oder unpassend. Solar Power flowt wie ein sanftes Meeresrauschen.
Von der bisherigen Intensität, die Songs wie "Green Light", "Supercut" und "Ribs" gleichzeitig tragisch und ekstatisch gemacht haben, muss man sich dementsprechend verabschieden. Auf Pure Heroine musste man damals noch bis zum letzten Song warten um mal eine Gitarre zu hören und auch Melodrama bekam seine Wucht eher durch elektronische Sounds. Solar Power eröffnet dagegen gleich mal mit sanftem Gezupfe und noch sanfterem Chorgesang mit freundlicher Unterstützung von Clairo und Phoebe Bridgers. Die Handschrift vom wieder engagierten Produzenten Jack Antonoff, der sich nach Melodrama auch an Lana Del Reys Melancholietagträumerei und Taylor Swifts Akustikausflug verwirklicht hat, ist dann doch ziemlich klar erkennbar.
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