Unsere Autorin hat die meiste Zeit ihres Aufwachsens im Dorf auf dem Land verbracht. Heute denkt die Wahlstädterin: Wäre ja gar nicht möglich gewesen, dort richtig nachhaltig zu leben.
"Was, du hast dein Leben noch nicht komplett umgestellt?"
Kennst du diese Menschen, die irgendeinen neuen Lebenssinn für sich entdecken und dann von sich selbst auf andere projizieren? Genau so jemand bin ich. Nachdem ich mich vor Jahren immer mehr für Nachhaltigkeit interessiert und in allen Bereichen meines Lebens etwas umgestellt habe, wurde ich irgendwann sauer auf die, die das nicht taten. Und super judgy: "Was, du fährst noch Auto?", "Was, du reist von München nach Hamburg mit dem Flugzeug?", "Was, du bestellst einmal wöchentlich im Online-Shop und schickst dann auch wieder Zeug zurück?" - "OH. MEIN. GOTT!" - Ja, ich weiß, keine gute Eigenschaft. Was dagegen geholfen hat: einfach mal reflektieren.Das Narrativ der Städter*innen
Allerdings sehe ich dieses Verhalten auch an anderen - gerade wenn es um Nachhaltigkeit geht und gerade an Städter*innen. Die scheinen nämlich ganz gerne mal zu vergessen, welche Privilegien sie als jene so haben und fallen gerne in das Narrativ:"Alle Menschen können nachhaltiger leben - wenn sie nur wöllten".
Klar, alle Menschen, die einfach so ihr Auto verticken und stattdessen aufs Rad springen oder alle paar Minuten ein öffentliches Verkehrsmittel erwischen können. Oder alle Menschen, die einen Supermarkt in wenigen Gehminuten erreichen können. Kurz: Klar, alle Menschen, die die Möglichkeiten haben, haben die Möglichkeit. Aber: Nicht alle Menschen haben die Möglichkeit.Ich denke zurück an meine Dorfzeit
Hätte ich dort, in einem unter 1.000 Einwohner*innendorf mir nichts, dir nichts von Null auf 100 zum Öko mutieren können? Gehen wir das einmal durch...Wohnen
In den Städten dominieren große Wohnhäuser, in denen gleich viel mehr Menschen auf viel weniger Platz wohnen, als auf dem Land, wo mehr Leute ein Haus mit eigenem Garten besitzen. Mehr Wohnraum führt automatisch zu einem höheren ökologischen Fußabdruck. Immerhin muss mehr geheizt werden, es wird mehr Wasser verbraucht (beispielsweise zum Gartengießen) und der Stromkonsum ist auch höher.Einkaufsmöglichkeiten
Je weiter man aus der Stadt rausfährt, desto größer werden die Supermärkte. Das ist ein physikalisches Gesetz! Dementsprechend einfacher ist es dort auch oft, abgefahrene vegane Ersatzprodukte zu finden, für die in den meisten Popelsupermärkten in der Stadt einfach kein Platz ist. Aber diese riesigen Supermärkte gibt es nicht in jedem kleinen Dorf, sondern meistens erst im nächstgrößeren oder in der nächsten kleinen Stadt. In meinem Dörflein zum Beispiel gab und gibt es heute noch keinen Supermarkt. Es gab mal einen kleinen Kramerladen (wo man für 5 Pfennig ein leckeres Zuckerschnürchen bekommen hat). Einmal in der Woche sind wir 13 Kilometer für einen Großeinkauf gefahren. Da musste aber wirklich an alles gedacht werden, denn "einfach so nochmal in den Supermarkt gehen", wie es in der Stadt mal eben so geht, is nich. Genauso wenig hätte ich auf dem Dorf einfach so die Möglichkeit gehabt, im Biosupermarkt einzukaufen. Mittlerweile gibt es zwar einen - aber selbst der ist fünf Kilometer entfernt. Um dort regelmäßig einzukaufen, bräuchte ich also mindestens ein Auto, ein E-Bike, richtig starke Waden und vor allem: Zeit.Ähnlich ist es, wenn es ums Klamottenshoppen geht. In der Stadt habe ich die freie Wahl, ob ich in einen der vielen trendigen Secondhand-Läden gehe oder ich mir etwas Neues gönne - aber natürlich aus dem Fairtrade-Bio-Pop-Up-Modeladen. Auf dem Land? Meh. Die nächste Shoppingmeile in der ersten kleineren Stadt bietet eher Läden für Ü80 - die sich inhaltlich von den dortigen Secondhand-Läden dann nicht mal unterscheiden lassen können. Wenn ich also flotte Klamotten will und keine Zeit habe, in die Großstadt zu düsen, muss ich sie mir bestellen.
Mobilität
Während in der Stadt viele gar kein eigenes Auto besitzen, ist man im Dorf auf dem Land geradezu gestrandet ohne. Den Bus nehmen? Klar, ich schau mal, ob heute überhaupt einer fährt. Wenn ich damals den Bus in der Früh in das größere Dorf, in dem ich zur Schule gegangen bin, verpasst habe, musste mich meine Mama fahren. Dieser Tweet bringt es einfach auf den Punkt:Großstadt
— Nicht Chevy Chase (@DrWaumiau) October 25, 2017
"Fuck, der nächste Bus kommt erst in 6 min."
Kleinstadt
"Ok, in 30 min kommt der nächste."
Dorf
"Juhuu, heute fährt noch einer!"
Kein Wunder also, dass auch das temporäre 9-Euro-Ticket (über das ich mich als Städterin übertrieben freue) auf dem Land eher semi aufgenommen wird. Der ÖPNV im Dorf ist quasi nicht existent. Wenn die Hinfahrt schon funktioniert, ist es nicht gegeben, dass du genauso zurückkommen kannst. Ein weiteres Problem sind die Routen der Busse: Wo du mit dem Auto vielleicht um die Viertelstunde für den direkten Weg brauchst, fahren Busse auf dem Land oft größere Umwege, um mehrere Dörfer miteinander zu verbinden. Klingt gut, heißt aber letztlich: Es kann sein, dass du bis zu drei Stunden unterwegs bist, um ins Nachbardorf zu gelangen.
Das Leben in der Stadt ist per se nachhaltiger als auf dem Land
Wenn ich das alles nochmal so durchgehe, komme ich auf das Fazit: Ich könnte auf dem Land nicht auf die Weise nachhaltig leben, wie ich es in der Stadt kann. Ich denke, dass es der Mehrheit der Menschen dort so geht. Klar, man kann sich vielleicht Solarpanele auf die Dächer klatschen, Regenwasser auffangen und filtern und wiederverwenden, ein E-Auto kaufen - was weiß ich. Das kostet aber erstmal Geld und ist ein relativ hoher Aufwand und das muss man sich erstmal leisten können.Generell scheinen einige irrtümliche, überromantisierende Ideen über das Landleben rumzukursieren.
"Ja, aber auf dem Land kann man sich ja im Garten eigenes Gemüse anbauen und autark leben" - einer meiner Lieblingswitze. Darüber lache ich manchmal minutenlang - obwohl es eigentlich echt traurig ist. Es zeigt nämlich, wie wenig Ahnung man von circa allem zu haben scheint. Die Rechnung geht nämlich absolut nicht auf. Erstmal: Auch wenn man auf dem Land lebt, verwandelt man sich nicht auf magische Weise in einen Bauern*eine Bäuerin mit allem Wissen, das man über Landwirtschaft und das Anbauen von Gemüse braucht. Zudem verlangt es - wenn du ansatzweise regelmäßig Gemüse essen willst - eine unglaublich gute Planung, wann du was in welcher Menge anbaust, damit du dann in ein paar Wochen dieses und jenes kochen kannst. Ich zum Beispiel hab ja schon Probleme, eine Woche meinen Speiseplan vorzuplanen."Dafür gibt es doch Märkte auf dem Land, wo du Landwirtschaftsprodukte direkt kaufen kannst" - sowas gibt's auch nicht in jedem Dorf. In dem, wo ich gewohnt habe, wurde zum Beispiel auch nur Raps, Mais und Ackergras angebaut. Kein "frisches Gemüse direkt vom Feld". Keine Hühner.
Lösungen müssen her
Wenn wir nachhaltigere Lebensweisen fördern wollen, hilft kein Konsument*innen-Shaming. Wenn wir nachhaltigere Lebensweisen fördern wollen, müssen von oben die Weichen gestellt werden - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Infrastruktur des ÖPNV auf dem Land muss sich verbessern. Es braucht bessere Verbindungen mit den Öffentlichen und es braucht sinnvolle Alternativen zum Auto, um das Mobilitätsproblem zu lösen. Die Ampelkoalition hat das immerhin dezent auf dem Schirm - laut Koalitionsvertrag sollen die Kommunen finanziell unterstützt werden, um beispielsweise mehr Ladestationen für E-Autos oder Carsharing-Angebote anbieten zu können.Bessere Einkaufsmöglichkeiten müssen geschaffen werden. So könnte man zum Beispiel zweimal wöchentlich eine große Supermarktsammelbestellung aller Dorfbewohner*innen organisieren, die dann von einem großen Laster an einen bestimmten Platz gebracht wird, wo das Zeug von den Leuten dann abgeholt werden kann (das habe ich gerade erfunden, also ist auch das vielleicht nicht so ganz durchdacht). Sowas wie nahkauf Boxen wäre ansonsten auch eine gute Lösung.
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