Tristan Brusch: Am Wahn

Tristan Brusch: Am Wahn

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Wenn die toxische Beziehung noch nicht toxisch genug war.

Liebe ist das Schönste auf der Welt - bis Liebe plötzlich dann irgendwann die aller größte Kackscheiße im Universum ist.

Kaum eine Sache sorgt gleichzeitig für so viel Freude wie auch für Schmerz: Man muss nur einmal verliebt im Park spazieren gehen, um ziemlich genau die Hälfte der Mitmenschen zum Kotzen zu bringen. Und selbst wenn man scheinbar jahrelang glücklich in einer Beziehung lebt, reicht hin und wieder schon der Blick zurück - und plötzlich wird das rosige Zusammensein schon fast ein vergiftetes Schlachtfeld.

Tristan Brusch fasst es mit seinem neuen Album ziemlich treffend zusammen: Manchmal ist man verliebt - und manchmal einfach nur Am Wahn.



Amors Giftpfeil

Es überrascht wahrscheinlich niemanden, dass sich Tristan für seine neue Platte schon wieder so einen richtigen Stimmungskiller als Thema genommen hat: Schon damals, als er noch mit zuckersüßem Elektropop auf sich aufmerksam gemacht hat, gab es bei Titeln wie "Hier kommt euer bester Freund" jede Menge Hang zum Morbiden. Und der geniale direkte Vorgänger Am Rest wälzte sich schon im tiefsten Dreck der Gesellschaft. Auch da hat natürlich schon das Zwischenmenschliche eine Rolle gespielt, aber für Am Wahn bekommt der Herzschmerz die tragische Hauptrolle:

Hier geht's nicht mehr um toxische Beziehungen - das was hier passiert ist schon hypertoxisch.


Tristan brilliert hier mal wieder als Textschreiber und drückt jeden Herzschmerz in tragischer Schönheit aus: "Wahnsinn mich zu lieben" gibt da gleich die Marschrichtung vor und zählt haufenweise unrealistische Anforderungen für die perfekte Beziehung auf: Bei so einem Start weiß man schon, dass alles nur im Desaster enden kann.

Tristan beschreibt seine Texte gerne als Mischung aus tiefpersönlichen und frei erfundenen Geschichten: Der Zauber daran ist, dass man nie so ganz weiß, welche Textzeile jetzt in welche Kategorie fällt. So klingen alle Songs gleichzeitig wie ein mies gelaunter Tagebucheintrag, der aber trotzdem irgendwie auch auf das eigene Leben zutreffen könnte. Zum Beispiel wenn die für die Ewigkeit eingeplante Liebe plötzlich aus dem Leben verschwindet ("Seifenblasen platzen nie"), die nahezu zerreißende Einsamkeit nach einer Trennung einsetzt ("Glücklich") oder wenn man sich mitten in einer Krise einfach nur die Zweisamkeit zurückwünscht ("Baggersee").

Alben über gescheiterte Liebe gibt es zwar wie Sand am Meer - von Nick Cave bis Robyn gibt es da so manches, vielfältiges Meisterwerk - aber Am Wahn verdient sich so trotzdem jede Aufmerksamkeit.

Denn Tristan kotzt sich nicht einfach nur liebeskrank aus - er beobachtet, analysiert und trifft mit seinen Textzeilen ziemlich zielsicher ins gebrochene Herz.




Kunst, Künstler und Mörder

Zielsicherer also als das lyrische Ich in "Am Herz Vorbei". Den Song hat Tristan nicht selbst geschrieben, sondern nur in die Deutsche Sprache übersetzt. Trotzdem ist der Song fast so etwas wie der Schlüsselmoment der Platte: Alle zumindest noch halbwegs schönen Erinnerungen, wie der Ausflug zum Baggersee, werden brutal beiseite gewischt - denn der Song endet mit einem Doppelmord. Hier wird dann natürlich auch noch die aller letzte Grenze überschritten: Wenn man jetzt auch noch weiß, dass der Songschreiber vom originalen "You Missed My Heart" mehrfach wegen übergriffigem Verhalten angeklagt ist, sorgt das beim Hören fast schon für unerträgliche Gefühlsausbrüche. Tristan Brusch schafft es immerhin, hier keine Romantisierung zu betreiben - wenn er in die Rolle des Mörders schlüpft hat er nicht den geringsten Hauch von Mitleid und stellt ihn als absoluten Versager hin.

Ob man das bei dem Hintergrund vertretbar findet, muss natürlich jeder Mensch für sich selbst entscheiden, aber Am Wahn ist eben ein Album, dass bis in die aller tiefsten Abgründe eintauchen will.




Kontrollwahn

Zu lieben heißt auch Kontrolle abgeben: Vielleicht hat das auch Tristan dazu gebracht, im Studio mal nicht jeden einzelnen Klang selbst auszusuchen. Dieses Mal hat er seine Songs ins Handymikrofon gesungen: Text, Melodie und Rhythmus waren damit festgelegt, aber welche Instrumente das Ganze umsetzen sollten, hat Produzent Tim Tautorat entschieden. Mit Sicherheit eine Umgewöhnung, aber der gefundene Sound passt unverschämt perfekt: Mal wird auf sanften Orchestersound gesetzt, dann wieder auf gezupfte Gitarre. Immer wieder kommen auch Erinnerungen an schon bekannte Songs hoch: "Baggersee" klingt zum Beispiel wie Bilderbuchs "Nahuel Huapi" mit Monsterkater, "Monster" erinnert sanft an Kevin Morby und "Oh, Lord" ist mit Sicherheit auch die ein oder andere Station in der "Straßenbahn des Todes" mitgefahren. Zum Text passt der Klang aber in jedem Fall: So zum Beispiel auch in "Für Theo", wenn Tristan noch sein Allerbestes versucht, der ganzen Misere noch so einen kleinen Hoffnungsschimmer zu geben.   

Denn nach dem blutigen Gemetzel in "Am Herz vorbei" schließt Tristan noch den Bogen zum ersten Song: Über gezupfte Gitarre und geisterhaftes Klavier, versucht er zähneknirschend mit der Beziehung abzuschließen und die Vorteile am Alleinsein zu finden - nämlich keinen unrealistischen Erwartungen mehr gerecht werden zu müssen und endlich sein wahres Ich wiederzufinden, dass in der Beziehung verloren gegangen ist.

Das ist, wenn man länger drüber nachdenkt, natürlich auch schon wieder widerlich traurig, aber mit einem richtigen Happy End hat bei einer Platte über hypertoxische Beziehungen wohl niemand gerechnet.

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Tracklist: Tristan Brusch - Am Wahn

  1. Wahnsinn mich zu lieben
  2. Oh, Lord
  3. Kein Problem (feat. Annett Louisan)
  4. Seifenblasen platzen nie
  5. Mirage
  6. Wieder eine Nacht
  7. Monster
  8. Baggersee
  9. Glücklich
  10. Am Herz vorbei
  11. Für Theo

Am Wahn von Tristan Brusch erscheint am 24. März 2023 via Tautorat Tonträger.

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