Während der Lockdown-Monate haben sich Teile der Gesellschaft tatsächlich - teilweise das erste Mal - Gedanken über psychische Krankheiten gemacht. Der Lockdown ist weg - psychische Krankheiten gibt's immer noch.
Informationen und Adressen rund um das Thema Depression sowie einen Selbsttest bietet die Deutsche Depressionshilfe. Außerdem gibt es das deutschlandweite kostenfreie Info-Telefon: 0800 33 44 5 33.
Die Stigmatisierung
Durch Corona sind psychische Krankheiten eine Zeit lang mehr in den öffentlichen Fokus gerückt, die Stigmatisierung - und vor allem die Angst vor Stigmatisierung - verschwindet aber nicht über Nacht.Hier findest du übrigens einen weiteren Artikel zum Thema "Tabubruch Depression"
Vielen Betroffenen fällt es nicht leicht, offen über die eigene psychische Erkrankung zu sprechen
Und das verstehe ich. Wenn ich zur Therapie gegangen bin, hab ich auch gesagt, dass ich noch "einen Termin" habe und meine Medikamentenschachteln hab ich in der Vergangenheit besser versteckt als meine Menstruationstasse. Beides sollte schließlich niemand sehen, denn was bitte ist noch entblößender als zwei Gegenstände die "JA ich blute aus meiner Vagina" und "Hallo, ich habe immer wieder mit Depressionen und einer Angststörung zu kämpfen" schreien. Aber mal im Ernst:Depression ist eine Volkskrankheit
Natürlich gibt es Veranlagungen und Erfahrungen, die diese Krankheit begünstigen, Frauen zum Beispiel erkranken zwei- bis dreimal so häufig wie Männer, aber trotzdem: Treffen kann's eigentlich jede*n. Immerhin erkrankt jeder fünfte Mensch in Deutschland im Laufe seines Lebens an Depressionen, egal welcher Job, welches Alter, welche Herkunft. Da kann einfach keine*r was dafür. Also wofür wird eigentlich gejudged? Und überhaupt, WAS genau wird eigentlich gejudged?Eine Depression sagt ja rein gar nichts über einen Menschen aus und die eine Depression gibt's ja eh sowieso nicht. Depression sieht bei jedem Menschen anders aus und bei vielen ist sie von außen auch überhaupt nicht sichtbar. Also alles, was bei Nicht-Betroffenen passieren sollte, wenn sie erfahren, dass jemand an Depressionen leidet, ist ein Aufflammen von Verständnis und nicht von Vorurteilen und Stigmatisierungen. Dann müsste auch niemand mehr Angst davor haben, offen darüber zu sprechen.
Ein Problem gibt's dann aber trotzdem noch:
Selbst wenn ich keine Angst vor negativen Reaktionen habe - weil ich zum Beispiel weiß, dass mein Umfeld hinter mir steht - kann es passieren, dass ich mich für mich und meine Erkrankung schäme. Nicht mal unbedingt vor anderen, sondern vielleicht auch einfach nur beim Blick in den Spiegel. Denn Scham taucht oft in den Momenten auf, in denen wir uns schwach fühlen - und wenn Depression eines richtig gut kann, dann ist es Betroffene dazu zu bringen, sich schwach zu fühlen.Dabei zeigt jede*r, der*die den Alltag mit Depressionen (und selbstverständlich auch allen anderen (psychischen) Krankheiten meistert), jeden Tag auf's Neue unfassbar viel Stärke. Und Mut! Denn was viele überhaupt nicht wissen: Depression kommt selten allein. Viele Menschen mit Depressionen entwickeln eine Angststörung und Menschen mit Angststörung leiden häufig an Depressionen. Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Doppelgewinn.
Hier findest du ein Interview mit Prof. Dr. Jürgen Hoyer über soziale Ängste.
Menschen mit Depressionen sind also keinesfalls schwach, sondern krass stark
Und das vergessen wir alle leider viel zu oft. Erst wenn ich wirklich ganz bewusst reflektiere, was ich tatsächlich alles schon erlebt und überlebt habe, bin ich wirklich beeindruckt davon, wie viel Stärke und Mut eben doch unter all meinen Depressionen und Ängsten steckt. Wenn du also als Häufchen Elend in den Spiegel schaust, schäm dich bitte nicht, sondern überleg mal, wie viel der Mensch da im Spiegel eigentlich schon gemeistert hat - trotz und mit Depression.
Und weil bald wieder Winter ist - und der Winter wiederum eigentlich auch nur ein abgeschwächter Lockdown - kommen hier meine Learnings aus den Corona-Monaten:
Obwohl viele Menschen denken, Zuhause bleiben ist perfekt für jede*n mit Ängsten und Depressionen (vor allem wahrscheinlich die Betroffenen selbst – ich sprech da aus Erfahrung), ist im Lockdown bei mir vor allem eins passiert: Ängste mussten nicht mehr überwunden werden und haben sich dadurch vermehrt und manifestiert.Ende 2020 hieß es, dass es seit der Pandemie nicht unbedingt mehr Menschen gibt, die an Depressionen erkrankt sind, aber dass die Erkrankten einfach mehr zu kämpfen haben und sich bereits bestehende Depressionen und Ängste verstärkt haben. Und das macht Sinn.
Immerhin musste ich eigentlich ein Jahr lang nicht raus
Ich hab daheim gearbeitet, ich hab daheim studiert, ich hab mir Essen bestellt (man musste ja schließlich die lokale Gastronomie unterstützen!!) und um mich und die Lieferant*innen zu schützen, wurde das Essen dann auch noch kontaktlos vor die Tür gestellt. Am Wochenende hab ich mich via Zoom mit Freund*innen verabredet, um gemeinsam zu trinken und zu spielen, Sport hab ich alleine auf meine Yoga-Matte im Wohnzimmer gemacht und alle paar Wochen hab ich mir im Bad sogar selber die Haarspitzen geschnitten. Wie schon gesagt: Ich musste ein Jahr lang nicht raus.Und das heißt nicht nur, dass Strukturen und wichtige Kontakte im Alltag gefehlt haben, sondern auch, dass ich in meiner geliebten Komfortzone gefangen war und ich mich meinen täglichen Ängsten nicht mehr stellen musste. Oder besser gesagt: Nicht hätte müssen.
Denn ich hab irgendwann gemerkt, dass ich gegensteuern muss. Das hieß in meinem Fall, mal zum Bäcker oder zur Post zu gehen - immerhin! Das war gut und wichtig, denn so sehr ich es auch liebe, daheim zu sein, weiß ich auch, wie leicht es Depressionen dort gemacht wird, sich auszubreiten.
Deswegen nehme ich mir für die kommenden Wintermonate vor, wieder eine gute Mischung zu finden zwischen eingekuschelt auf der Couch liegen und ab und an mutig und stark sein und das Haus verlassen. Und regelmäßig Vitamin D zu nehmen - das ist wichtig, egal ob mit oder ohne Depressionen.
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