Nilüfer Yanya: PAINLESS

Nilüfer Yanya: PAINLESS

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Eine Platte über verführerisch süßen Schmerz.

"Do You Like Pain?"

Eine recht einfache Frage, auf die man eine recht einfache Antwort erwartet: Natürlich nicht, wer setzt sich schon freiwillig Schmerzen aus? Aber für Nilüfer Yanya, die Sängerin, die diese Frage in ihrem Minidurchbruch Hit "Baby Luv" stellt, ist die Antwort komplexer: Denn der Schmerz – so unangenehm er auch sein mag – ist auch Zeichen dafür, dass man trotz allem alltäglich gewordenen Horror der modernen Welt nicht verlernt hat, etwas zu fühlen.

So betrachtet klingt Painless, der Titel von Nilüfer Yanyas zweitem Album schon gleich deutlich beklemmender als ein Wellnessurlaub.

Aber der Schmerz steckt trotzdem immer noch in ihrer Musik – er hat sich nur in fantastischen Songs versteckt.


 

Kontrollierter Kontrollverlust.

Painless beginnt damit, dass sich der Status quo langsam, aber doch unaufhaltsam auf den Kopf stellt. "The Dealer" erzählt nicht von dem einen Moment der alles ändert, sondern vom schleichenden Prozess, von der Erkenntnis manche Sachen einfach nicht mehr ins Gleichgewicht bringen zu können. An diesem Punkt klingt Nilüfers Stimme noch ruhig entspannt, während die Drums dagegen hektisch vor sich hin flackern. Ein paar Songs später sieht das schon ganz anders aus: "Stabilise" dreht sowohl Tempo als auch Chaos noch einmal deutlich auf. Nilüfers Stimme wird zu einem atemlosen Flüstern, fast schon versteckt hinter hektischem Gitarrenarpeggi singt sie über den bevorstehenden Abschied.

Das Ende einer Beziehung ist das thematische Herzstück von Painless. Ein klassisches Breakup Album voller Vorwürfe und nostalgischer Verklärung hört man jedoch nicht: Nilüfer konzentriert sich viel mehr darauf, was die Trennung in ihr selbst auslöst. Dabei ist sie wenig optimistisch – Nilüfer weiß, dass es in der momentanen Situation keine Zukunft gibt, aber die Hoffnung für einen Neuanfang will nicht so recht erscheinen.  


 

Nilüfer gibt sich auf Painless also deutlich direkter als auf dem Vorgänger.

Für Miss Universe stellte sie ja noch eine erfundene, dystopisch angehauchte Wellness Consulting Firma in den Vordergrund, um dahinter schmerzhafte Beobachtungen anzubringen. Und auch klanglich trennt sie sich ein gutes Stück von ihrem Debüt – auch wenn man Nilüfer immer noch nahezu beim ersten Ton erkennt. Statt schnörkellose Pophits zu liefern, baut sie in jedem Song einen neuen Klangkosmos auf. Im Zentrum stehen zwar immer die Sängerin und ihre Gitarre, aber allein das Instrument bekommt im Laufe der Platte kontinuierlich neue Sounds spendiert.

Nilüfer wechselt auf Painless mühelos zwischen atemlosen Postpunk und zärtlichem Dreampop hin und her – und man kann sich kaum entscheiden, welcher Stil ihr besser zu Gesicht steht.



 

Wenigstens fühlen wir noch.

Auch wenn man es sich in so einer Zeit wahrscheinlich wünschen würde: Eine Heilung für den ganzen Schmerz bleibt Nilüfer schuldig – sie tut gar nicht erst so, als gäbe es einfache Antworten. Der einzige Hoffnungsschimmer ist die Hoffnung selbst: In "anotherlife" flieht Nilüfer mal kurz in eine Parallelwelt, in der ihre Sorgen keine Rolle mehr spielen. In der Realität bleibt das natürlich keine Möglichkeit und auch der besungene Schmerz kann nicht einfach von heute auf morgen verschwinden.

Aber auch das muss ja laut Nilüfer Yanya nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein.

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Tracklist: Nilüfer Yanya - PAINLESS


01 the dealer
02 L/R
03 shameless
04 stabilise
05 chase me
06 midnight sun
07 trouble
08 try
09 company
10 belong with you
11 the mystic
12 anotherlife




PAINLESS von Nilüfer Yanya wurde am 4. März 2022 bei PIAS veröffentlicht.

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