Die WM 2023: Ein Changing Point im Fußball der Frauen?

Die WM 2023: Ein Changing Point im Fußball der Frauen?

Tamara Keller im Interview

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Am Donnerstag war Anpfiff zur Fußballweltmeisterschaft der Frauen. Ist das Turnier ein Changing Point im Hinblick auf Gleichberechtigung im Fußball?


Eine Veränderung im Fußball der Frauen

Die Einschaltquoten bei der EM letztes Jahr waren in Deutschland so gut wie nie und dieser Trend setzt sich auch dieses Jahr fort: Laut FIFA wurden im Vorfeld 1,25 Millionen Tickets verkauft und das Finale in Sydney ist schon lange ausverkauft. Welche Rolle auch Equal Pay beim Thema Gleichberechtigung spielt und warum es für das deutsche Team dieses Jahr sehr schwer werden könnte, im Finale zu stehen, darüber haben wir mit Tamara Keller gesprochen. Sie ist freie Journalistin und Gründungsmitglied von FRÜF – Frauen reden über Fußball, einem Podcast-Kollektiv aus Frauen, für die Fußball mehr als eine Sportart ist.
  • Tamara Keller im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören
  • Gender Pay Gap im Fußball
    egoFM Reflexikon


Tamara hat in ihrem Umfeld dieses Jahr selbst beobachtet, dass sich etwas verändert und die WM mehr zum Gesprächsthema wird.

"Was auch zum Beispiel anders ist, diese WM jetzt, als zum Beispiel noch 2019 zu Frankreich - Personen, mit denen man zu tun hat im Alltag oder so, wissen auch, dass das stattfindet, und das war davor nicht so. Die sind dann auch so 'Ja, was glaubst du, wie geht es aus, wie wird das deutsche Team abschneiden', also [es] ist so Smalltalk-Thema geworden, was es davor nie war." - Tamara Keller

Die Journalistin spricht übrigens bewusst nicht von Frauenfußball, sondern vom Fußball der Frauen.
"Ich persönlich sage Fußball der Frauen, weil ich es eben öde finde, quasi den Fußball am Geschlecht abhängig [...] oder daran festzumachen. Es ist am Ende einfach Fußball. [...] Also das war lange auch das Problem, dass man gar nicht dahin geschaut hat und deshalb sich die Strukturen für die Spielerinnen auch nicht so verändert haben. Also ich glaube, es macht auch einen Unterschied, wenn wir das wirklich als Fußball der Frauen bezeichnen und nicht Frauenfußball." - Tamara Keller

Equal Pay - ein wichtiger Schritt für Gleichberechtigung im Fußball

Noch haben wir im deutschen Fußball eine Gender-Pay-Gap. Bei der aktuellen Fußball-WM der Frauen schüttet die FIFA 103 Millionen Euro als Prämie aus – erstmals gehen davon auch 60 Prozent direkt an die Spielerinnen. Im Vergleich zu den 80 Millionen Euro aus dem Jahr 2019 ist die diesjährige Prämie also definitiv ein Fortschritt. Trotzdem liegt diese FIFA-Prämie der Frauen deutlich unter der, die es bei der Männer-WM 2022 in Katar gab. Damals waren es 411 Millionen Euro – die Frauen dieses Jahr bekommen also ungefähr ein Viertel davon. Je nach Erfolg erhalten die nationalen Verbände nach der WM allerdings noch zusätzliche Zahlungen.

FIFA-Präsident Gianni Infantino hat bereits angekündigt, dass bei der Fußball-WM 2027 den Frauen die gleiche Prämie gezahlt werden soll wie den Männern 2026. Er kritisiert außerdem, dass Rechteinhaber*innen und Sponsor*innen einhundertmal weniger zahlen, und das, obwohl die Einschaltquoten nur um die 20 Prozent unter denen der Männer liegen sollen.  

Tamara sieht in Equal Pay auf jeden Fall ein wichtiges Mittel für Gleichberechtigung, sie sagt aber auch:

"Wenn man von Equal Pay spricht, dann ist halt auch wichtig da von der Geld Umverteilung zu sprechen, also eben, dass alle einfach das gleiche Gehalt bekommen. Mehrere Spielerinnen der deutschen Nationalmannschaft haben zum Beispiel auch schon gesagt 'ich will gar nicht diese Millionen Beträge verdienen, die Männer verdienen' und das ist vielleicht auch nochmal interessanter Aspekt den man angucken kann, also ich glaube im Fußball der Frauen gibt es auch die Möglichkeit, den Fußball noch mal weiter zu denken als dieses Geschäft, wie es vielleicht im Bereich der Männer schon ist." - Tamara Keller 

Equal Pay ist aber kein Allheilmittel, denn es gibt auch große strukturelle Missstände, die angegangen werden müssen, zum Beispiel was Trainings- oder Platzstrukturen angeht.

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Eine Politisierung im Fußball 

Debatten wie die um Equal Pay zeigen deutlich: Viele Spielerinnen sind heute nicht nur Sportlerinnen, sondern auch Botschafterinnen für Frauenrechte. Diese Veränderung und Politisierung im Sport ist aber erst seit ein paar Jahren zu beobachten.
"Also davor war es oft so, dass die Spielerinnen eher geschwiegen haben [...] und ich finds gut, dass sich Spielerinnen positionieren und ihre Meinung sagen. Ich finds [...] einen guten Trend, weil ich glaube, davor wars halt echt so, dass man eher zu schweigen hatte. Auch, dass man dankbar zu sein hatte, dass mans als Profi geschafft hat und aber nicht davon leben konnte. Und ich finds gut, dass man jetzt da auch Missstände ansprechen kann." - Tamara Keller

Tamara sagt aber auch, dass die Spielerinnen das nur machen sollen, wenn sie es wollen – sie sollten nicht dazu gezwungen werden, weil es Trend ist oder sich besser vermarkten lässt.



Tamaras Tipp für die WM

Für Deutschland könnte es dieses Jahr schwer werden, meint die Journalistin – das Team könnte nämlich aufgrund des Tunierbaums sehr schnell auf Brasilien oder Frankreich treffen. Se erhofft sich aber das Halbfinale. Den Sieg sieht sie am Ende bei den US-Spielerinnen.

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Tamara Keller von FRÜF | Credits: Lukas Leinders

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