Wie die Arbeit als Musiktherapeutin aussieht und warum sie noch immer nicht überall anerkannt wird, darüber spricht Birgit van Beuningen im Interview.
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01.06.2022
Musik lügt nicht
Musiktherapeutin Birgit van Beuningen im Interview bei egoFM Max
Dass Musik gegen psychische Krankheiten wie Angsstörungen helfen kann, das haben Forscher*innen bereits mit mehreren Studien belegt. Aber auch bei anderen Erkrankungen hilft Musik – oft mithilfe von Musiktherapie. Birgit van Beuningen ist neurologische Musiktherapeutin. Mit welchen Methoden und Instrumenten sie ihren Patient*innen hilft und wie es sich anfühlt, Menschen aus dem Wachkoma zu helfen, erzählt sie egoFM Max.
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Musik lügt nichtMusiktherapeutin Birgit van Beuningen im Interview
Bild: Birgit van Beuningen
Musik macht mehr als nur glücklich
Das sagt Birgit van Beuningen. Sie lässt Gefühle frei, ob beim Joggen, im dunklen Keller, bei einer Trauerfeier oder auf der Arbeit. Musik ist für uns Alltag, denn im Grunde wachsen wir mit Musik auf."Wir kennen Musik schon, bevor wir geboren wurden. Durch den Herzschlag der Mutter, durch den Takt ihres Pulsschlags, […] vielleicht hatten sie auch eine Mutter, die gesungen hat, während sie schwanger war. Deswegen zieht es uns da auch immer wieder hin." – Birgit van Beuningen
Auch Birgit van Beuningen hat es schon immer zur Musik hingezogen.
Früher spielte ihre Mutter ihr immer auf der Mundharmonika vor, dann bastelte sie sich selbst aus einer alten Zigarrenschachtel eine Gitarre und bekam schließlich eine echte. Über ihr Studium mit Musik kam sie dann irgendwann zur Musiktherapie. Sie hat 20 Jahre auf einer Wachkomastation gearbeitet und mittlerweile auch ihre eigene Praxis. Dort kommen alle möglichen Menschen zu ihr, ob mit Depressionen, Demenz, Ängsten oder Autismus-Spektrum-Störungen. Manchmal kommt sie aber auch selbst zu den Menschen, etwa zu denjenigen, die im Wachkoma liegen oder frisch verunfallt sind. Dann ist sie gefordert, mit den Patient*innen eine Kommunikation herzustellen.Musik vernetzt beide Gehirnhälften
In der interaktiven Zusammenarbeit mit Logopädie, Physio- und Ergotherapie auf Wachkoma- und Intensivstationen habe sie gemerkt, dass es für alle Formen eine Bereicherung war, wenn Birgit als Musiktherapeutin dabei war. Denn bei Musik, erzählt sie, vernetzen sich beide Gehirnhälften. Dadurch findet mehr Aktion statt. Auch mit der Sprache sei es leichter, sich ein Wort durch klatschen, schnipsen oder einen Rhythmus zu merken.Musik drückt Bindungen und Beziehungen aus
Auch wenn wir nicht mehr in der Lage sind zu sprechen, helfe Musik, Brücken zu bauen. Durch Musik könne man Sprache wiederaufbauen oder Beziehungen knüpfen, auch wenn man eigentlich durch neurologische Erkrankungen oder Alterserkrankungen nicht mehr dazu in der Lage ist. Deshalb, so Birgit van Beuningen, sei Musiktherapie auch in anderen Therapieformen ein übergreifendes Thema.
Hilfe mit Instrumenten, der Stimme und Berührung
Welche Musik die Person eigentlich hört, spielt anfangs gar nicht so eine große Rolle. Über das Ansingen versucht die Musiktherapeutin, eine Verbindung zu den Patient*innen aufzubauen. Sie schaut dabei, wie der Körper reagiert, ob sich Härchen aufstellen, der Blick starr oder der Körper angespannt ist. Man müsse eine feine Sensibilität haben, um zu erspüren, auf welchem Kanal man die Menschen erreichen kann. Dabei hat sie zwar auch Instrumente dabei, arbeitet aber auch viel mit ihrer Stimme."Und auch Berührung spielt immer eine Rolle […] an bestimmten Stellen, zum Beispiel an der Schulter. Ich arbeite sehr viel mit Körperinstrumenten: Klangliege, Körpertambura. Das heißt, der ganze Körper wird angeregt und es ist sehr interessant zu beobachten, dass auch Menschen, die gelähmt sind oder die eben im Wachkoma sind, plötzlich anfangen, sich zu bewegen oder sich entspannen oder sich zuwenden können und ihre Konzentrationsfähigkeit steigert sich." – Birgit van Beuningen
Improvisation als entscheidender Weg
Vor allem bei Wachkomapatient*innen sei das eine überwältigende Erfahrung, wenn man die kleinen Schritte sehen kann, die die Menschen machen und zum Beispiel der Finger sich Richtung Instrument bewegt und die Seite gezupft wird oder Birgit nicht mit leerem Blick anschauen, sondern vielleicht sogar lächeln. Ein wichtiges Tool, mit dem sie die Verbindung zu Patient*innen herstellt, ist die Improvisation und damit die Begegnung auf Instrumenten."Über diese Improvisation [sind] ganz viele Elemente zu hören. [...] Ist der Mensch traurig oder ist er angespannt oder aggressiv, nervös. Das alles kann man in der Musik hören. Die Musik lügt nicht und das ist die Sprache der Seele." – Birgit van Beuningen
Anerkennung von Musiktherapie
Viele kritisieren Musiktherapie als esoterischen Quatsch oder bezeichnen sie als reinen Zauber. Vor allem von Krankenkassen wird diese Therapieform oft nicht anerkannt und die Kosten nur selten übernommen. Und das, obwohl es zahlreiche Studien gibt, die die Wirkung von Musiktherapie belegen, wie zum Beispiel, dass sie die Symptomatik von Menschen auf dem Autismus-Spektrum verbessern kann. Laut Birgit van Beuningen liegt das an der Pharmaindustrie, die eine große Rolle spielt und die Fäden in der Hand hat, wenn es um die Gelder geht. Sie fände es wichtig, wenn die Therapieformen sich vereinigen würden und miteinander am Menschen arbeiten, anstatt "dass jeder vor sich hin wurschtelt.""Ich würde mir wünschen, dass es wirklich anerkannt ist, dass die vielen Menschen, die bei mir […] eine Therapie machen wollen, dass ich denen sagen kann: Ja, ihr kriegt das von der Kasse bezahlt. […] Ich würde mir wünschen, dass das so anerkannt ist, weil es so vielen Menschen hilft, wir haben so viele Menschen mit Demenz, […] depressiven Störungen oder Ängsten. […] Ich würde mir wünschen, dass die Musiktherapie da mehr eingreifen darf und wir Musiktherapeuten flächendeckend vielleicht sogar in jeder Praxis eingesetzt werden." – Birgit van Beuningen
Denn anders als bei anderen Medikamenten, sagt Birgit van Beuningen, habe Musiktherapie keine Nebenwirkungen in dem Sinne. Im Gegenteil: Musiktherapie hat positive Nachwirkung. Musik schwingt immer mit.
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