Tristan Brusch: Am Rest

Tristan Brusch: Am Rest

Das Album der Woche

Von  Anna Taylor
"Wenn die Liebe uns verlässt / Halten wir uns fest / Am Rest" - wenn du mal wieder richtig gut nachdenken willst, können wir dir Tristan Bruschs schaurig schönes neues Werk nur ans Herz legen.

Mit Schönheit beeindrucken kann jede*r

Glatte Oberflächen, keine Kleckser, Harmonie pur - Realität am Arsch. Wo keine rauen Stellen sind, kann man sich schlechter festkrallen, rutscht leichter ab. Wirklich beeindruckend ist doch ein Talent, mit dem Hässlichen zu arbeiten, dem Vergangenen und aus einem absoluten Rest etwas Ästhetisches zu kreieren. Tristan Brusch zum Beispiel kratzte für sein neues Werk alles zusammen, was er in den Ritzen seiner Gefühls- und Gedankenwelt finden konnte, hat dies mit Tönen versehen, die mal fein, mal falsch gestimmt sind und Texten, die allesamt mit E für Explizit gekennzeichnet werden mussten.

Ohne das Hässliche kann das Schöne nicht existieren - was arg banal klingt, bekommt auf Am Rest eine große Bedeutung.

Das zeigt Tristan Brusch immer wieder auf dem Werk und ganz besonders auch auf "Ein Wort" mit einem wunderschön schrillen Piano. Doch überhaupt ist es nicht so, dass man auf Am Rest groß nach harmonischen Melodien suchen muss - sie sind überall, alles ist fein abgestimmt. Das Schöne mit dem Schrillen. Tristan Brusch ist nicht nur ein exzellenter Songwriter und Chansonier, sondern auch ein großer Musiker. Gelernt hat er das, also den Blick für anspruchsvolle Kompositionen, von seinen Eltern, die allesamt der Klassik verfallen sind. Allerdings braucht Tristan Brussch kein großes Orchester, um das deutlich zu machen. Eine minimalistische Instrumentalisierung reicht völlig aus.

Zum Heulachen

Kennst du diese Filme, die ganz wild mit deinen Emotionen spielen? Da gibt es immer diese eine Szene, in der du Rotz und Wasser heulst - dein Brustkorb tut schon ganz doll weh! Dann passiert etwas absurd lustiges und beim Auflachen, auf das du einfach nicht vorbereitet warst, explodiert erstmal so eine Blubberblase an Schnodder aus deiner Nase heraus. Und dann heulachst du. Genau das gilt zum großen Teil auch für die Texte von Tristan Brusch. In der einen Zeile berührt dich etwas so stark, irgendeine geheime Wahrheit mit nur wenigen Worten ausgedrückt und begleitet von angenehm hallenden Gitarren - mit der nächsten Zeile heulen diese auf, alles scheppert und Tristan schreit:

"Herein, herein, herein / Immer alles in die Fressfotze rein" - Tristan Brusch im Song "Zwei Wunder an einem Tag"

  • Tristan Brusch: Am Rest

Ertappt

Das mit den Texten hat Tristan Brusch schon immer beherrscht und zuletzt auf seinem Longplayer Das Paradies (2018) preis gegeben. Dabei spielt auch dieses 9Gag-Phänomen eine Rolle (durch die Meme-Webseite haben viele von uns erfahren, dass sie mit ihren Eigenartigkeiten überhaupt nicht alleine sind). Tristan Bruschs Liedtexte wirken dabei so, als ob der Musiker höchstpersönlich im Kopf von einem selbst drin hockt und fleißig Notizen macht von den ehrlichsten und düstersten Gedanken und Gefühlen. Dann singt er darüber und man denkt: "Arrgh ja sowas, ertappt! Der muss ja in meinem Kopf gehockt sein!" Dabei sind wir Menschen uns alle gar nicht mal so unähnlich, ja leider auch gar nicht mal so seltsam, wie wir es dann doch eigentlich gerne hätten. 



Auf Am Rest ist dann aber doch wieder irgendwie alles anders. Der große Unterschied nämlich: der Sound. Während das Vorgängeralbum nämlich innen düster war, schillerte es von Außen in den tollsten Farben. Als Neo-Schlager-Melo-Popper haben wir ihn damals bezeichnet, der Disco und NDW einfach so mit Schlager und Melancholie fusioniert. Auf Am Rest wendet sich Tristan Brusch von den quietschbunten Synthesizer-Melodien ab - die Songtexte landen im Fokus. Das ist die Zukunft, sagt Tristan Brusch, für ihn zumindest: Er will Liedermacher werden und setzt mit dem neuen Werk dahingehend einen ersten großen Stein. Wer also Das Paradies geliebt hat und folglich dachte, die neue Veröffentlichung von Tristan Brusch müsste doch in die selbe Richtung gehen, ist vielleicht im ersten Moment etwas verwundert. Aber dann kicken die Texte und als nächstes erst die ausgeklügelten Melodien, die nach wie vor da sind, nur eben ganz anders. 

Aber worum geht es eigentlich?

Na, was denn wohl - die Liebe. Und deren Verlust. Es geht aber auch um Abgründe. Und um menschliche Schicksale, um den tristen Alltag, Moral, den Tod, Tristans persönliche Biografie, Selbsthass, Selbstreflexion, Selbsttäuschung und damit auch die unerwartet tiefe Bedeutung von Sanifair-Coupons.

Schwere Themen - doch derart poetisch verpackt und mit Humor versehen, dass Hörer*innen gerade so nicht in eine Krise gestürzt werden. Schließlich findet das Album außerdem ein versöhnliches Ende mit "Das Leben ist so schön". Nach all den richtigen Beobachtungen, die Tristan Brusch auf Am Rest macht, gibt es wirklich keinen Grund, warum wir ihm nicht glauben sollten.



Tracklist: Tristan Brusch - Am Rest

  1. Zwei Wunder am Tag
  2. Am Rest
  3. Der Abschaum
  4. So weit weg
  5. Ein Wort
  6. Schoenleinstraße
  7. Krone der Schöpfung
  8. SM Jugend
  9. Einer liebt immer mehr
  10. 2006
  11. Das Leben ist so schön

Am Rest von Tristan Brusch wurde am 29. Oktober 2021 via BDKA/Kontor New Media veröffentlicht.

Design ❤ Agentur zwetschke