Seit ein paar Wochen beobachten wir in den sozialen Netzwerken eine seltsame Bewegung. Menschen (hauptsächlich Amerikaner) haten gegen den Sporthersteller Nike und zerstören alles, was sie von Nike besitzen: Sneaker werden verbrannt, Socken und T-Shirts zerschnitten oder in die Tonne getreten. Das Ganze wird gefilmt und über Twitter und Facebook geteilt.
Und die Frage, die sich hier bei uns jeder stellt: Was zur Hölle ist da eigentlich los?
Der Auslöser der wilden Zerstörungswut ist eine Werbekampagne
Genauer die neue Kampagne von Nike mit dem Footballspieler Colin Kaepernick. Letzte Woche wurde das erste Foto veröffentlicht:Believe in something, even if it means sacrificing everything. #JustDoIt pic.twitter.com/SRWkMIDdaO
— Colin Kaepernick (@Kaepernick7) 3. September 2018
Die prompte Reaktion im Netz: Auf den sozialen Netzwerken ploppten Posts mit den Hashtags #nikeboycott #burnyournikes und #removetheswoosh auf.
First the @NFL forces me to choose between my favorite sport and my country. I chose country. Then @Nike forces me to choose between my favorite shoes and my country. Since when did the American Flag and the National Anthem become offensive? pic.twitter.com/4CVQdTHUH4
— Sean Clancy (@sclancy79) 3. September 2018
Hey #Nike . I don't wear politics or anything related to #ColinKaepernick I no longer buy 5 to 6 pairs per year of Air Monarch Black size 9 anymore either. Just do it? I did. I set my bunions free. #RemovetheSwoosh pic.twitter.com/68UuGMmIaD
— Twentyoz (@Twentyoz_) 3. September 2018
Aber wieso die Aufregung? Dass sich ein Sportartikel-Gigant einen bekannten Sportler als Gesicht seiner Herbstkampagne holt, ist ja erstmal wenig verwunderlich. Allerdings ist Colin Kaepernick in den USA eine sehr umstrittene Persönlichkeit.
Warum haten so viele gegen Colin Kaepernick?
Kaepernick hatte 2016 Schlagzeilen gemacht, als er bei einem Spiel der National Football League außerhalb des Spielfelds sitzen geblieben war, während die amerikanische Nationalhymne gespielt wurde. Für ihn ein Zeichen des Protests gegen Rassismus und Polizeitgewalt gegen Schwarze in Amerika."I am not going to stand up to show pride in a flag for a country that oppresses black people and people of color", erklärte er später die Aktion, für die er nicht nur gefeiert wurde.
Auch als es nicht bei einem Mal blieb: Bei späteren Spielen saß er nicht, sondern kniete Colin Kaepernick am Spielfeldrand. Damit verärgerte er eine Menge Leute, die auffällig oft weiß und wohl eher dem konservativen politischen Spektrum zuzuordnen waren. Eine der lautesten kritischen Stimmen gegen Kaepernick damals war – richtig – Schreihals und zu dem Zeitpunkt noch Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Er war einer der ersten, der Kaepernick als unpatriotisch und respektlos gegenüber der amerikanischen Flagge bezeichnete. Und gegenüber denen, die ihr Leben für Amerika riskieren.
Bis heute haben Footballspieler aus unterschiedlichen Mannschaften das Zeichen des Protests von Colin Kaepernick übernommen.
Aber eben nicht aus Respektlosigkeit gegenüber Amerika, sondern um auf ein Diskriminierungsproblem hinzuweisen, das das Land bis heute hat.
My Brothers @kstills and @ithinkisee12 continue to show their unwavering strength by fighting for the oppressed! They have not backed down, even when attacked and intimidated. Their courage will move the world forward!
— Colin Kaepernick (@Kaepernick7) 9. September 2018
“Love is at the root of our resistance!”✊🏾 pic.twitter.com/2kSsX4s7EU
Trump bleibt bei seiner Haltung zur Protestbewegung im Football und hat die NFL sogar aufgefordert, ihre Spieler zu feuern, wenn sie sich während der Nationalhymne hinknien sollten.
The issue of kneeling has nothing to do with race. It is about respect for our Country, Flag and National Anthem. NFL must respect this!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) September 25, 2017
Mit dieser Vorgeschichte ist auch klar, wer den Shitstorm gegen Nike vorantreibt - nämlich dieselben Leute, denen Colin Kaepernick und seine Form des Protests schon vor zwei Jahren gegen den Strich ging.
Aber es gibt auch Pro-Kaepernick Stimmen
Und die kommen ausgerechnet aus dem Militär. Man kann wohl behaupten, dass sich die Soldaten der US-Armee mit Patriotismus auskennen. Bei der Nationalhymne zu knien hält ein Großteil von ihnen offenbar nicht für respektlos oder unpatriotisch, sondern für das gute Recht eines jeden Amerikaners. Unter dem Hashtag #veteransforkaepernick melden sich seit ein paar Tagen wieder vermehrt US-Soldaten und -Veteranen zu Wort, die sich hinter Kaepernick stellen. Der ehemalige Soldat Marcus Newsome hatte den Hashtag schon 2016 zur ersten Kaepernick-Debatte gestartet – er ist also nicht neu, zum Nike-Boykott aber wieder brandaktuell.Dear Civilians I’m not offended by anyone kneeling to peacefully protest injustice. Stop using troops and our pictures to boycott @Nike. Look at the bigger picture, some of us have family and friends that have been directly affected by this undue violence#VeteransForKaepernick pic.twitter.com/r84jml1Ot7
— Glynn Butler (@Royal_Geee) 5. September 2018
Und auch unter der amerikanischen Zivilbevölkerung gibt es ein Pro-Kaepernick Lager oder zumindest ein Anti-Boykott-Lager. Die Videos mit brennenden Nike-Schuhen bezeichnen viele Twitterer als absurd und kindisch oder machen ironische bis ernst gemeinte Gegenvorschläge, wie man seine Nikes sinnvoll loswerden kann:
I just seen people cutting their NIKE clothing because of NIKE supporting Kaepernick! LMAO @Nike already has your $$$.. Might as well cut that up too 🤣
— .. (@CamA2I) 4. September 2018
#burnyourNikes? Why not donate them instead? #checkyourprivilege pic.twitter.com/NWbNn4uED7
— Major League Bowman (@majorleaguebwmn) 9. September 2018
Was macht Colin Kaepernick heute?
Nach seinem ersten Protest vor zwei Jahren ist Colin Kaepernick seit der Saison 2017 ein sogenannter free agent, also ein Spieler ohne Verein. Er hat die NFL beschuldigt, ihn mit internen Absprachen zu boykottieren, damit er nicht mehr unter Vertrag genommen wird. Kaepernick hat deswegen Beschwerde gegen die NFL eingelegt, der Fall geht wie es jetzt aussieht vor Gericht. Dann müssten sich die NFL Vorstände zu einer Anhörung einfinden. Um Geld geht es hier (vermutlich) schon lange nicht mehr, sondern ums Prinzip.Die NFL hat in der Zwischenzeit eine neue Regel eingeführt, die es den Spielern freistellt, ob sie bei der Nationalhymne auf dem Spielfeld erscheinen – dann aber stehend – oder drinnen in der Kabine bleiben. Was ein Spieler begonnen hat, wird aber so schnell nicht aufhören. Und Nike setzt mit der Wahl von Colin Kaepernick als Kampagnengesicht auch ein politisches Statement. Der Slogan "Believe in something. Even if it means sacrificing everything" hat eine doppelte Bedeutung – er bezieht sich nicht nur auf Sport, sondern auch auf die Geschichte von Colin Kaepernick.
Dem Image von Nike scheint dieses Statement gut zu tun: Seit dem Launch der Kampagne ist der Umsatz im Onlinegeschäft um 31 Prozent gestiegen. Vielleicht weil so viele der enttäuschten Zerstörer heimlich ein neues Paar Nikes bestellt haben.
Und was hat das Ganze jetzt mit Rihanna und Pink zu tun?
Mittlerweile melden sich auch zunehmend mehr Prominente aus Amerika öffentlich zu Wort, um zu zeigen, dass sie hinter Kaepernick stehen, wie zum Beispiel Beyoncé und Big Sean.Besondere Aufregung gab es aber jetzt Mitte Oktober wegen des Super Bowls.
Die ersten Spieltage der 99. NFL-Saison sind vorübergegangen und langsam rückt damit auch der weltweit beliebte Super Bowl näher. Neben dem Interesse am Endspiel ziehen auch diverse Festlichkeiten die Zuschauer auf der ganzen Welt an - allen voran die Halbzeitshow, die jedes Jahr einen der Höhepunkte des Abends darstellt.Kein Wunder also, dass diese schon einige Zeit früher geplant und der auftretende Künstler so früh wie möglich angekündigt wird. Seit Jahren treten hier "the Who is Who" der angesagten Pop-Stars auf, wie beispielsweise Madonna, Michael Jackson oder Phil Collins.
Auch dieses Jahr wird wieder nach den Größen der populären Musik gesucht. Für das Finale im Februar in Atlanta wurde deshalb die R&B- und Pop-Sängerin Rihanna gefragt - und sie lehnte ab.
Rihanna wollte aufgrund der bisherigen Ereignisse nicht als Hauptact des NFL Finales auftreten, aus Unterstützung für Colin Kaepernick.
Wenige Tage später stellt sich jetzt heraus: Rihanna bleibt nicht die Einzige. Wenig später klopfte die NFL auch bei Sängerin Pink an, um sie als Headliner des Super Bowls unter Vertrag zu nehmen. Auch sie lehnte ab für Kaepernick ab.Mittlerweile steht fest: Band Maroon 5 stimmt zu und wird in Atlanta singen.
Die Fans reagieren wütend und erwarten bisher vergeblich ein Statement der Band, warum sie auf das Angebot eingegangen sind und nicht gemeinsam mit ihren Kollegen der Popmusik ein Zeichen für Kaepernick setzen.Wer weiß, vielleicht nutzt die siebenköpfige Band ja die Halftime Show für eine gesellschaftliche bzw. politische Äußerung - bisher lassen sie aber auf sich warten.
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