Milliarden: Schuldig

Milliarden: Schuldig

Der Lieblingstonträger der Woche

Die Suche nach dem eigenen Selbst klang noch nie so kratzig.

Wahrscheinlich ist eine kleine Warnung angebracht: Auf dem dritten Album der Milliarden geht es alles andere als zimperlich zu.


Es werden Familienmitglieder aufgeschlitzt, Ödipuskomplexe realisiert, Friedhöfe auf verschiedene Arten entweiht und schief Karaoke gesungen. Über mangelnde Action kann man sich bei Schuldig also schon einmal nicht beschweren. Aber ist die Platte etwa nur eine provokante Profanitätenschleuder? Nicht mal im Ansatz:

Für Schuldig haben sich die Milliarden auf ziemlich clevere und emotionale Art und Weise neu selbst gefunden – und rütteln dabei sogar an den Grundfesten der Realität.

 

 

Die neuen Leiden der jungen B.&J.


Neuerfindung, obwohl sich am Kern der Band nichts verändert hat? Die Songs schreiben nämlich immer noch Ben und Johannes als Duo, im Studio darf dann ein eingeschworener Bekanntenkreis an die Instrumente. Etwas ist dann aber doch neu:

Die beiden haben sich von ihrem Label getrennt und ihre eigene Plattenfirma aufgemacht – jetzt darf ohne Vorgaben von oben rebelliert werden.


Gegen was rebelliert wird? Naja, so ziemlich gegen alles was wir sehen, fühlen und wahrnehmen – nicht weniger als unsere gesamte Konstruktion der Realität. Ist Unschuldig zu sein überhaupt ein erstrebenswerter Zustand, oder ist es nicht viel wertvoller sich die Hände schmutzig zu machen? Kann man sich überhaupt jemals selbst finden, oder ist das doch mehr eine Momentaufnahme? Und ist Leben die Voraussetzung für die Liebe oder ist es doch genau andersherum?

Keine dieser Fragen wird eindeutig beantwortet, die Milliarden wollen einfach nur zum Denken anregen – und zum Mitgröhlen. Denn immer kurz bevor die Texte Gefahr laufen in eine Philosophische Grundlagenvorlesung abzudriften, holt Ben die Meute mit einer Mitgröhlparole wie "Wir Ficken den Tod einfach weg" zurück auf den biergetränkten Moshpitboden.
 

Mit der neu gefundenen Freiheit kommen aber plötzlich auch ekelhaft reale Probleme auf die Milliarden zu: Auf dem Debüt Betrüger wollten die beiden noch "Im Bett verhungern". In "Die Gedanken sind frei" hat Ben lernen müssen, dass es sich mit leerem Geldbeutel und Magen doch deutlich schwerer lieben lässt. Eine gefühlvolle Liebeserklärung hat selten so gut mit Kapitalismusverdrossenheit zusammengepasst.

 

Musikalische Selbstsuche


Bei aller Rebellion kommen die Milliarden aber doch nicht ganz ohne ein kleines bisschen Tradition aus. "Wonderland" bekommt mit seinen Percussion-Klatschern und subtilem Backgroundchor eine leichten Rolling Stones-Vibe. Und bei rauem Protestgesang mit lauten Gitarren kommen natürlich unvermeidlich Erinnerungen an Ton Steine Scherben hoch.

Die Milliarden sind aber trotz dem ein oder anderen Zitat absolut eigenständig. Ben kann laute Punkparolen plärren, verführerisch säuseln und hin und wieder hört man sogar seine Vorliebe zum Hip Hop raus. Die Musik wechselt derweil zwischen Hardcore, Blues und Folkrockanleihen hin und her. Nichts wirkt willkürlich, alles unterstützt die Botschaften. Wenn Ben in "Neues Leben" drastische Lebensveränderungen im Kopf durchplant, schleppen sich Drums und geisterhafte Klavierklänge in die Ohren, wenn auf Gräber gewichst wird, tritt die schrille Gitarre aufs Gaspedal und die wiederaufkeimende Sommerromanze in "Wenn ich an dich denke" klingt erst mit flottem Basslauf so richtig schön.

Das musikalische Selbst der Milliarden bleibt also laut, emotional und vielseitig. Ob die Selbstfindung mit Schuldig jetzt schon abgeschlossen ist, bleibt wie die meisten Fragen auf der Platte gewollt offen.

Solange die Milliarden uns aber auf die Suche mitnehmen, dürfen sie sich auch gerne noch ein bisschen Zeit damit lassen.


Tracklist: Milliarden - Schuldig

01 Schuldig sein
02 Die Gedanken sind frei
03 Die Fälschungen sind echt
04 Wenn ich an dich denke
05 Swing
06 Himmelblick
07 LLLL
08 Neues Leben
09 Ich schieß dir in dein Herz
10 Wonderland
11 Trenn dich


Schuldig von Milliarden wurde am 5. Februar 2021 via Zuckerplatte veröffentlicht.

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