Manchmal macht die Liebe eben erst ab der zweiten Runde richtig Spaß.
Liebe auf den ersten Blick ist sowas von überbewertet!
Klar ist der Gedanke daran vielleicht ganz romantisch, aber eigentlich doch auch schrecklich oberflächlich. Und außerdem, auf den ersten Blick kann man halt auch kaum rausfinden, ob das Gegenüber nicht vielleicht abgeschnittene Zehennägel auf dem Nachttisch liegen lässt. Die viel größere Sache ist doch eigentlich, wenn man sich schon mit allen Ecken und Kanten kennt – und sich die Gefühle eben trotzdem noch durchsetzen.Sowas kann auch passieren, wenn man sich schon 20 Jahre lang kennt - fragen wir doch mal Tunng.
Genregeburtshelfer
Tunng haben sich damals, 2003, zusammengesetzt und Dinge zusammengebracht, die eigentlich nicht wirklich zusammen gepasst haben: Sanfte, meditative Gitarrenklänge und raue, abgehackte Elektrosounds. So konfus sich das auf dem Papier auch ließt – so traumhaft schön klang das Debütalbum der Briten.Mother’s Daughter and Other Songs wurde ein prägendes Album für das Folktronica Genre, dem auch der frühe Dan Snaith, Sufjan Stevens und in stark abgewandelter Form irgendwo auch Milky Chance ihren Stempel aufgedrückt haben. Tunng haben sich derweil mit durchwechselnder Besetzung immer weiterentwickelt und stabil abgeliefert. Aber zum 20. Jubiläum bietet sich jetzt natürlich eine Rückbesinnung auf die alten Tugenden an:
Auf Love You All Over Again liefern Tuung wieder genau diese stimmungsvolle Folktronica Mischung in die man sich damals schon so leicht verlieben konnte.
Aber auch als Neuzugang in der Welt von Tunng findet man sich schnell zurecht: Hektisch flimmernde Gitarren, bedeutungsschwere Klavierakkorde und die ganz großen Fragen über das Leben an sich - und plötzlich schieben sich auch die elektronischen Sounds wieder in den Klang. Für sich genommen klingt die Percussion teilweise ziemlich kratzig und wild, aber zusammen mit dem sanften Gesang und den verträumten Instrumenten entsteht hier eine ziemlich einzigartige Harmonie.Schnecken und der Sinn des Lebens
Die Stimmung auf Love You All Over Again bleibt zwar verträumt und beruhigend, weil Tunng sich aber immer wieder einen neuen Kniff ausdenken, kommt trotzdem keine Langeweile auf. Zum Beispiel weil "Snails" im Refrain noch zur regelrechten Hymne aufbricht oder weil man bei "Drifting Memory Station" minutenlang darüber grübelt, welches Instrument denn da im Hintergrund diese geisterhaften Geräusche von sich gibt - so lange, dass einem fast nicht auffällt, dass in diesem Lied gar nicht gesungen wird. Aber auch wenn die Singstimmen auftauchen, schaffen es diese sich fast schon wie Instrumente in den Sound einzukuscheln.Die Texte kriegen außerdem noch ein ganz besonderes Kunststück hin: Aufs erste Hören klingen sie vielleicht so wie triviale Alltagsbeobachtungen, aber mehr als nur einmal schaffen Tunng den Schlenker zu den ganz großen existenziellen Fragen.
So wird Love You All Over Again zum perfekten Album um aus dem Fenster zu blicken und das eigene Leben zu überdenken - oder auch zur perfekten Ablenkung vom Alltagsstress.
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