Meinung: Alles nur noch Guilty Pleasure

Meinung: Alles nur noch Guilty Pleasure

Warum wir öfter mal zu unserem Geschmack stehen sollten

Pizza Hawaii, GZSZ, Helene Fischer? Alles nur noch Guilty Pleasure. Ganz schön einfach, oder? Dabei wär's manchmal gar nicht so schlecht, auch mal zu sich und den eigenen Vorlieben zu stehen.

Das schuldige Vergnügen

Ein Guilty Pleasure – auf Deutsch: ein schuldiges Vergnügen - kann so ziemlich alles sein: Filme, Serien, Musik, Essen, Hobby, ... Dabei klingt "schuldiges Vergnügen" doch wesentlich verbotener und gefährlicher als eine Scheibe Ananas auf einer Pizza.

Aber es geht um das Gefühl, etwas heimlich zu genießen, obwohl man weiß, dass es "falsch" ist. Und zwar meist nicht etwa aus gesundheitlichen oder strafrechtlichen Gründen, sondern weil es von der Mehrheit der Menschen (oder zumindest vom eigenen sozialen Umfeld) als absolut uncool und peinlich angesehen wird. Denn wenn es nach dem Begriff "Guilty Pleasure" geht, sollten wir uns für all das, was wir mögen, obwohl es vom Mainstream abweicht, schämen und schuldig fühlen.

Klar ist es inzwischen auch humoristisch angesehen, mit dem eigenen Guilty Pleasure hausieren zu gehen – zumindest wenn es so edgy ist wie zum Beispiel "Bares für Rares" - trotzdem versteckt man sich damit hinter einem Begriff, der aussagt, dass es sowieso nicht ganz ernst gemeint ist und man auf jeden Fall für diese Vorliebe nicht angegriffen werden kann. Also selbst wenn das Guilty Pleasure mal an's Tageslicht kommen sollte: Nicht schlimm! Der Begriff ist quasi ein Schutzschild. 

Und damit ist der Ausdruck gleich auf zwei Ebenen problematisch: Man steht erstens nicht für die eigenen Vorlieben ein und kann zweitens auch nicht für die Dinge "belangt" werden, die nun mal wirklich kritisch zu hinterfragen wären. 

Eine Entschuldigung für den eigenen Geschmack

Aber warum sollte ich mich überhaupt schämen und schuldig fühlen, wenn ich unter der Dusche gerne Taylor Swift singe, zum Vorglühen Brittney Spears höre oder mir auf dem Weg zur Arbeit am liebsten die Backstreet Boys gönne? Weil es von meinem eigentlichen Musikgeschmack abweicht oder es die Allgemeinheit als "schlecht" empfindet? Dabei leben wir doch eigentlich zu einer Zeit, in der Selbstverwirklichung und Individualismus großgeschrieben werden. 


Außerdem werten wir Teile unserer Persönlichkeit ab, wenn wir sie als Guilty Pleasure abstempeln. Warum sollte denn auch die Seite von mir, die gerne in Arthouse Kinos geht und Foo Fighters zu schätzen weiß, mehr Respekt verdient haben als die Seite, die gerne die Charts rauf und runter hört und Daily Soaps schaut. Macht mich ein konträrer Musikgeschmack und meine Liebe zu seichter Unterhaltung zu einem schlechteren Menschen? Und ist nicht sowieso jedes Guilty Pleasure der "wahre" Geschmack von jemand anderem, den ich damit auch noch gleichzeitig abwerte?

Natürlich kann seichte Unterhaltung und Charts-Musik auch eine Möglichkeit sein, sich einfach berieseln zu lassen und abzuschalten - Brain Candy eben. Das ist dann vielleicht tatsächlich nicht zu 100 Prozent der eigene Geschmack, sondern mehr Kopf ausschalten - aber trotzdem: Wenn ich das eben bei schlechten Serien besser entspannen kann, als bei einem ausgelassenen Waldspaziergang, muss ich mich dafür noch lange nicht schuldig fühlen. 

Moralisch fragwürdiger Geschmack

Ein Guilty Pleasure kann aber natürlich auch aus moralischen Gründen zu einem werden - da kommen wir zu Problem Nummer zwei: Für ein Guilty Pleasure kann niemand belangt werden.

Denn wenn es heißt "Germany’s Next Topmodel ist mein Guilty Pleasure", braucht man über den negativen Einfluss der Sendung auf junge Frauen gar nicht mehr sprechen. Durch den Begriff wird kein Raum für Diskussionen gelassen - Man weiß ja schon, dass der Geschmack fragwürdig ist, aber es ist ja schließlich auch nur ein Guilty Pleasure. Auch in der Musik gibt es Künstler*innen, die zurecht als schuldiges Vergnügen bezeichnet werden können, wie zum Beispiel Michael Jackson oder Ace of Base. Aber mit dem Überbegriff Guilty Pleasure wird der Sachverhalt so runtergespielt, dass überhaupt nicht mehr diskutiert werden kann und darf.

So werden Diskussionen über Moral und die Frage über Trennung von Kunst und Künstler*in durch einen inflationären benutzten Begriff bereits im Keim erstickt.



Also vielleicht sollten wir doch einfach mal laut und selbstbewusst Taylor Swift mitsingen und uns den Diskussionen über fragwürdige Vorlieben auch mal ernsthaft stellen und uns nicht immer hinter der Bezeichnung Guilty Pleasure verstecken.

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