Mütter nehmen immer noch den Großteil der Elternzeit - das ist ein Problem, wie unsere Autorin findet, weil gleichberechtigte Elternschaft ein wichtiges Instrument für mehr Gleichberechtigung generell wäre.
Ein paar Disclaimer vorab
Es geht mir nicht darum, einzelne Personen anzukacken. Es geht um den Durchschnitt. Immerhin ist mir bewusst, dass es immer Ausnahmen gibt, die bereits alles tun, was in ihrer Macht steht und mir ist auch bewusst, dass meine utopische Vorstellung - die einer gleichberechtigten Elternschaft - für manche Menschen einfach nicht möglich ist. Denn diese Vorstellung setzt voraus, dass es zum einen zwei Elternteile gibt, dass diese jeweils auch einen sicheren Job haben, gemeinsam monatlich über die Runden kommen und dass physische sowie psychische Voraussetzungen bestehen.Meine Meinung stütze ich auf Statistiken und Untersuchen, die ich im Text an den entsprechenden Stellen verlinkt habe.
Elternschaft: Der Gleichberechtigungs-Abfuck
Nichts in meinem Leben hat mich so sehr überrascht wie die Elternschaft. Ab dem Moment, in dem ich wusste, dass ich schwanger bin, war ich ständig verblüfft. Klar, also in erster Linie mal über den Prozess, ein Kind im Bauch heranzuziehen - das ist schon abgefahren. Aber dann - nach der Geburt - war ich vor allem verblüfft darüber, was andere Menschen denken, was meine angeblichen Aufgaben als Mutter seien. Wofür ich alles (allein-) verantwortlich wäre. Ich war verblüfft darüber, wie man einerseits überhäuft wird mit Aufgaben, andererseits einem als Mutter alle möglichen Sachen nicht mehr zugetraut werden. Zu arbeiten, zum Beispiel. Oder wegzugehen. Ich müsse mich ja jetzt schließlich in erster Linie um mein Kind kümmern.Auf der anderen Seite hat es mich verblüfft, wie Väter wahrgenommen werden. Die, die mehr als der Durchschnitt machen (aber immer noch nicht die faire Hälfte). Ich war verblüfft über den Heldenepos, in dem über diese Männer berichtet wird. Weil sie sich einen ganzen Monat statt zwei Wochen Elternzeit nehmen. Weil sie mal die Windel wechseln. Oder Mittwochvormittags auf den Spielplatz gehen. Oder mal was kochen.
Um das Ganze einmal in zwei kleine Themenhäufchen einzuteilen: Ich war einerseits verblüfft über die unterschiedliche Wahrnehmung über Mütter und Väter. Und dann war ich ganz generell noch verblüfft, wie wenig Gleichberechtigung generell zwischen Mann und Frau existiert. Obwohl es sich bei Eltern eigentlich um ein Paar handelt, das sich gegenseitig unterstützen sollte, wie es nur geht. Und dazu zählt meiner Meinung nach nicht nur, sich um seine eigene Brut zu kümmern, sondern auch, gegen Diskriminierung von Frauen beziehungsweise Müttern zu kämpfen und - ganz wichtig - die andere Person davor zu bewahren, schnurstracks in die Altersarmut reinzurasseln. Das sind alles Dinge, die von einer gleichberechtigten Elternschaft abhängen. Aber lass mich das näher ausführen.
Fakten
Laut Zahlen des statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2021 waren 45,1 Prozent aller Mütter mit einem Kind, das maximal drei Jahre alt ist, in Elternzeit. Von den Vätern wiederum waren es lediglich 2,6 Prozent. Auch die Länge der Elternzeit unterscheidet sich zwischen Müttern und Vätern maßgeblich:2020 nahmen sich Mütter eine durchschnittliche Elternzeit von 14,5 Monaten. Väter kommen im Durchschnitt lediglich auf 3,7 Monate.
Der Teufelskreis einer nicht gleichberechtigten Elternschaft
Wenn eine Mehrzahl der Frauen zum Großteil die Verantwortung über die Elternschaft übernimmt, wird eine uralte, knarrende Mühle der Diskriminierung immer weiter und weiter betrieben, die sich in verschiedensten Aspekten äußert. Zum Beispiel...Diskriminierung bei Jobbewerbungen
Sobald Frauen die 30 knacken, kommen sie oft in die unangenehme Lage bei Bewerbungsgesprächen, auf ihre Reproduktionspläne angesprochen zu werden: "Haben Sie vor, (demnächst) Kinder zu bekommen?" Eigentlich ist das nicht rechtens, Arbeitgeber*innen machen es trotzdem. "Verstehen Sie doch unsere Lage, wir müssen damit rechnen und umgehen, wenn Sie plötzlich zwei Jahre Elternzeit nehmen", wird dann gerne mal eingeworfen. Wenn Frauen dann schon Kinder haben wiederum geht es schnell darum: "Wie können Sie Arbeit und Familie miteinander vereinbaren?" oder "Wer passt auf das Kind auf, wenn es krank ist?" Das sind Fragen, mit denen Männer sehr, sehr, sehr selten bis eigentlich gar nicht konfrontiert werden. Denn auch im 21. Jahrhundert herrscht im Kopf das Bild: Um das Kind kümmert sich die Frau. Und dieses Bild wird immer wieder manifestiert, wenn es tatsächlich in erster Linie die Frau ist, die sich den Großteil der Elternzeit nimmt. Die immer Zuhause bleiben muss, wenn das Kind krank ist und nicht in die Tagesbetreuung kann.Wenn der Vater seine Verantwortung nicht wahrnimmt, lässt er die Frau damit im Stich und sorgt dafür, dass sich Diskriminierung fortsetzt.
Diskriminierung beim Gehalt
Die Diskriminierung von Frauen im Job beschränkt sich allerdings nicht nur auf Bewerbungsprozesse, sondern zieht sich in die Anstellung hinein. So kommt an dieser Stelle auch die Gender Pay Gap ins Spiel, also die Lohnunterschiede von Männern und Frauen. In Deutschland liegt der unbereinigte Wert bei 18 Prozent. Das heißt, dass branchen- und positionsunabhängig Frauen 18 Prozent weniger als Männer verdienen. Das liegt natürlich auch daran, dass Frauen im Vergleich zu Männern öfter weniger gut bezahlte Jobs annehmen und häufiger in Teilzeit arbeiten (müssen). Der bereinigte Wert liegt immer noch um die sechs Prozent. Hierzu werden Positionen und Branchen direkt miteinander verglichen. Klar, sechs Prozent wirken weit weniger drastisch als die 18 Prozent. Wäre aber nicht schon ein Prozent eine Frechheit im Sinne der angeblichen Gleichberechtigung, die zwischen Männern und Frauen besteht? Doch auch hier werden dann wieder Aussagen wie: "Ja, aber Frauen können ja schwanger werden und sind dann erstmal für ein paar Jahre raus" oder: "Frauen müssen ja auch häufiger Zuhause bleiben, wenn das Kind krank ist". Das ist doch scheiße. Und obendrein total veraltet.Wer in einer Partnerschaft ein Kind bekommt, sollte auch die gemeinsame Verantwortung tragen. Dazu passend finde ich die sehr treffende Grafik von Katja Berlin:
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Der ganze andere Kram aka: unbezahlte Care-Arbeit
Während Frauen einerseits also für viele Aufgaben als weniger würdig empfunden werden, werden sie andererseits zugeschissen mit zusätzlichem Kleinstkram - der sich läppert. So ist es in den meisten Beziehungen die Frau, die sich um die Organisation der Kinderbetreuung kümmern muss. Die beispielsweise Aufgaben in der Elterninitiative übernehmen soll. Die automatisch als erste angerufen wird, wenn irgendwas in der Kita, Kindergarten oder der Schule nicht stimmt. Bevor der Vater in seinem WiChTiGeN Job gestört wird, wird eher bei der Mutter Sturm geklingelt. Außerdem ist sie es, die für Kindergeburtstage irgendwas zusammenbacken oder die Weihnachtsgeschenke und das Weihnachtskartenschreiben für die ganze Familie übernehmen muss. Es ist meistens die Frau, die nach der Arbeit noch Essen kochen und die Wohnung in Schuss halten muss. Auch das ist mit empirischen Zahlen gestützt: Frauen übernehmen täglich 5,18 Stunden unbezahlte Care-Arbeit (dazu zählt unter anderem eben Kindererziehung, Haushalt oder Krankenpflege). Bei Männern sind es durchschnittlich 2,31 Stunden. Würde diese unbezahlte Care-Arbeit allein schon mit Mindestlohn (9,60 Euro) entlohnt werden, würde bei Frauen ein zusätzliches Monatsgehalt von 1.392 Euro rausspringen.Altersarmut
Altersarmut ist weiblich. Auch das hängt damit zusammen, dass viele Frauen, die Mütter werden, keine 40 Stunden mehr pro Woche arbeiten, sondern vermehrt zum Teilzeitmodell wechseln. Hier greift nicht nur die generelle Gender Pay Gap, sondern eine sehr simple Kausalkette: Weniger Stunden bedeutet weniger Geld, weniger Geld bedeutet weniger Rentensteuer, weniger Rentensteuer bedeutet weniger Rente. Die Auswirkungen sind mittlerweile heftig: Frauen mit Kindern verdienen (in Westdeutschland) im Laufe ihres Lebens im Schnitt 62 Prozent weniger als Männer. In Ostdeutschland sind es immerhin noch 58 Prozent weniger. Dieser Unterschied manifestiert sich im Alter: Deutschlandweit bekommen Frauen 50 Prozent weniger Rente ausgezahlt. Frauen sind also wesentlich stärker von Altersarmut betroffen als Männer.Ein besonders guter Grund also, sich als Elternpaar die Care-Arbeit aufzuteilen, dass beide Teile gleich viel arbeiten können. Gerade Frauen sollten darauf bestehen, denn: Liebe ist unberechenbar. Sich darauf zu verlassen, dass eine Partnerschaft bis zum Tode anhält und die ungleiche Rente insgesamt für beide reichen wird, ist richtig romantisch. Und wow - tatsächlich auch gar nicht mal mehr so unwahrscheinlich, immerhin werden "nur noch" 39,6 Prozent der Ehen geschieden (obwohl die Zahlen der Eheschließungen tatsächlich wieder steigen). Aber komm: Immer noch mehr als ein Drittel. Das Risiko, am Ende mit einer mickrigen Rente für sich selbst sorgen zu müssen, ist immer noch relativ hoch. Schaut einfach jetzt, wo noch alles blumig zwischen euch ist, dass ihr euch die Lohnarbeit so gut aufteilt, dass es im Alter für keine*n von euch brenzlig wird.
(Mögliche) Gründe, warum sich Väter weniger Elternzeit nehmen
Hier kommen wir zu ein paar Fakten, die mich mal wieder arg verblüffen. Denn hier kommt der Väterreport 2021 ins Spiel. Dieser untersucht mittels repräsentativer Bevölkerungsumfragen die Wünsche und Wirklichkeiten von Vätern in Deutschland. Dabei werden krasse Unterschiede deutlich. Zum Beispiel: 45 Prozent der Eltern wünschen sich eine faire Aufteilung der Kinderbetreuung. Die Wirklichkeit ist: Lediglich 17 Prozent der Eltern übernehmen letztlich zu gleichen Teilen die Verantwortung.Warum ist dem so? Nun, ich kann mir vorstellen, dass ein paar der hartnäckigsten Vorurteile und manifestierte Teufelskreise eine große Rolle dabei spielen.
Mythos: "Ein Kind braucht seine Mutter"
Nicht unbedingt. Tatsächlich hat eine Mutter einen kleinen (hormonellen) Vorsprung, der auch noch durch das Stillen gefördert wird. Väter können diesen aber einholen durch intensive Interaktion mit dem Kind. Dazu muss nicht mal eine biologische Bindung bestehen - mittlerweile ist klar, dass sich beispielsweise die Gehirne von schwulen Elternpaaren, die ein Kind adoptieren, verändern und die hormonelle Funktionen einer Mutter übernehmen. Der Oxytocin-Gehalt (ein Hormon, das emotionale Bindungen fördert und auch bekannt ist als Kuschelhormon) von Vätern ist dabei nahezu genauso hoch wie der einer Mutter.Ich weiß, ich weiß, das ist vielleicht jetzt auch für Mütter nicht besonders schön zu hören. Been there, done that: Ich hatte nach der Geburt auch erst mal einen ziemlichen Göttinnenkomplex. Ich hatte die Macht, etwas in meinem Bauch heranzuziehen. Ich habe es mit einer unglaublichen psychischen und physischen Kraft auf die Welt gebracht. Ich konnte es mit eingebauten, perfekt zusammengemischten Milchflaschen selbst ernähren. Ich kann es also wirklich gut verstehen, wenn man dieses Machtgefühl in vollen Zügen genießt. Das ist in gewisser Weise aber auch etwas egoistisch. Außerdem ist Macht ist effizienter, wenn sie aufgeteilt wird. Außerdem stärkt es den Zusammenhalt der Familie, wenn Verantwortungen verteilt werden.
"Der Mann verdient halt mehr / hat den besseren Job / besseren Posten"
Na klar! Hier wären wir wieder bei unserem Teufelskreisdilemma. Männer haben tendenziell die besseren Jobs mit mehr Gehalt und höheren Positionen, weil sie in der Arbeitswelt weniger Hürden aka Diskriminierung bewältigen müssen. Hinzu kommt der Similar-to-me-Effekt. Empirisch bewiesen stellen Menschen in Machtpositionen lieber Menschen ein, die ihnen ähnlich sind. Männer in gut bezahlten Jobs dominieren und sorgen dafür, dass diese Dominanz bestehen bleibt, weil sie (unbewusst) eher einen anderen Mann als eine Frau einstellen.Allerdings will ich es nicht leugnen, dass Väter, die mehr als einen Monat Elternzeit nehmen, massiv unter Druck gesetzt werden, diese Entscheidung zu überdenken. Dabei geht es zum Beispiel um Projektentzug, Positionsabstieg oder sogar drohende Kündigung. Aber! Du! Hast! Rechte! Diese ganzen Mittel, Väter zu erpressen, sind illegal. Du kannst klagen - mit einer sehr wahrscheinlichen Erfolgsquote.
Gut, ich verstehe es, dass du dann vielleicht weniger Lust hast, in diesen Job nach der Elternzeit zurückzukehren. Ein bisschen Idealismus wäre hier angebracht: Du gehst als Pionier voran und sorgst für eine etwas gerechtere Welt. Du tust es nicht nur für dich, du tust es für uns alle! Außerdem: So ein Kackunternehmen, das dich von deiner Familie fernhalten will, ist doch keines, für das man gerne arbeitet?
Zu guter Letzt auch noch ein kleiner heißer Finanztipp: Wer mehr verdient, bekommt per se auch mehr Elterngeld. Das ist Geld vom Staat! Und wer nimmt nicht gerne so viel Gratiszeug (das einem zusteht) wie möglich in Anspruch?
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