Wird die katholische Kirche queerfreundlich?

Wird die katholische Kirche queerfreundlich?

Dr. Michael Brinkschröder im egoFM Reflex Interview

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Die letzten 2000 Jahre war die katholische Kirche für das Gegenteil bekannt - jetzt scheint es allerdings, als würde sich vielleicht etwas in Richtung Queerfreundlichkeit verändern.

Aktionen wie #OutInChurch, ein liberaleres Arbeitsrecht und Segensfeiern für homosexuelle Paare - wird die katholische Kirche jetzt auf einmal queerfreundlich? Darüber haben wir mit Dr. Michael Brinkschröder gesprochen. Er engagiert sich bei #OutInChurch und ist Theologe und Religionslehrer.
  • Dr. Michael Brinkschröder im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Ein Wandel in der katholischen Kirche 

In einer bundesweiten Aktion haben sich Anfang 2022 Angestellte der katholischen Kirche unter dem Motto "#OutInChurch - Für eine Kirche ohne Angst" als queer geoutet, mehr zu der Aktion kannst du hier nachlesen. Michael Brinkschröder war es damals in erster Linie wichtig, diejenigen zu unterstützen, die sich zum ersten mal offiziell geoutet haben, denn er selbst hatte das schon während seines Theologiestudiums getan - wohlwissend, dass ihm dieser Schritt auf dem Weg in ein kirchliches Amt im Weg stehen könnte. Trotz der diskriminierenden Strukturen innerhalb der katholischen Kirche war er sich seines Glaubens aber immer sicher:

"An meinem Glauben hat mich das eigentlich nicht zweifeln lassen, weil sozusagen meine Beziehung zu Gott und Jesus Christus war davon gar nicht berührt, aber die Frage war für mich: Wie ist meine Position zur Kirche? Für mich hat sich irgendwann herausgestellt, ich sehe meine persönliche Berufung darin, dafür zu sorgen, da mit beizutragen auf jeden Fall, dass queere Menschen in der Kirche gleichberechtigt sind." - Dr. Michael Brinkschröder


Genau darauf arbeitet er seit vielen Jahrzehnten hin

#OutInChurch war vermutlich der bisher größte Schritt in diese Richtung, sagt er. Ende 2022 teilte die Deutsche Bischofskonferenz dann tatsächlich mit, dass es eine Liberalisierung des Arbeitsrechts geben wird und inzwischen steht fest: Der Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt keinen rechtlichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers. Konkret bedeutet das, dass sich queere Menschen jetzt outen können, ohne mit einer Kündigung rechnen zu müssen - dieser Diskriminierungsschutz gilt auch für trans und nicht binäre Personen. Michael Brinkschröder ist damit erstmal sehr zufrieden, es sollen allerdings in diesem Jahr auch noch weitere Anpassungen folgen. Außerdem betont er:

"Das heißt jetzt aber für die Kirche auch insgesamt als Arbeitsort, als Arbeitgeberin, dass es jetzt auch darum geht, eine Kultur der Diversity, oder des Umgangs miteinander, mit der Vielfalt, auch der sexuellen und der geschlechtlichen Orientierung, einzuüben. Also da kommt jetzt praktisch eine neue Aufgabe auf die Kirche zu, die eher im subtileren Bereich liegt, aber wo es natürlich auch darum geht, wie gestaltet sich die Kirche als Organisation." - Dr. Michael Brinkschröder


Segensfeiern für homosexuelle Paare

Es gibt in Deutschland bereits seit einigen Jahren Gemeinden, in denen gleichgeschlechtliche Paare gesegnet werden - bisher lagen solche Segnungen allerdings in einer kirchenrechtlichen Grauzone. Bei der Synodalversammlung Anfang März hat dann die Mehrheit der Bischöfe und Versammlungsmitglieder dafür gestimmt, dass homosexuelle - und auch wiederverheiratete - Paare in Zukunft ganz offiziell den Segen bekommen können. Mehr dazu erfährst du auch hier in unserem egoFM Reflexikon. Wenn die nächsten Arbeitsschritte relativ schnell umgesetzt werden, können in einem Jahr erste Segensfeiern stattfinden, schätzt Michael Brinkschröder optimistisch. In der Synodalversammlung wurde in einem zweiten Beschluss außerdem gefordert, dass die Segensfeiern auch für trans und nicht binäre Partner*innenschaften geöffnet werden sollen. 

Die offizielle #OutInChurch-Stellungnahme zu den Ergebnissen der Synodalversammlung ist allerdings eher kritisch:

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Segensfeiern sind keine Trauung

Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare sind nach katholischer Vorstellung nicht mit einer Trauung zu vergleichen, denn die Eheschließung zwischen Mann und Frau wird als sogenanntes Sakrament verstanden und ist damit mit vielen zusätzlichen Bedeutungen aufgeladen, erklärt Dr. Michael Brinkschröder:

"Zum Beispiel, dass die Ehe zwischen Mann und Frau die Beziehung zwischen Christus und der Kirche als Bräutigam und Braut abbilden soll - und das wäre eben in gleichgeschlechtlichen Beziehungen nicht gegeben." - Dr. Michael Brinkschröder

Der Vatikan hatte sich deswegen 2021 erneut gegen Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen, es sollen allerdings trotzdem Gespräche zwischen Deutschland und dem Vatikan folgen - immerhin gibt es bei den flämischen Bischöfen ein entsprechendes Modell, das vom Papst indirekt akzeptiert wurde. Das heißt, es gibt Spielräume, die es nun auszuloten gilt, sagt Michael Brinkschröder.

Ein gewisses Spaltungspotential sieht er in dem Thema aktuell noch nicht, grundsätzlich kann die Gefahr einer Spaltung innerhalb der katholischen Kirche aber nicht von der Hand gewiesen werden. 

"Was ich hoffe ist, dass der Papst erstmal eine Arbeitsgruppe oder eine Kommission einrichtet, die dann auch theologische Argumentationen mal auf den Prüfstand stellt und möglichst bis an den Punkt kommt, dass auch tatsächlich die bisherige Lehre - dass Homosexualität in sich ungeordnet ist oder homosexuelle Handlungen speziell oder auch zu Transgeschlechtlichkeit, dass das praktisch auch gegen die Schöpfungsordnung ist - also dass das nochmal auf den Prüfstand gestellt wird und geändert wird." - Dr. Michael Brinkschröder

Eine Gleichstellung mit der sakramentalen Ehe hält er aktuell in der römisch-katholischen Kirche nicht erreichbar und findet es wichtig, sich erstmal auf die Umsetzung der Segensfeiern zu konzentrieren.

Kann die katholische Kirche also tatsächlich queerfreundlich werden?

Die Erfahrungen der letzten 2000 lassen viele daran zweifeln, Michael Brinkschröder sagt aber:

"Auch die Kirche kann sich ändern und die römisch-katholische Kirche ist gerade dabei - zumindest in Deutschland und auch in Westeuropa, würde ich sagen - insgesamt doch sehr deutlich umzudenken und über eine neue Haltung zu Homosexualität, zu Transgeschlechtlichkeit nachzudenken und auch dementsprechend eine neue Pastoral, eine neue Praxis, neue Umgangsweisen zu lernen." - Dr. Michael Brinkschröder

Und weiter:

"Es geht eben darum, dass wir lernen, mit den Menschen gut umzugehen und zusammenzuarbeiten und sie anzunehmen und zu unterstützen, so gut es die Kirche kann." - Dr. Michael Brinkschröder

Dr. Michael Brinkschröder ist auf jeden Fall sehr zuversichtlich, denn solche Themen werden aktuell endlich nicht mehr tabuisiert, wodurch Veränderungsprozesse an Dynamik gewinnen können. 

"Wir sind noch lange nicht am Ziel, da gibt es ganz viele Baustellen, die noch zu bearbeiten sind, aber dadurch, dass es jetzt wirklich konkret und praktisch wird, wird es auch interessant. Und es gibt inzwischen in Deutschland in 22 von 27 Bistümern zum Beispiel beauftragte für queere Pastorale, also da tut sich auch in dem Bereich, den man vielleicht so erstmal gar nicht wahrnimmt, weil er nicht in den Medien erscheint, in der Kirche als Organisation eine ganze Menge." - Dr. Michael Brinkschröder

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